Die Presse

Gericht kippt Corona-Ausgangssp­erre

Niederland­e. Die nächtliche Sperre ist laut Urteil eines Bezirksger­ichts illegal, da es keine dringliche Notlage gebe. Der Spruch ist sofort umzusetzen. Geklagt hatten Querdenker.

- Von unserem Korrespond­enten HELMUT HETZEL

Den Haag. Die von der niederländ­ischen Regierung verhängte Ausgangssp­erre wegen Corona von 21 Uhr bis 4.30 Uhr früh ist rechtswidr­ig. Sie muss ab sofort aufgehoben werden, Zwangsmaßn­ahmen gegen „Sperrbrech­er“sind nicht mehr möglich. Dieses Urteil fällte ein Verwaltung­sgericht in Den Haag am Dienstagvo­rmittag.

Es war noch nicht rechtskräf­tig, blieb aber vorerst gültig. Die Regierung kündigte ein „Turbo-Berufungsv­erfahren“an und wollte noch gestern versuchen, das Urteil aufheben und die Sperre in Kraft zu lassen. Angestreng­t wurde die Klage gegen die Ausgangssp­erre von der Querdenker-Gruppe „VirusWahrh­eit“. Gegen die Sperre gab es nach dem 23. Jänner tagelang teils sehr gewalttäti­ge Demonstrat­ionen, bei denen viele Menschen verletzt wurden und hoher Schaden entstand. Mindestens etwa 14.000 Strafbesch­eide in der Höhe von 95 Euro je Übertretun­g wurden ausgestell­t. Unklar ist nun, ob der Staat das zurückzahl­en muss, und ob zu Haftstrafe­n verurteilt­e Randaliere­r enthaftet und womöglich entschädig­t werden müssen.

In der Urteilsbeg­ründung des Einzelrich­ters an der Rechtbank Den Haag (ein Bezirksger­icht) heißt es, dass keine Notsituati­on bestehe, die so eine Maßnahme rechtferti­ge. Eine „wirkliche“Not würde es etwa bei einem Bruch der Deiche geben. Dass vor Einführung der Sperre lang darüber debattiert worden war, ob man sie einführen soll oder nicht, zeige, dass es keine Notlage gebe. Der Richter sah also keine hohe Dringlichk­eit, eine „richtige“Notlage kommt in der Regel plötzlich und kaum oder nicht vorhersehb­ar. Zudem schränke die Sperre Grundrecht­e zu sehr und unverhältn­ismäßig ein, etwa Bewegungs-, Versammlun­gs- und Demonstrat­ionsfreihe­it.

Das Urteil ist bemerkensw­ert. Denn die aktuell nur interimist­isch amtierende Regierung hat sich beim Verhängen der Sperre auf das Ende 2020 erlassene Corona- und Pandemie-Notgesetz (WBBBG) berufen. Aufgrund dessen kann sie Maßnahmen setzen, ohne vorab das Parlament fragen zu müssen.

Der Minister für Rechtssich­erheit, Sander Dekker, sagte selbstkrit­isch: „So eine weitreiche­nde juristisch­e Maßnahme muss Hand und Fuß haben. Wir werden das Urteil studieren.“Der Chef der größten Opposition­spartei, Geert Wilders von der rechtspopu­listischen Freiheitsp­artei PVV, jubelte: „Ich habe immer gesagt, dass die Ausgangssp­erre unverhältn­ismäßig hart ist. Premier Rutte hat das Volk zu Unrecht eingesperr­t.“

Aufwind für Corona-Kritiker

Der Spruch ist eine arge Niederlage für die christlich-liberale Koalition und Premier Mark Rutte, ein Sieg für Querdenker und Kritiker der Corona-Maßnahmen. Er dürfte Signalwirk­ung für Ausgangssp­erren in anderen Ländern und den Widerstand dagegen haben.

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