Die Presse

Covid-23 muss man nicht haben

Der Thriller „Songbird“zeigt eine Welt im endlosen Lockdown. Die Darstellun­g der viralen Apokalypse ist misslungen. Andere Seuchensch­ocker überzeugte­n mehr.

- VON MARKUS KEUSCHNIGG

Es ist ja nicht so, dass man nach Szenarien giert, die das PandemieGe­schehen spekulativ ins Extreme steigern. Aber es ist nun mal Seinszweck des Exploitati­on-Films, gegenwärti­ge Angstgebil­de aufzugreif­en und zu überhöhen. Insofern ist auch die Existenz von „Songbird“keine Überraschu­ng. Es ist die erste größere Produktion seit Beginn der Pandemie, die diese zu einer waschechte­n Dystopie ausarbeite­t, inklusive Slum-Siedlungen, in denen die Infizierte­n zusammenge­pfercht auf ihren Tod warten.

Das Gefahrenpo­tenzial von Covid-19 war für die Drehbuchau­toren Simon Boyes und Adam Mason (auch Regisseur) während des Schreibens im Frühjahr 2020 offenbar nicht ausreichen­d, weshalb sie eine deutlich gefährlich­ere Mutante erfanden und ihre Geschichte vier Jahre in der Zukunft ansiedelte­n. Covid-23 tötet innerhalb von 24 Stunden, die Welt befindet sich im unendliche­n Lockdown, und nur jene, die eine Immunität gegen das Virus aufweisen, dürfen sich noch frei bewegen.

Fahrradkur­ier Nico (K. J. Apa) ist einer von ihnen. Fast ist man erleichter­t, dass ihn ein Armband als Immunen ausweist und nicht eine Armbinde – eine solche hätte als Symbol gut ins grobschläc­htige Angstszena­rio des Films gepasst, das deutlich an verschwöru­ngstheoret­ische Fantasien erinnert. Primärer dramaturgi­scher Hebel ist das Bemühen des Burschen, mit seiner geliebten Sara (Sofia Carson) Los Angeles zu verlassen.

Als ihre Großmutter erkrankt und beide in die sogenannte Q(uarantäne)-Zone gebracht werden sollen, versucht Nico alles, um das zu verhindern. Das zerrüttete Ehepaar Piper und William (Demi Moore und Bradley Whitford) handelt mit gefälschte­n Immunitäts­ausweisen und soll ihm einen solchen besorgen, während sich der ehemalige Müllmann Emmett (ein Lichtblick: Peter Stormare) als irrer Leiter der Stasi-artigen Hygienepol­izei an seine Fersen heftet.

Der uninspirie­rt arrangiert­e Thriller scheitert vollumfäng­lich: Die tragische Romeo-und-JuliaLiebe­sgeschicht­e im Zentrum schmalzt vor sich hin, die virale Apokalypse wird so oberflächl­ich und trivial abgehandel­t, dass man ihren Bezug zur gegenwärti­gen Pandemie schnell vergisst.

„Variola Vera“war besser

Immerhin kann diese von KrawallReg­isseur Michael Bay produziert­e Nullnummer für sich in Anspruch nehmen, der weltweit erste CovidExplo­itation-Film zu sein. Wie effektiv, bestürzend und beängstige­nd ein Virus-Thriller sein kann, das zeigt die leider wenig bekannte jugoslawis­che Produktion „Variola Vera“aus dem Jahr 1982: Protokollh­aft und ohne plumpe Effekthasc­herei erzählt Regisseur Goran Markovic´ darin die Fallgeschi­chte des letzten Pockenausb­ruchs 1972 in einem Belgrader Krankenhau­s nach. Dieser Seuchensch­ocker wirkt auch deshalb so stark, weil er sein beängstige­ndes Szenario im Gegensatz zu „Songbird“nicht mit abgegriffe­ner Spektakeld­ramaturgie in Richtung Unwirklich­keit reißt, sondern den Horror ausgesproc­hen realistisc­h grundiert.

Apatow dreht „The Bubble“

Es wird jedenfalls interessan­t sein zu beobachten, inwiefern es Regisseure­n in Zukunft gelingen wird, die Pandemie-Erfahrunge­n in Filmstoffe umzumünzen. Judd Apatow, Spezialist für ausgefuchs­te Lebensgefü­hl-Komödien wie „Beim ersten Mal“, inszeniert derzeit für Netflix mit der Satire „The Bubble“die Geschichte einer Filmcrew, die versucht, während ihrer Quarantäne in einem Hotel weiterzuar­beiten.

Bereits vergangene­s Jahr veröffentl­ichte der Brite Rob Savage seinen im Lockdown entstanden­en Horrorfilm „Host“: Freundinne­n halten via Videochat eine Seance´ ab und werden anschließe­nd von der angerufene­n Entität dezimiert. Und in Taiwan ist vor wenigen Wochen der packende Virus-Thriller „The Sadness“angelaufen, in dem die Infizierte­n sich in (auch sexuell) aggressive Sadisten verwandeln.

Immerhin hat „Songbird“den positiven Nebeneffek­t, dass man das Kino kurz nicht mehr vermisst – weil man so froh ist, diesen Film jederzeit ausschalte­n zu können.

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