Tess Jarays späte Rückkehr nach Wien
1937 in Wien geboren, lebt und arbeitet die abstrakte Malerin Tess Jaray erfolgreich in London. Bisher hat keine Institution sie nach Wien eingeladen. Bisher.
Es ist fast zwei Jahre her, dass ausgerechnet ein Berliner Galerist, der mit seiner noch dazu „Exile“genannten Galerie in ein winziges Gassenlokal nach Wien übersiedelt war, die erste Einzelausstellung von Tess Jaray in Wien ausrichtete. Niemand kannte diese abstrakte Londoner Malerin mit ihren großformatigen, klaren, strengen Bildern, in denen man u. a. das Dachornament des Stephansdoms erkennen konnte, die im Umfeld dieser Galerie mit vorwiegend jungen Künstlern seltsam zeitlos wirkten. Ab morgen wird sich das geändert haben, da eröffnet ihre Ausstellung im Hauptraum der Secession. Wer ist diese Malerin nur? Der Nachname klingt vertraut: Jaray. 1937 wurde sie in Wien geboren.
Das Interview sei bitte auf Englisch zu führen, wird einem ausgerichtet. „Meine Eltern haben zu Hause kein Deutsch gesprochen“, erklärt Tess Jaray am Montag am Telefon – sie war nicht einmal ein Jahr alt, als sie mit ihrer Familie vor den Nazis fliehen musste. Ganz als „English girl“sei sie am Land, in Worcestershire, aufgewachsen, ging dann nach London, um Kunst zu studieren, war begeistert von vielem, vom italienischen Renaissancemaler Piero della Francesca, vom deutschen Expressionismus, den sie aus nächster Nähe kannte, eher ungewöhnlich im London der 1950er-Jahre. Es war ihre Großtante Lea Bondi-Jaray, die ihn nach England brachte, bei ihr wohnte die junge Kunststudentin damals.
Bondi-Jaray konnte ebenfalls rechtzeitig emigrieren, sie hatte bereits Wiens erste wichtige Galerie für moderne Kunst geleitet, die Galerie Würthle, gemeinsam mit Otto Kallir. 1939 war sie von Friedrich Welz arisiert worden, in letzter Minute presste er Bondi-Jaray auch noch Schieles „Wally“aus ihrem Privatbesitz ab. Das Schicksal dieses Porträts sollte es sein, viele Aktenordner zu füllen – 1998 wurde es, mittlerweile in Besitz des Leopold-Museums, in New York beschlagnahmt, 2010 einigte man sich schließlich und „Wally“wurde um 19 Millionen Dollar rechtmäßig erworben. Von den Erben, Lea Bondi-Jaray war schon verstorben.
Erst mit 19 Jahren nach Wien gereist
Diesen Prozess habe sie nur am Rande verfolgt, erzählt Tess Jaray, obwohl sie ihre Großtante sehr verehrt habe, ihre Bedeutung sei in London immer noch unterschätzt, findet sie. Zu Wien hatte sie allerdings lang keine Beziehung, die Kultur der Eltern habe sie nicht sonderlich interessiert. Wie das so sei als Jugendliche, wie das auch bei ihren Kindern sei, wenn sie ihnen begeistert erzählt, sie habe ein neues Bild fertig – und diese ihr dann sagen, so Jaray: „Ja, klar, ich komme und sehe es mir an, wenn ich mal Zeit habe.“Mit 19 Jahren fand Tess Jaray Zeit, reiste erstmals in die Heimatstadt der Eltern – ihr Vater arbeitete dort als chemischer Ingenieur und Erfinder, ihre Mutter gab Englischstunden, „sonnte sich aber hauptberuflich eher auf Wiens Dächern. Tut man das eigentlich heute noch?“
Diese Dächer, vor allem das des Stephansdoms, seien ihre mächtigste Erinnerung an diese Wien-Reise von 1967, erzählt Jaray. „Es war damals noch nicht so hell beleuchtet wie heute, wirkte dadurch viel mystischer.“Immer wieder „poppt“dieses Muster der Dachschindeln daher auf in ihrem Werk. Genauso wie die (oft architektonischen) Eindrücke, die sie auf späteren Reisen nach Marokko oder Syrien sammelte. Man erkennt sie etwa an den Bodengestaltungen, die Jaray, seit 2010 Mitglied der Royal Academy, als öffentliche Aufträge in England schuf – in Birmingham etwa oder vor der Victoria Station in London. All das sei eben „Teil dieses Kuchens, in den man seine Finger steckt und davon nascht“, erklärt sie ihre künstlerische Methode. Sie greift nicht auf direkte Vorbilder zurück, sondern lässt sich frei inspirieren. „Das ist nicht logisch, sondern intuitiv.“
In der Secession wird man das nachvollziehen können – auch wenn sie bewusst keine Retrospektive zeige, sondern 35 Bilder aus jüngeren Jahren. Und fünf aus den Sechzigern, um die beachtliche Beständigkeit des Werks zu zeigen. Immer gehe es darin um die Schaffung von Raum mit geometrischen und optischen Effekten, um die Relation zum Körper des davorstehenden Betrachters, darum, dass er hineingezogen wird. So auch in ihrer jüngsten Serie runder Bilder – ein schwieriges
Format, so Jaray, selten in der Kunstgeschichte, meist eingepasst in Architektur.
Wie werden diese in der Secession gehängt sein? Jaray schickte ein detailliertes Modell ihres Konzepts für die Ausstellung: „Ganz streng in einer Reihe. Ich möchte alles so einfach und direkt wie möglich präsentieren, dass nichts stört, nichts ablenkt.“So gern wäre sie gekommen zur Eröffnung, immerhin sei diese Einladung in die Secession nach 83 Jahren Abwesenheit ein würdiger Empfang in Wien, findet sie. Nicht, dass sie vorher eine andere Institution gefragt hätte. Das Mumok, immerhin, hat zwei ihrer Bilder in seiner Sammlung.
„Return to Vienna. The Paintings of Tess Jaray“, 19. Februar – 18. April 2021, Dienstag – Sonntag 14 – 18 Uhr.