Wie Draghi Italien wiederbeleben will
Italien. Den neuen Premier und seine Megakoalition erwarten Mammutaufgaben, um das Land wieder auf die Beine zu bekommen: Hier die Kernpunkte des ehrgeizigen Programms.
Rom/Wien. Eine Ski-Kontroverse trübt Mario Draghis Rom-Debüt und bringt erste Misstöne in die Riesenkoalition des neuen italienischen Premiers. Nachdem Gesundheitsminister Roberto Speranza wegen der kritischen Pandemielage die Öffnung der Skibetriebe in der letzten Minute gestoppt hat, laufen nicht nur Touristiker Sturm. Auch Lega-Chef Matteo Salvini protestierte lautstark und forderte eine Entschädigung für die betroffenen Firmen. Immerhin bilden norditalienische Unternehmer das Rückgrat der rechtspopulistischen Partei.
Draghi muss also als Feuerlöscher intervenieren, bevor seine Regierung überhaupt im Amt ist. Er versprach eine zeitigere Kommunikation der Covid-Maßnahmen. Die Lega ist Teil seines Kabinetts, das Mittwoch und Donnerstag im Parlament die Vertrauensfrage stellt. Da so gut wie alle wichtigen Parteien mit an Bord sind, ist eine Rekordzustimmung zu erwarten.
In einer knappen Rede im Senat wird Draghi heute die Parteien zur Einheit aufrufen und Pläne skizzieren, um Italien aus der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Notlage zu lenken. Der Ex-EZBChef hofft, zumindest ein Jahr im Amt zu bleiben. Schaffen muss er es bis Ende Juli: Dann startet das Semester vor der Präsidentenwahl, laut Verfassung darf das Parlament nicht mehr aufgelöst werden.
Hier einige Herkulesaufgaben, die er bis dahin bewältigen will:
EU-Corona-Milliarden
Das Management der EU-CoronaMilliarden ist die Top-Herausforderung der neuen Regierung. Bis Ende April muss Rom Brüssel darüber informieren, wie es die 209 Milliarden Euro an Zuschüssen und Krediten aus dem EU-Wiederaufbaufonds ausgeben will. Der Streit über das Geld hatte die vorherige Regierung Conte gesprengt. Unter Draghi dürfte der Plan neu geschrieben werden. Mehr Geld soll ins ramponierte Gesundheitssystem fließen. Und anders als bei Conte sind weniger Zuschüsse für bestehende Projekte vorgesehen, stattdessen will man die Wirtschaft durch Strukturreformen ankurbeln. Geplant sind eine Steuerreform (inklusive Erleichterungen), eine Reform der Justiz (vor allem im Zivilrechtsbereich mit seinen überlangen Verfahren) und eine Entschlackung der teuren Bürokratie.
Investiert wird auch in Digitalisierung, etwa in ein 5G-Netz. Schwerpunkt ist aber Draghis „grüne Wende“: 37 Prozent der Recovery-Gelder, also 77 Milliarden Euro, sind für Öko-Projekte vorgesehen. Wie wichtig die Förderung von Umwelttechnologie und anderer grüner Maßnahmen ist, beweist die Schaffung des Ministeriums für „ökologischen Umbau“.
Beim Ausbau der Infrastruktur setzt Draghi auf strikte Zeitpläne: Vorbild ist die schnelle Neuerrichtung der gestürzten Morandi-Brücke in Genua. Das Recovery-Management bleibt übrigens strikt in Expertenhand: Alle Schlüsselministerien – Wirtschaft, Justiz, Ökologie oder Infrastruktur - werden von Nichtpolitikern geführt.
Ein Weg aus der Pandemie
In Italien, das von der ersten Welle hart getroffen wurde, wächst die Sorge vor den Virusmutanten, zugleich ist man der langen Lockdowns überdrüssig. Erwogen wird nun die Errichtung von schnellen roten Ad-hoc-Zonen. Bereits jetzt gilt ein Ampelsystem, Maßnahmen werden an die lokale Infektionslage angepasst. Zudem will Draghi Impfungen beschleunigen: Ziel sind 300.000 Vakzine pro Tag. Dafür sollen Vorräte aufgestockt, Verteilung und Logistik verbessert werden: Geimpft wird künftig auch in Kasernen und auf Flughäfen.
Eine bessere Schule
Der Frust wegen der langen Distance-Learning-Phasen wächst, Schüler fühlen sich allein gelassen. Draghi hat angekündigt, die Sommerferien zu verkürzen, um verlorene Schultage nachzuholen: Bis Ende Juni sollen die Kinder heuer in die Schule gehen. Geld soll auch in die Digitalisierung, in Förderprogramme sowie in Ausstattung fließen, um trotz Pandemie Unterricht in Klassen zu ermöglichen.
Nähe zu EU und USA
Die Regierung gibt sich betont pro EU und pro USA. Dazu musste sich auch Salvini bekennen, der in der Vergangenheit mit Euro-Austritt und Moskau flirtete. Der Premier will sein Netzwerk nützen, um Italiens Position in der EU, Nato und der Welt wieder zu stärken. Die EU-kritische Fünf-Sterne-Lega-Regierung verstärkte in vielen EUHauptstädten das Misstrauen gegenüber Italien. Draghi kennt den EU-Machtapparat gut und ist vertraut mit EU-Granden wie Angela Merkel. Auch zu Joe Biden dürfte er einen guten Draht finden: Der überzeugte Transatlantiker Draghi hat in Washington (Weltbank) gearbeitet und in den USA geforscht.