Ein neues Leben – in nur zwei Wochen
Tennis. Der Russe Aslan Karazew, Qualifikant und Nummer 114 der Welt, steht im Halbfinale der Australian Open. Eine Cinderella-Story.
Melbourne/Wien. Melbourne war immer schon ein guter Boden für Außenseiter, das belegt ein historischer Auszug der vergangenen 20 Jahre. 2001: Arnaud Clement,´ damals die Nummer 18 der Weltrangliste, erreicht das Finale. 2002: Thomas Johansson (ATP 18) aus Schweden gewinnt das Turnier. 2003: Der Deutsche Rainer Schüttler (ATP 36) dringt bis ins Endspiel vor. 2006: Der Stern des Zyprioten Marcos Baghdatis (ATP 54) geht auf, der nächste Sensationsfinalist. 2008: Jo-Wilfried Tsonga (ATP 38) fehlt ebenfalls nur ein Sieg zum ganz großen Coup.
2021 gehören einem gewissen Aslan Karazew die Schlagzeilen. Seinen Einzug ins Halbfinale nach dem 2:6, 6:4, 6:1, 6:2 gegen ThiemBezwinger Grigor Dimitrow als Überraschung zu bezeichnen wäre allerdings eine Untertreibung, er ist eine wahre Sensation. Der Russe gibt in Melbourne nach bisher neun erfolglosen Anläufen in der Qualifikation sein Debüt im Hauptbewerb eines Grand-SlamTurniers, als erster Spieler in der Open Era seit 1968 hat er es bei seiner Major-Premiere bis ins Halbfinale geschafft.
Das ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, weil Karazew, 27, bislang fast ausschließlich auf der zweithöchsten Challenger-Ebene unterwegs war. Auf der ATP-Tour ist der Mann aus Moskau nicht in Erscheinung getreten, gewann dort nur drei seiner 13 Matches.
Vor nicht einmal zwei Wochen war Karazew also noch ein weitestgehend unbeschriebenes Blatt, jetzt ist er in aller Munde. Gegen Dimitrow fand er nach einem nervösen und fehlerhaften Start („anfangs war es richtig hart“) im zweiten Satz zu seinem Spiel, ab Anfang des dritten Satzes war der favorisierte Bulgare durch Rückenprobleme sichtlich beeinträchtigt, was Karazews Leistung jedoch nicht schmälern soll. Der 27-Jährige sprach nach dem Sieg von einem „unglaublichen Gefühl“.
Von Platz 114 auf 14?
Das Leben des Aslan Karazew hat sich bei diesen Australian Open nachhaltig verändert. Mit dem Halbfinaleinzug sind ihm knapp 536.000 Euro Preisgeld sicher, so viel hatte er zuvor in seiner gesamten Karriere verdient. Nach dem Turnier wird die aktuelle Nummer 114 der Weltrangliste im schlechtesten Fall die Nummer 42 sein.
Zieht er ins Finale ein, winkt Platz 28. Gewinnt er sogar die Australian Open, wird er ab Montag die Nummer 14 sein. Selbst im Falle einer Halbfinalniederlage wird Karazew mit seinem verbesserten
Ranking – er stößt erstmals in die Top 100 vor – fortan sämtliche große Turniere bestreiten können.
Gegner um den Finaleinzug am Donnerstag ist der Weltranglistenerste Novak Djokovic,´ der Alexander Zverev in vier Sätzen bezwang. Der Serbe sagt über Karazew: „Ich wusste vor dem Turnier nicht viel über ihn, aber er hat harte Grundschläge. Und wirklich nichts zu verlieren.“