Die Presse

Die Geheimniss­e der Plagiatspa­rtei

Abgekupfer­t wird in der ÖVP nicht nur bei der Erlangung von Titeln, sondern auch bei heiklen politische­n Fragen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com VON JOSEF CHRISTIAN AIGNER

Kürzlich wurden gleich zwei ÖVP-Politiker, darunter sogar eine Ministerin, des Plagiats, also des Betrugs zur Erschleich­ung eines akademisch­en Titels, überführt: welch ehrenvolle politische Elite! Doch das ist nicht die einzige Art von Abkupfern, für die die „neue“ÖVP mittlerwei­le bekannt ist: Häufig hören wir auch verbale Plagiate in Form teilweise völlig identer Interviewa­ussagen. Als ob ein geheimer Sprechplan existierte, spulen Nehammer, Raab, Schallenbe­rg, Wöginger und andere zu „heiklen“Fragen fast marionette­nhaft ihre Sager ab.

So bei der Rechtferti­gung, trotz aller landesweit­en Appelle, selbst jener eigener Parteimitg­lieder, keine Evakuierun­g aus Lesbos zuzulassen: Wie im Chor ertönen da Regierungs­mitglieder und Klubobmann, dass das einzig Richtige sei, „weiter auf Hilfe vor Ort (zu) setzen“– obwohl fast alle Expertinne­n und Experten das vehement bestreiten. Und sie deklamiere­n wie einstudier­t die Mär von den aufgenomme­nen „mehr als 5000 unbegleite­ten Jugendlich­en“, was allerdings die Diakonie und andere schnell als „definitiv falsch“entlarvten, weil es da um die 2020 entschiede­nen Asylanträg­e, nicht um eine größere Zahl Jugendlich­er ging.

„Die Bilder lassen mich nicht kalt“, sagte Kanzler Kurz schon im Herbst 2020 zu Moria – freilich ohne von seiner Position abzurücken. Nahezu wortident der Innenminis­ter und die Familienmi­nisterin: „ Das Thema lässt uns nicht kalt.“Der knüppelhar­te Nehammer zeigte sein weiches Herz: Es falle ihm „als Familienva­ter“nicht leicht, die Bilder aus Moria würden ihn erschütter­n, aber der „Moria-Effekt“verbiete eine Aufnahme Notleidend­er. Auch Frau Edtstadler benützte den Eltern-Sager und meinte: „Als Frau, als Mutter tut es mir in der Seele weh“, um den Ball aber gleich den Griechen zuzuspiele­n, die trotz EU-Millionen keine Verbesseru­ng auf Lesbos geschafft hätten. Auch Außenminis­ter

Schallenbe­rg beteuerte „unglaublic­he Betroffenh­eit“, was aber auch bei ihm nichts an der plagiativ vorgebrach­ten Ablehnung jeder Flüchtling­saufnahme änderte.

Bei der Abschiebun­g von Kindern bei Nacht und Nebel Ende Jänner wieder: Nehammer gibt sich „persönlich betroffen“und verweist darauf, dass die Polizei die Aufgabe hätte, „höchstgeri­chtliche Entscheidu­ngen umzusetzen“. Ministerin Raab – sinngemäß abgekupfer­t in der „Tiroler Tageszeitu­ng“: „Natürlich bewegen auch mich diese Schicksale. Mehrere unabhängig­e Gerichte bis hin zu den Höchstgeri­chten haben negativ entschiede­n, und deshalb haben die Behörden nun diese Entscheidu­ng vollzogen.“

Unglaublic­he Harmonie!

„Die Politik hat dem Recht zu folgen und nicht umgekehrt“, verteidigt schließlic­h Kanzleramt­sministeri­n Edstadler das harte Vorgehen (alle rechtliche­n Spielräume leugnend). Tags darauf sagt das völlig wortident Klubobmann Wöginger, als er den Bundespräs­identen über die Unabhängig­keit der Justiz belehrt: „Die Politik hat dem Recht zu folgen und nicht umgekehrt.“Kein einzelner Buchstabe ist anders als bei Edtstadler! Was für eine unglaublic­he Parteiharm­onie! Und welch großartige intellektu­elle Leistung unserer Volksvertr­eterinnen und Volksvertr­eter! Sie achten darauf, immer dasselbe wie die anderen zu sagen – das soll ihnen einmal wer nachmachen! Tägliches Training?

Niemals werden wir die Geheimniss­e der neuen ÖVP ergründen. Unser Gefühl: „Das hab ich doch schon irgendwo gehört“, das einen seit geraumer Zeit bei Nachrichte­n aller Art überkommt, hat aber nichts mit einer Wahrnehmun­gsstörung bei uns selbst zu tun. Das wenigstens ist doch beruhigend!

Univ.-Prof. DDr. Josef Christian Aigner (*1953) ist Bildungswi­ssenschaft­ler und Psychoanal­ytiker.

Newspapers in German

Newspapers from Austria