Reaktionen auf Schwarz-Rot-Gold
Sachbuch. Die Ambivalenz der Deutschen zu ihren Flaggen und Symbolen in jüngster Zeit analysiert Enrico Brissa in einem neuen Buch.
Die Bilder vom Sommer 2020 sind noch hinlänglich bekannt. Wutbürger von rechts außen demonstrierten mit schwarz-weiß-roten Fahnen vor dem Berliner Reichstag und drangen zum Eingang vor. Das ist die eine Seite. Die andere: Viele Repräsentanten des linken politischen Spektrums hadern damit, die schwarz-rot-goldene Fahne zu akzeptieren. Sie gilt als nationalistisch.
Enrico Brissa, Sohn eines Italieners und einer Deutschen, erst Protokollchef im Bundespräsidialamt, seit 2016 in dieser Funktion beim Bundestag, schildert seine Erfahrungen auf der großen
unteilbar-Demonstration im Berlin nach den Chemnitzer Ausschreitungen 2018 im Anschluss an eine tödliche Messerattacke durch Migranten. Gemeinsam mit Freunden demonstrierte er für Weltoffenheit, schwenkte die blaue Europaflagge und die schwarz-rot-goldene Fahne. Die Reaktionen der meisten anderen Teilnehmer fielen irritierend aus, schlug der Gruppe um Brissa doch regelrechter Hass entgegen. Für Repräsentanten der Antifa galt die Deutschland-Flagge als „Nazi-Flagge“. Der Deutsch-Italiener empfand seine Teilnahme an der Demo als Spießrutenlauf. Schließlich wurde die Gruppe von der Organisationsleitung aufgefordert, die Deutschland-Fahnen einzurollen. Es sei verboten, Nationalflaggen mit sich zu führen. Da der Einwand, auch andere Teilnehmer zeigten solche, zum Beispiel die der Türkei und die Palästinas, nichts fruchtete, verließ Brissa mit seinen Freunden die Demo. „Wir hatten genug erfahren, um es diplomatisch auszudrücken. Unser kleiner Selbstversuch hatte uns körperlich und psychisch regelrecht ausgelaugt. . . . Keiner von uns hatte sich ausmalen können, wie aggressiv viele Menschen auf unsere Flaggen reagierten. Und wie wenige wussten, wofür sie stehen.“
Für Brissa war das Anlass, der Frage nach den Gründen für die Aggressionen gegenüber der schwarz-rot-goldenen Fahne nachzugehen. Schwarz-Rot-Gold, Symbol für Einheit und Freiheit, war in den Freiheitskriegen gegen Napoleon aufgekommen, auf dem Hambacher Fest 1832 wehte die schwarz-rot-goldene Trikolore, und auch die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 und die Weimarer Nationalversammlung von 1919 bekannten sich zu diesen Farben. Die Tradition ist also ehrwürdig. Im Kaiserreich und im Dritten Reich hingegen galt Schwarz-Weiß-Rot. Der Autor bedauert zweierlei: Dass Kräfte von rechts außen sich Schwarz-Rot-Gold kapern (neben Schwarz-Weiß-Rot) und viele Bürger wegen dieser ein gespaltenes Verhältnis zur Nationalflagge haben: Bei sportlichen Großereignissen ist dies anders.
Brissa, der für einen gelebten Verfassungspatriotismus leidenschaftlich plädiert, zeichnet nicht nur die Irrungen und Wirrungen um die Nationalfarben nach, sondern befasst sich auch mit anderen nationalen Symbolen: dem Wappen und dem Deutschlandlied August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens, das 1841 auf der damals zu Großbritannien gehörenden Insel Helgoland entstand. Mittlerweile gilt „Einigkeit und Recht und Freiheit“als akzeptiert. Den langen Streit um die wechselnden Nationalfeiertage erwähnt der Autor leider nicht.
So ein Buch fehlt Österreich
Österreich muss mit seinen Symbolen keine solchen Fallstricke vergegenwärtigen, nicht mit seiner rot-weiß-roten Flagge, nicht mit der Bundeshymne, nicht mit dem Nationalfeiertag und ebenso wenig mit dem Wappen, wobei der „Bundesadler“auch die Farben Schwarz-Rot-Gold enthält. Die Last der Vergangenheit ist weniger gravierend. Gleichwohl: Brissas gelungenes Buch sollte Anlass genug sein, ein ähnliches für Österreich in Angriff zu nehmen. Daran fehlt es.
Eckhard Jesse (*1948) ist em. Professor an der TU Chemnitz. Das Buch: Enrico Brissa: „Flagge zeigen! Warum wir gerade jetzt Schwarz-Rot-Gold brauchen“(2021).