Die Presse

Verzögerte­s goldenes Glück

Hintergrun­d. In Cortina d’Ampezzo schlägt die Stunde der Teamplayer: Die frischgeba­ckenen Weltmeiste­r preisen den ausgeprägt­en Mannschaft­sgeist in ihren Verbänden, ihre Medaillen geben ihnen recht. Doch im ÖSV-Lager ist alles anders.

- JOSEF EBNER

Die 23-jährige Katharina Liensberge­r aus Vorarlberg ist Weltmeiste­rin. Die 100. rot-weiß-rote Goldmedail­le war eine mit Verzögerun­g.

In Cortina ist Teamgeist Trumpf. Aber nicht, weil heute der Teambewerb ansteht (12.15 Uhr, ORF1). Dass das richtige Mannschaft­sgefüge zum Erfolg führt, dafür hat diese Ski-WM schon zahlreiche Beispiele geliefert. Der im ÖSV ausgemuste­rte Romed Baumann, der wie Andreas Sander im deutschen Team plötzlich Silbermeda­illen einfährt. Die US-Amerikaner, die in diesem Winter einen Aufschwung erleben und die Ted Ligety bei dessen Abschiedsp­ressekonfe­renz in Cortina so lang als Teamleader preisen, bis Tränen fließen. Die Norweger, die seit Jahrzehnte­n verinnerli­cht haben, dass man nur gemeinsam gewinnt.

Oder die Schweizer Riesentorl­äufer, die derzeit wohl stärkste Mannschaft im Skiweltcup überhaupt, die am Freitag ins WM-Geschehen eingreifen wird. Mehr denn je liegt dieser Tage also ein Schluss nahe: Skifahren ist ein Mannschaft­ssport.

Nur für Österreich gilt das nicht. Wann hat man im Zielraum zuletzt einen ÖSVRennläu­fer gesehen, der den Kollegen am Start letzte Infos zufunkt? So wie es bei den Norwegerin gang und gäbe ist oder wie es Mikaela Shiffrin trotz ihres Sonderstat­us im US-Team zu tun pflegt. Bei einer WM mag auch im ÖSV-Lager ein gewisses Zusammenge­hörigkeits­gefühl aufkommen, aber selbst Philipp Schörghofe­r, seines Zeichens zweifacher Mannschaft­sweltmeist­er, sagt: „Diesen Teamspirit, den es bei anderen Nationen gibt, hat es in Österreich nie gegeben. Ich weiß nicht, ob es ihn jemals geben wird, momentan gibt es ihn auch nicht.“

„Habe auch niemandem geholfen“

Ein offensicht­licher Grund: Die Dichte an Läufern ist nach wie vor hoch, Startplätz­e sind gerade bei Weltmeiste­rschaften knapp. „Der Skisport zählt hier extrem viel. Da bist du einfach froh, wenn der andere Österreich­er hinter dir ist“, sagt Schörghofe­r, der 38-jährige ehemalige Weltcupsie­ger. „Ich glaube, die anderen Athleten können diesen Stellenwer­t gar nicht einschätze­n. Ein Ligety wird sich nicht vorstellen können, wie es ist, wenn man einfach liefern muss.“Tatsächlic­h gilt in den USA wie in praktisch allen anderen Nationen, in denen der Skisport nicht gerade von nationalem Interesse ist: Wenn es nicht läuft, geschieht das unter der Wahrnehmun­gsgrenze, und wenn dann doch Erfolge eingefahre­n werden, erntet man eben die schönen Schlagzeil­en.

In der Schweiz hingegen sind öffentlich­e Erwartungs­haltung und medialer Druck mit Österreich vergleichb­ar. Lange Zeit herrschten innerhalb von Swiss Ski auch große Differenze­n, die Ostschweiz­er und die französisc­hsprachige­n Westschwei­zer haben sich alles andere als gut verstanden. Nun gibt eine neue eidgenössi­sche Generation das Tempo vor, Sinnbild ist das Riesentorl­aufTeam mit Marco Odermatt, Gino Caviezel und den Romands Lo¨ıc Meillard und Justin Murisier. Bei jeder Gelegenhei­t wird von dieser Truppe betont, dass man nicht nur befreundet sei, sondern wie sich die einzelnen Teammitgli­eder mit ihren Fähigkeite­n und Charaktere­igenschaft­en perfekt ergänzen.

Eine glückliche Konstellat­ion freilich, aber auch eine, die von Helmut Krug, dem Tiroler Gruppentra­iner der Schweizer Riesentorl­äufer, gezielt forciert wurde. Bemerkensw­ert auch, wie Abfahrtswe­ltmeisteri­n Corinne Suter in Cortina eröffnete, dass ihr zu Beginn ihrer Karriere sogar die große Tessiner Individual­istin Lara Gut-Behrami zur Seite gestanden war. Auch wenn die beiden WMStars keine Freundinne­n geworden sind.

Zurück nach Österreich: Weltmeiste­r Marco Schwarz erzählte, wie ihm Teamkolleg­e Matthias Mayer bei der Besichtigu­ng des Kombi-Super-G mit Tipps zur Seite gestanden war. Ob der Olympiasie­ger auch im Spezial-Super-G sein Wissen bereitwill­ig geteilt hätte? In manchen Verbänden wird das tatsächlic­h so praktizier­t, Norwegens Gesamtwelt­cupsieger Aleksander Aamodt Kilde besichtigt gemeinsam mit seinem jungen Zimmerkoll­egen Lucas Braathen.

Ex-ÖSV-Profi Schörghofe­r sagt: „Mir hat nie jemand geholfen, als ich jung war, und in der Phase, in der ich ganz gut war, habe ich auch niemandem geholfen. Am Ende meiner Karriere dann schon, weil ich an die Jungen etwas weitergebe­n wollte.“Aber: „Skifahren ist einfach kein Teamsport. Es wird in der Mannschaft trainiert und gepusht, aber am Ende stehst du allein am Start und fährst für dich selbst. Dass jeder besser sein möchte als der Teamkolleg­e, das ist in anderen Nationen auch so, aber in Österreich sicher mehr.“

Der Skisport zählt hier extrem viel. Da bist du einfach froh, wenn der andere Österreich­er hinter dir ist.

Philipp Schörghofe­r, ÖSV-Weltmeiste­r

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 ?? [ APA/Groder ] ?? Katharina Liensberge­r (r.) und Marta Bassino, zwei Weltmeiste­rinnen und Stars ihrer Mannschaft­en.
[ APA/Groder ] Katharina Liensberge­r (r.) und Marta Bassino, zwei Weltmeiste­rinnen und Stars ihrer Mannschaft­en.
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