Keine grüne Alternative
Egal ob Abschiebung oder Hausdurchsuchung: Die Koalition hält. Vor allem auch, weil die Alternativen keine sind.
Wien. „In den letzten Tagen mussten wir leider den Eindruck gewinnen, dass die ÖVP ein gestörtes Verhältnis zur unabhängigen Justiz hat. Die nervösen Attacken auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die nichts anderes gemacht hat als ihre richtige und wichtige Arbeit, zeigen, dass die Kanzlerpartei ein sehr selektives Verhältnis zum Rechtsstaat hat.“
So vollmundig begann die Klubchefin der Grünen, Sigrid Maurer, am Dienstagvormittag, nur um sich dann stark einzubremsen und erwartungsgemäß zu erklären: Auch wenn im Klub „lebhaft“diskutiert worden sei, würden die Grünen nicht dem Antrag aus der Opposition folgen und Gernot Blümel nicht das Misstrauen aussprechen. Dass die WKStA gegen den Finanzminister wegen des Verdachts der illegalen Parteienfinanzierung durch den Glücksspielkonzern Novomatic ermittelt, reiche nicht. Erst wenn er angeklagt werde, müsse Blümel gehen.
Die Causa ist eine von vielen, die die Grünen seit Koalitionsstart in eine Zwickmühle zwischen ihren Ansprüchen (bzw. jenen ihrer Wähler) und der Regierungsräson bringen: Doch egal ob es um Moria, den Abschiebefall „Tina“, schärfere Strafgesetze oder eine Hausdurchsuchung geht: TürkisGrün hält. Trotz Häme der Opposition und Enttäuschung der Basis. Auch weil die Alternativen nicht attraktiv sind. Ein Überblick:
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Die Variante ist die wahrscheinlichste. Die grüne Taktik dazu lautet: Rhetorisch geht man auf Distanz, praktisch bleibt man, wo man ist. Und setzt auf „kleine Erfolge“. Jedes Mal, wenn die Koalition die Grünen in eine unangenehme Lage bringt, wird etwas präsentiert – z. B. eine Kindeswohlkommission. Am Dienstag verneinte Maurer zwar einen „Abtausch“, wies aber umgehend auf baldige grüne Errungenschaften für den Rechtsstaat hin: Reform der Parteifinanzierung (plus Einschaurecht des Rechnungshofes), Informationsfreiheitsgesetz, Bundesstaatsanwalt, Herauslösen der Glücksspielagenden aus dem Finanzministerium.
Allerdings: Neu oder rein grün ist nichts davon. Punkt eins, zwei und vier stehen im Regierungsprogramm, das Informationsfreiheitsgesetz ist längst überfällig. Punkt drei hat die ÖVP durch ihren Meinungsschwenk selbst ins Spiel gebracht. Und beim Glücksspiel lohnt sich nachzufragen: Wie würde eine weisungsfreie unabhängige Behörde denn aussehen? Als Vorbild könnten Regulatoren wie der Energieregulator E-Control dienen. Die Behörde wurde 2001 im Rahmen der Liberalisierung des Strommarktes geschaffen und überwacht seither den Wettbewerb zwischen den – oft im Besitz der öffentlichen Hand befindlichen – Versorgern. Die E-Control ist zwar als weisungsfreie Behörde aufgestellt, komplett losgelöst von der Politik ist sie jedoch nicht. So wird der ZweiPersonen-Vorstand vom zuständigen Ministerium bestellt, weshalb sich dort in der Regel die jeweilige Regierungskonstellation widerspiegelt. Grund für die Gründung einer Behörde außerhalb des Ministeriums war übrigens weniger der Wunsch nach Entpolitisierung als die Möglichkeit, Gehälter über den öffentlichen Gehaltstabellen zu zahlen. So wollte man verhindern, dass die besten Köpfe „weggekauft“werden.
Neuwahlen
Was würde passieren, wenn die Grünen sagen: Es reicht, Neuwahlen jetzt! Für die Grünen wohl nichts allzu Gutes. Sie würden die Koalition ohne herzeigbare Erfolge im Umweltbereich beenden. Und derjenige, der während einer Pandemie Neuwahlen anzettelt, startet eher nicht mit einem Bonus in den Umfragen. Laut Unique Research für „Profil“fielen die Grünen zuletzt von 14 auf zehn Prozent zurück. Zudem müsste TürkisGrün vorerst sowieso weiterregieren, wie Werner Zögernitz vom Institut für Parlamentarismus und Demokratiefragen erklärt. Üblicherweise beauftragt der Bundespräsident die Regierung, die Geschäfte weiterzuführen. Bis man – unter Einhaltung der Fristen – Wahlen abhalten könnte, dauert es gute drei Monate. Dazu kämen noch ein bis zwei Monate, bis die neue Koalition steht. Und das, während in der Covid-Krise wichtige Entscheidungen zu treffen sind.
Fliegender Wechsel
Ein beliebtes Gerücht lautet: Die ÖVP will die Grünen via Nadelstich-Taktik zum Aufgeben bringen, um fliegend zur SPÖ zu wechseln. Das hat der Wiener Bürgermeister zwar ausgeschlossen, aber derlei ist selten in Stein gemeißelt. Dagegen spricht viel eher, dass der Abschied von der Großen Koalition zur türkisen DNA gehört und das Vertrauen auf beiden Seiten überschaubar ist. Zudem ginge auch ein fliegender Wechsel nicht flugs: Rücktritt der Regierung, Auftrag zur Regierungsbildung durch den Präsidenten (der auch eine Expertenregierung bestellen könnte), Koalitionsverhandlungen. Zögernitz rechnet mit mindestens einem Monat.