Militante Minderheit gegen Schüler-Tests
Schule. Nach monatelangem Ringen um die Schulen sind sie endlich geöffnet – aber nur für jene, die sich regelmäßig testen lassen. Das sorgt bei manchen Eltern für Empörung. Sie bombardieren Pädagogen mit Vorwürfen und Drohungen.
Ich unterstütze, dass der Unterricht nur mit einem Test besucht wird, zu 100 Prozent.
Paul Kimberger, Lehrergewerkschaft
Wien. „Falls meine Tochter Schaden nimmt, werde ich mich bei Ihnen schadlos und klaglos halten.“„Meine Stieftochter wollte sich vergangene Woche umbringen. Soll ich sie auf dem Friedhof besuchen?“So oder so ähnlich klingen die Ausführungen in manchen E-Mails, WhatsApp-Chats und SMS, die seit vergangener Woche auf Schulleiter und Pädagogen quer durch das Land einprasseln. Die Absender, die die Lehrkräfte dabei teilweise auffordern, auf die Straße zu gehen und sich gegen die Testpflicht der Schüler aufzubäumen, oder drohen, sie zu verklagen, sind besorgte Eltern, die sich fürchten, dass ihren Kindern physische und psychische Schäden zugefügt werden – weil man sie auf das Coronavirus testet.
Am Montag sorgte der mancherorts heftige elterliche Widerstand gegen die Test- und Maskenpflicht für einen ersten Polizeieinsatz: Weil ein Vater und dessen Sohn keine Maske tragen und die Schule nicht verlassen wollten, rückte die Polizei zu einer Mittelschule (MS) im Bezirk Vöcklabruck aus. Der 37-Jährige hatte sein Kind am ersten Schultag nach den Semesterferien begleitet, um zu verhindern, dass es getestet wird, bestätigte die Polizei einen Bericht der „Bezirksrundschau“. Eine Anzeige wegen Nichteinhalten der Coronabestimmungen folgte.
Riskante, einzigartige Strategie
Monatelang suchte die Politik händeringend nach Lösungen, um die Rückkehr der Schüler in die Klassenzimmer zu ermöglichen. Österreich ist aktuell das einzige Land in Europa, das in der Schulfrage auf Präsenzunterricht mit regelmäßigen Selbsttests („Nasenbohrer“Tests), FFP2-Masken und Schichtbetrieb in den mittleren und höheren Schulen setzt. Eine riskante Strategie angesichts sich ausbreitender Virusmutanten und des stockenden Impffortschritts. Doch die psychischen Schäden, die manche Kinder und Jugendliche durch die monatelange Isolation inzwischen erlitten haben, wiegen schwerer. Weshalb das allgemeine Motto inzwischen lautet, die Schulen zu öffnen.
Vorfälle wie in Vöcklabruck sind deshalb wohl nur Ausnahmen. So berichten etwa Wien und Niederösterreich nach einer Woche Präsenzunterricht, dass nur rund ein Prozent der Kinder nicht in die Schulen kommt. Der Widerstand beschränkt sich damit auf eine kleine Minderheit unter den zwei Millionen Eltern. Doch wie auch andere Lager von Coronaskeptikern machen sich diese umso stärker bemerkbar – und sorgen aktuell bei vielen Pädagogen und Schulleitern für Überstunden und glühende Telefone.
Nicht nur der physische Akt, sich ein Wattestäbchen in die Nase zu stecken, sondern vor allem der Umstand, dass ihre Kinder infolge eines positiven Testergebnisses „abgesondert“würden, stößt auf Empörung: „Es ist ein Wahnsinn, was mit unseren Kindern hier veranstaltet wird“, heißt es in einem Elternbrief einer Mutter, der der „Presse“vorliegt. „Beim Gedanken daran kommen mir die Tränen.“
Aus Sicht der Lehrer ist die Lage jedoch klar: „Ich unterstütze das Motto, dass der Unterricht nur mit einem Test besucht werden kann, zu 100 Prozent“, sagt der oberste Lehrergewerkschafter der Pflichtschullehrer, Paul Kimberger, zur „Presse“. Er könne „nicht nachvollziehen, dass Eltern ihr Einverständnis verweigern, weil soweit ich weiß, wollen alle Präsenzunterricht haben“. Das Bildungsministerium verschickt inzwischen Mailvorlagen an die Schulleiter, um auf wiederkehrende (falsche) Vorwürfe zu reagieren. Die Pädagogen selbst sind durch das Amtshaftungsgesetz abgesichert. „Kein Schulleiter kann in irgendeiner Weise geklagt werden“, sagt Kimberger. „In Wirklichkeit müsste man dann die Republik Österreich klagen.“Dennoch sei die Flut an Mails, Anrufen und SMS „unangenehm“, denn „sie nimmt uns viel Energie“. Dabei habe man „genug mit dem Coronamanagement und der pädagogischen Arbeit zu tun“. Eine überwältigende Mehrheit aller Beteiligten würde jedoch die Maßnahmen unterstützen, „weil es darum geht, dass wir unsere Kinder und Jugendlichen bestmöglich durch diese Krise bringen“.
Schulbesuch freiwillig
Aus dem Bildungsministerium heißt es auf „Presse“-Anfrage, dass der Schulbesuch und das Selbsttesten lediglich ein freiwilliges Angebot seien. Tatsächlich ist mit dem Wiederbeginn des Präsenzunterrichts das Distance Learning nicht abgeschafft: Wer sein Kind nicht testen lassen will, kann es zu Hause unterrichten – allerdings mit der Vorgabe, Arbeitsaufträge zeitgerecht abzugeben. „Uns mit absolut fragwürdigen moralischen Floskeln erpressen lassen“, nennt das ein betroffener Vater.
„Wir haben wochenlang dafür gekämpft, dass die Kinder wieder in den Präsenzunterricht zurückkehren“, sagt hingegen Marcus Dekan, Vorsitzender des Verbands der Elternvereine an den höheren und mittleren Schulen Wiens. Er spricht sich ebenfalls explizit für die Selbsttests aus. Die „Nasenbohrer“-Tests seien „niederschwellig genug, um sie den Kindern zuzumuten“, sagt Dekan. „Der Test führe zu keinerlei Beeinträchtigung, zu keiner Einschränkung und auch zu keinen psychischen Schäden“und sei das „kleinere Übel“bei der Abwägung zwischen sozialen Kontakten und Distance Learning. Zwar sei eine Verweigerung eine „freie Entscheidung“, für die er Verständnis habe. Doch bleibe dabei ein „kleiner Wermutstropfen“übrig, nämlich: „Dass diese Kinder nicht in das soziale Gefüge zurückkommen.“
Internationales Interesse
Die österreichische Schullösung sorgt mittlerweile für Interessenten aus dem benachbarten Ausland, wie das Bildungsministerium berichtet. Zahlreiche (Medien-) Anfragen aus deutschen Bundesländern sowie der angekündigte (und aufgrund von nebeligem Wetter abgesagte) Besuch des tschechischen Premiers, Andrej Babis,ˇ der sich am Montag ein Bild der heimischen Schulen machen wollte, werden als Beispiele genannt.
Der enorme logistische Aufwand (pro Woche benötigen die Schulen rund zwei Millionen Tests) führte zu Beginn jedoch zu teilweise chaotischen Zuständen. Kimberger etwa nannte das vor knapp einem Monat ein „organisatorisches Gesamtdesaster“. Inzwischen aber dürfte sich die Lage entspannt haben, wie der Gewerkschafter einräumt: „Im Moment funktioniert es zufriedenstellend.“