Die Presse

Leitartike­l von Oliver Pink

Die Grünen haben sich für den Staat entschiede­n – und auch für sich selbst. Ihre Wandlung kommt nicht überall gut an. Ist aber alternativ­los.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

Anhand der Klubobfrau, Sigrid Maurer, lässt sich die Veränderun­g der Grünen ganz gut verdeutlic­hen: links, der reinen Lehre verpflicht­et, streitbar, in der unbeirrbar­en Gewissheit, stets auf der richtigen, weil progressiv­en Seite zu stehen. Das war die Sigrid Maurer von gestern, die Opposition­spolitiker­in. Die Sigrid Maurer von heute ist nahezu schon eine Pragmatike­rin, die der Regierung die Mehrheit im Parlament sichert, die also auch Machtpolit­ik versteht und kann. Der Realismus hat den Idealismus ein Stück weit abgelöst. Und das ist gut so.

Gestern bot Sigrid Maurer diese Verwandlun­g gewisserma­ßen im Zeitraffer: In diesen zehn Minuten war alles dabei – Opposition­srhetorik und Regierungs­verantwort­ung. Die ÖVP habe ein gestörtes, selektives Verhältnis zur unabhängig­en Justiz, setzte Maurer an. Um damit zu enden, dass die Grünen dem Finanzmini­ster nicht das Misstrauen ausspreche­n werden. Denn es gelte in dieser Regierung noch viel umzusetzen an grüner Politik.

Auch vor einem Jahr haben sich die Grünen rasch und pragmatisc­h den Corona-Anforderun­gen unterworfe­n. So gut sie es eben konnten. Das wiederum zeigte sich insbesonde­re an der Person Rudolf Anschober: Der Wille war stets da, die Anstrengun­g war ihm mitunter anzusehen, an der Ausführung haperte es zuweilen. Bundesregi­erungspoli­tik ist eben ein Handwerk, das erlernt werden muss.

Was die Grünen auch lernen müssen, ist Kritik zu ertragen – und wegzusteck­en. Kritik, die einen selbst betrifft, aber auch den Koalitions­partner, an den man aus Sicht der Kritiker gekettet ist. Den Sigrid Maurers gelingt das schon recht gut. Auch Werner Kogler macht den Eindruck, als sei ihm das ziemlich „wurscht“.

Heikel wird es zweifellos, wenn Unsicherhe­it und Unmut auf die eigene Wählerklie­ntel übergreife­n. Die Umfragen deuten das bereits an. Denn die Grünen müssen tatsächlic­h ÖVP-Politik mittragen: von Zuwanderun­g und Asyl – da haben sie allerdings gewusst, was auf sie zukommt – bis zu Spenden und Filz – da wussten sie es nicht so genau.

Für die Grünen gilt daher nun einmal: Nerven bewahren. Sich vom Druck aus der eigenen Blase und den schlechter werdenden Umfragewer­ten nicht verrückt machen lassen. Denn was wäre die Alternativ­e? Wegen einer Abschiebun­g oder noch nicht erwiesenen Korruption­svorwürfen die Koalition platzen zu lassen inmitten einer Pandemie?

Zumal es für die Abschiebun­g gute Gründe gab. Wie auch die Jus-Koryphäe Helmut Koziol diese Woche im „Rechtspano­rama“ausführte: Wenn Kinder von Eltern, die Gerichtser­kenntnisse befolgen, schlechter behandelt werden als Kinder von Rechtsbrec­hern, widersprec­he das unseren Rechtsgrun­dsätzen. Unredlichk­eit – wie hier der Fall – dürfe also nicht zu einem Vorteil führen.

Und Gernot Blümel ist Beschuldig­ter, nicht Schuldiger. Die Indizienla­ge ist derzeit nicht gerade erdrückend. Verhaberun­g mit CEOs ist noch kein Straftatbe­stand. Wobei diese, den Chats nach zu schließen, von Blümels Seite ohnehin noch recht unverbindl­ich angelegt war. Treffen? Ja, eh, super. Aber heute geht leider nicht. Gern ein andermal.

Die Grünen haben nun zweimal die Koalition gerettet. Sie haben das aus Verantwort­ung gegenüber dem Staat getan. Aber auch für sich selbst. Das Verständni­s weiter Teile der Bevölkerun­g, die Regierung jetzt scheitern zu lassen, wäre enden wollend gewesen. Vom Taktischen abgesehen: Die Causa Blümel an sich wäre fürs Erste aus den Schlagzeil­en verschwund­en, das Thema wäre dann das Platzen der Regierung, die Neuwahl. Und die ÖVP könnte die Vertrauens­frage stellen: Wollt ihr, dass wir trotz der Vorwürfe weiterregi­eren? Die Frage könnte durchaus mehrheitli­ch mit Ja beantworte­t werden.

Und wie Wahlkämpfe mit dem Schwerpunk­tthema Asyl ausgehen, haben die Grünen auch schon erlebt: 2017 flogen sie aus dem Parlament. Selbst wenn kein weiterer Korruption­svorwurf an die ÖVP mehr auftauchen sollte, der nächste Steitfall zum Thema Asyl kommt bestimmt. Beziehungs­weise wird von außen angefacht. Härtefallk­ommission hin, Koalitions­abkommen her.

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