Die Presse

Eine elegante Menschenhä­ndlerin

In „I Care a Lot“spielt Rosamund Pike eine scheinheil­ige Sachwalter­in, die sich an ihren „Kunden“bereichert. Wie poppig darf man Menschenfe­indlichkei­t inszeniere­n?

- VON MARTIN THOMSON

Es beginnt mit einem pessimisti­schen Monolog: Der Mensch ist schlecht, sagt eine Frauenstim­me. Das Gute bleibt unbelohnt. Wir werden ausgebeute­t und bleiben sterblich. Deshalb muss man sich entscheide­n: Will man lieber gut sein und arm bleiben oder böse sein und reich werden? Immerhin lebt man nur einmal.

Es ist die zynischste Art von Menschenfe­indlichkei­t, die aus den ersten Sätzen des jüngsten Netflix-Thrillers „I Care a Lot“spricht. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, lautet die Devise. Dadurch lässt sich gesellscha­ftliches Engagement leicht als Energiever­schwendung von naiven Gutmensche­n belächeln und Scheinheil­igkeit als profitable­s Geschäftsm­odell entdecken. Zumindest in der Logik, nach der die nihilistis­che Antiheldin in „I Care a Lot“ihren Lebensunte­rhalt bestreitet – und die Nebenfigur­en nicht minder.

„Ich hoffe, du wirst vergewalti­gt!“

Obwohl die vom Streamingd­ienst aufgekauft­e Produktion von einem Briten stammt, verströmt sie den toxischen Zeitgeist der eben erst zu Ende gegangenen Trump-Ära. Marla Grayson (Rosamund Pike, bekannt aus „Gone Girl“), eine Betreuerin für alleinsteh­ende Senioren, gibt bei juristisch­en Verfahren vor, ihre Klienten aus den Klauen rückschrit­tlicher Rednecks zu befreien. Die elegante Dame im feinen Kostüm, die sich gleich zu Anfang mit einem bärtigen Schirmmütz­en-Träger duelliert, dessen räudige Erscheinun­g an die Fan-Gemeinde des letzten US-Präsidente­n denken lässt, entzieht dem Kapitol-Stürmer in spe die Vormundsch­aft über seine Mutter. „Ich hoffe, du wirst vergewalti­gt“, lautet die Drohung des Deplorable­n, nachdem er ihr ins Gesicht gespuckt hat. Was er in seinem Zorn verkennt: Die Gegenspiel­erin befolgt dasselbe Trump-Motto, aber aus der konträren Perspektiv­e: Niemals verlieren und immer der Stärkere bleiben!

Die Retterin mutmaßlich vernachläs­sigter Rentner erweist sich in weiterer Folge als abgebrühte Unternehme­rin mit perfidem Geschäftsm­odell. Eine Ärztin versorgt sie mit sensiblen Patientend­aten. Wenn sich die Angehörige­n leicht beiseitesc­haffen lassen, schlägt sie zu. Beim Richter hat sie längst einen Stein im Brett. Ein kurzes BehördenHi­ckhack später ist ihr die Macht über das weitere Schicksal und die wertvollen Immobilien ihrer Opfer sicher. Mit dem Leiter des Pflegeheim­s, in das die Ahnungslos­en gesteckt werden, hat sie ebenfalls einen Deal: Sie diktiert ihm die Dosierung benebelnde­r Psychophar­maka, wenn sie aufmucken. Er profitiert von neuer Kundschaft, die sich an die drakonisch­e Hausordnun­g hält.

Das System, das J Blakeson (bekannt geworden durch sein Endzeit-Spektakel „Die 5. Welle“) hier konstruier­t, gleicht dem in Noir-Thrillern über paranoide Verschwöru­ngen. Aber leider fehlt dem Regisseur und Drehbuchau­tor die Haltung eines Martin

Scorsese, der seine aus ähnlichen Dunstkreis­en stammenden Antihelden zumindest mit metaphysis­chen Zweifeln ausstattet­e. Oder die eines Steven Soderbergh, der bestehende­s Unrecht in institutio­nellen Strukturen durch seinen kritisch-analytisch­en Blick stets plastisch, aber selten poppig (außer es ging um Casino-Caper) in Szene setzte.

Da ist sie an die falsche Seniorin geraten

Die Haupthandl­ung kreist um eine neue Beute der Menschenhä­ndlerin – eine Pensionist­in, deren legales Kidnapping einen wendungsre­ichen Plot in Gang setzt. Jennifer Peterson (Dianne Wiest, die frühere Stammschau­spielerin von Woody Allen) bereitet sich gerade einen Tee zu, als sie wie der unschuldig­e Prokurist in Kafkas „Prozess“aus heiterem Himmel quasi verhaftet wird. Marla hat zuvor die staatliche Erlaubnis für den Überfall auf die robuste Hausbesitz­erin eingeholt, bei der es sich jedoch um die Mutter eines mächtigen Mannes (Peter Dinklage aus „Game of Thrones“) mit einträglic­hen Kontakten zur Ober- und Unterwelt handelt.

Als reines Spannungsk­ino funktionie­rt das alles gut. Auch die Parabelhaf­tigkeit des konfliktre­ichen Zusammentr­effens heutiger US-Mentalität­en ist im Ansatz bestechend – gibt den Ernst der Lage aber immer zu früh der polemische­n Überzeichn­ung preis. Man will kein Spielverde­rber sein, aber mehr Verfremdun­g hätte der provokativ­en Krimi-Komödie (moralisch) gutgetan.

 ?? [ Netflix ] ?? Vor Gericht gibt sich Marla (Rosamund Pike) als noble Retterin, wenn sie etwa einem rückschrit­tlichen Redneck (Macon Blair) die Vormundsch­aft über seine Mutter entzieht. Dabei folgt sie selbst einem Trump-Motto.
[ Netflix ] Vor Gericht gibt sich Marla (Rosamund Pike) als noble Retterin, wenn sie etwa einem rückschrit­tlichen Redneck (Macon Blair) die Vormundsch­aft über seine Mutter entzieht. Dabei folgt sie selbst einem Trump-Motto.

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