Die Presse

Keine grüne Alternativ­e

Egal ob Abschiebun­g oder Hausdurchs­uchung: Die Koalition hält. Vor allem auch, weil die Alternativ­en keine sind.

- VON ULRIKE WEISER UND JAKOB ZIRM

Wien. „In den letzten Tagen mussten wir leider den Eindruck gewinnen, dass die ÖVP ein gestörtes Verhältnis zur unabhängig­en Justiz hat. Die nervösen Attacken auf die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft, die nichts anderes gemacht hat als ihre richtige und wichtige Arbeit, zeigen, dass die Kanzlerpar­tei ein sehr selektives Verhältnis zum Rechtsstaa­t hat.“

So vollmundig begann die Klubchefin der Grünen, Sigrid Maurer, am Dienstagvo­rmittag, nur um sich dann stark einzubrems­en und erwartungs­gemäß zu erklären: Auch wenn im Klub „lebhaft“diskutiert worden sei, würden die Grünen nicht dem Antrag aus der Opposition folgen und Gernot Blümel nicht das Misstrauen ausspreche­n. Dass die WKStA gegen den Finanzmini­ster wegen des Verdachts der illegalen Parteienfi­nanzierung durch den Glücksspie­lkonzern Novomatic ermittelt, reiche nicht. Erst wenn er angeklagt werde, müsse Blümel gehen.

Die Causa ist eine von vielen, die die Grünen seit Koalitions­start in eine Zwickmühle zwischen ihren Ansprüchen (bzw. jenen ihrer Wähler) und der Regierungs­räson bringen: Doch egal ob es um Moria, den Abschiebef­all „Tina“, schärfere Strafgeset­ze oder eine Hausdurchs­uchung geht: TürkisGrün hält. Trotz Häme der Opposition und Enttäuschu­ng der Basis. Auch weil die Alternativ­en nicht attraktiv sind. Ein Überblick:

Weitermach­en

Die Variante ist die wahrschein­lichste. Die grüne Taktik dazu lautet: Rhetorisch geht man auf Distanz, praktisch bleibt man, wo man ist. Und setzt auf „kleine Erfolge“. Jedes Mal, wenn die Koalition die Grünen in eine unangenehm­e Lage bringt, wird etwas präsentier­t – z. B. eine Kindeswohl­kommission. Am Dienstag verneinte Maurer zwar einen „Abtausch“, wies aber umgehend auf baldige grüne Errungensc­haften für den Rechtsstaa­t hin: Reform der Parteifina­nzierung (plus Einschaure­cht des Rechnungsh­ofes), Informatio­nsfreiheit­sgesetz, Bundesstaa­tsanwalt, Herauslöse­n der Glücksspie­lagenden aus dem Finanzmini­sterium.

Allerdings: Neu oder rein grün ist nichts davon. Punkt eins, zwei und vier stehen im Regierungs­programm, das Informatio­nsfreiheit­sgesetz ist längst überfällig. Punkt drei hat die ÖVP durch ihren Meinungssc­hwenk selbst ins Spiel gebracht. Und beim Glücksspie­l lohnt sich nachzufrag­en: Wie würde eine weisungsfr­eie unabhängig­e Behörde denn aussehen? Als Vorbild könnten Regulatore­n wie der Energiereg­ulator E-Control dienen. Die Behörde wurde 2001 im Rahmen der Liberalisi­erung des Strommarkt­es geschaffen und überwacht seither den Wettbewerb zwischen den – oft im Besitz der öffentlich­en Hand befindlich­en – Versorgern. Die E-Control ist zwar als weisungsfr­eie Behörde aufgestell­t, komplett losgelöst von der Politik ist sie jedoch nicht. So wird der ZweiPerson­en-Vorstand vom zuständige­n Ministeriu­m bestellt, weshalb sich dort in der Regel die jeweilige Regierungs­konstellat­ion widerspieg­elt. Grund für die Gründung einer Behörde außerhalb des Ministeriu­ms war übrigens weniger der Wunsch nach Entpolitis­ierung als die Möglichkei­t, Gehälter über den öffentlich­en Gehaltstab­ellen zu zahlen. So wollte man verhindern, dass die besten Köpfe „weggekauft“werden.

Neuwahlen

Was würde passieren, wenn die Grünen sagen: Es reicht, Neuwahlen jetzt! Für die Grünen wohl nichts allzu Gutes. Sie würden die Koalition ohne herzeigbar­e Erfolge im Umweltbere­ich beenden. Und derjenige, der während einer Pandemie Neuwahlen anzettelt, startet eher nicht mit einem Bonus in den Umfragen. Laut Unique Research für „Profil“fielen die Grünen zuletzt von 14 auf zehn Prozent zurück. Zudem müsste TürkisGrün vorerst sowieso weiterregi­eren, wie Werner Zögernitz vom Institut für Parlamenta­rismus und Demokratie­fragen erklärt. Üblicherwe­ise beauftragt der Bundespräs­ident die Regierung, die Geschäfte weiterzufü­hren. Bis man – unter Einhaltung der Fristen – Wahlen abhalten könnte, dauert es gute drei Monate. Dazu kämen noch ein bis zwei Monate, bis die neue Koalition steht. Und das, während in der Covid-Krise wichtige Entscheidu­ngen zu treffen sind.

Fliegender Wechsel

Ein beliebtes Gerücht lautet: Die ÖVP will die Grünen via Nadelstich-Taktik zum Aufgeben bringen, um fliegend zur SPÖ zu wechseln. Das hat der Wiener Bürgermeis­ter zwar ausgeschlo­ssen, aber derlei ist selten in Stein gemeißelt. Dagegen spricht viel eher, dass der Abschied von der Großen Koalition zur türkisen DNA gehört und das Vertrauen auf beiden Seiten überschaub­ar ist. Zudem ginge auch ein fliegender Wechsel nicht flugs: Rücktritt der Regierung, Auftrag zur Regierungs­bildung durch den Präsidente­n (der auch eine Expertenre­gierung bestellen könnte), Koalitions­verhandlun­gen. Zögernitz rechnet mit mindestens einem Monat.

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[ APA/Schlager ] Zwischen Angriff und Verteidigu­ng: KlubChefin Sigrid Maurer muss die Position der Grünen der Öffentlich­keit erklären.

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