Die Presse

„Spektakel bei Bestellung vermeiden“

Generalsta­atsanwalt. Gerhard Jarosch, ehemaliger Vorsitzend­er der österreich­ischen und der internatio­nalen Staatsanwä­ltevereini­gung, im Gespräch über die geplante neue Weisungssp­itze.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Er sei bass erstaunt über den Sinneswand­el der ÖVP, freue sich aber sehr, sagt Staatsanwa­lt Gerhard Jarosch. Nachdem die Kanzlerpar­tei vor dem Hintergrun­d der Ermittlung­en gegen Finanzmini­ster Gernot Blümel ihren jahrzehnte­langen Widerstand gegen eine unabhängig­e Weisungssp­itze der Staatsanwa­ltschaft aufgegeben hat, gehe es jetzt darum, die Details bestmöglic­h zu klären. Denn: „Das könnte man auch komplett versemmeln“, warnt Jarosch im Gespräch mit der „Presse“.

Jarosch kennt die Forderung nach einer Loslösung der Weisungssp­itze aus dem Justizmini­sterium aus seiner Zeit als Vorsitzend­er der Staatsanwä­ltevereini­gung (2013–2018), sie ist aber wesentlich älter: Schon in den Zwanzigerj­ahren des 20. Jahrhunder­ts sei sie erhoben worden. Die unabhängig­e Weisungssp­itze etwa in Person einer Generalsta­atsanwälti­n oder eines Generalsta­atsanwalts sei

„wirklich gescheit“, so Jarosch: „Es ist nicht nur ein Schaden für die Justiz, wenn die Leute glauben, die Politik kann es sich richten, sondern es leidet auch die Politik darunter.“

Hierarchie ist notwendig

Jarosch arbeitet mittlerwei­le als nationales Mitglied für Österreich bei Eurojust in Den Haag, einer Schnittste­lle der Strafverfo­lgungsbehö­rden von 34 Ländern. Daher und aufgrund seines sechsjähri­gen Vorsitzes in der Internatio­nalen Staatsanwä­ltevereini­gung (IAP) kann er auch im Rechtsverg­leich gut abschätzen, worauf es bei einer unabhängig­en Weisungssp­itze ankommt. Dass es eine solche geben soll anstatt – wie singulär in Italien – sämtliche Staatsanwä­lte unabhängig zu machen, steht für Jarosch fest: Für die Arbeit in Teams, für eine flexible Ressourcen­steuerung und für eine gleichmäßi­ge Rechtsanwe­ndung benötige man eine Hierarchie.

Und wer soll als Generalsta­atsanwalt in Frage kommen? (Der Wortteil „Bundes-“ist für Jarosch weniger treffend, weil die Justiz in Österreich, anders als in der Schweiz und Deutschlan­d, ohnehin nur vom Bund ausgeht und eine spezielle Kennzeichn­ung daher unnötig ist.) Im weltweiten Vergleich zeige sich, dass dort, wo ein Maximum an Unabhängig­keit bestehe, Persönlich­keiten aus dem Kreis der Richtersch­aft oder Staatsanwa­ltschaft ausgewählt werden. „Das muss ein Profi sein mit langjährig­er Erfahrung im Strafrecht­sbereich.“

Langjährig soll im Interesse der Unabhängig­keit auch die Funktionsd­auer sein: auf Lebenszeit oder, wie die Spitze des Rechnungsh­ofs, einmalig auf zwölf Jahre begrenzt. Eine Bestellung auf nur drei Jahre mit der Möglichkei­t der Wiederbest­ellung, wie es sie in Kroatien gebe, sei natürlich problemati­sch. „Es liegt dann sehr an der Persönlich­keit, ob sie die Stärke hat, auch gegen politische Missstände zu ermitteln.“

Zur Auswahl geeigneter Persönlich­keiten wäre für Jarosch ideal ein Rat der Gerichtsba­rkeit geeignet, wie ihn auch die Richter seit langem fordern: Er bestünde aus Vertretern der Rechtsberu­fe, der rechtswiss­enschaftli­chen Fakultäten, aus Politikern (in der Minderheit), auch das Justizmini­sterium wäre beteiligt. „Wenn das nicht geht, dann sollte es ein möglichst objektives und möglichst politikfer­nes Verfahren unter Vermeidung eines Spektakels geben.“Die Ernennung durch den Bundespräs­identen könnte etwa auch auf Vorschlag einer eigenen Personalko­mmission erfolgen. Damit die Weisungssp­itze nicht gestört werden kann, indem einzelne Staatsanwa­ltschaften personell oder mit technische­r Ausstattun­g zu knapp gehalten werden, müsste der Generalsta­atsanwalt ein Mitsprache­recht beim Budget haben.

Was heißt „Staat im Staat“?

Droht, wie manche warnen, ein „Staat im Staat“, wenn die Staatsanwä­lte von der Leine der Politik gelassen werden? „Das ist ein Totschlaga­rgument. Was soll es überhaupt bedeuten: Haben wir dann eine eigene Fahne?“, fragt Jarosch bloß rhetorisch. Eine Kontrolle der Staatsanwä­lte sei freilich wichtig, zu allererst durch die Gerichte in Form der schon jetzt sehr stark ausgestalt­eten Rechtsschu­tzmöglichk­eiten. „Für ein allfällige­s Fehlverhal­ten der Weisungssp­itze wird man ein Disziplina­rrecht brauchen, und die Möglichkei­t, die Person abzusetzen, muss es auch geben.“

Auch dem Parlament, das bisher die (eher theoretisc­he) Möglichkei­t eines Misstrauen­santrags gegen den Justizmini­ster oder die Justizmini­sterin hat, soll sich der Generalsta­atsanwalt regelmäßig stellen: Der irische Director of Public Prosecutor­s etwa berichte einmal jährlich dem Parlament, wohlgemerk­t über abgeschlos­sene Fälle. Denn, so Jarosch: „Wollen wir wirklich Einsicht der Politik in laufende Strafverfa­hren?“

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Die Letztveran­twortung, wer vor Gericht gestellt werden soll (hier das Landesgeri­cht für Strafsache­n Wien), wird verlagert.
[ Clemens Fabry ] Die Letztveran­twortung, wer vor Gericht gestellt werden soll (hier das Landesgeri­cht für Strafsache­n Wien), wird verlagert.

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