Die Geheimnisse der Plagiatspartei
Abgekupfert wird in der ÖVP nicht nur bei der Erlangung von Titeln, sondern auch bei heiklen politischen Fragen.
Kürzlich wurden gleich zwei ÖVP-Politiker, darunter sogar eine Ministerin, des Plagiats, also des Betrugs zur Erschleichung eines akademischen Titels, überführt: welch ehrenvolle politische Elite! Doch das ist nicht die einzige Art von Abkupfern, für die die „neue“ÖVP mittlerweile bekannt ist: Häufig hören wir auch verbale Plagiate in Form teilweise völlig identer Interviewaussagen. Als ob ein geheimer Sprechplan existierte, spulen Nehammer, Raab, Schallenberg, Wöginger und andere zu „heiklen“Fragen fast marionettenhaft ihre Sager ab.
So bei der Rechtfertigung, trotz aller landesweiten Appelle, selbst jener eigener Parteimitglieder, keine Evakuierung aus Lesbos zuzulassen: Wie im Chor ertönen da Regierungsmitglieder und Klubobmann, dass das einzig Richtige sei, „weiter auf Hilfe vor Ort (zu) setzen“– obwohl fast alle Expertinnen und Experten das vehement bestreiten. Und sie deklamieren wie einstudiert die Mär von den aufgenommenen „mehr als 5000 unbegleiteten Jugendlichen“, was allerdings die Diakonie und andere schnell als „definitiv falsch“entlarvten, weil es da um die 2020 entschiedenen Asylanträge, nicht um eine größere Zahl Jugendlicher ging.
„Die Bilder lassen mich nicht kalt“, sagte Kanzler Kurz schon im Herbst 2020 zu Moria – freilich ohne von seiner Position abzurücken. Nahezu wortident der Innenminister und die Familienministerin: „ Das Thema lässt uns nicht kalt.“Der knüppelharte Nehammer zeigte sein weiches Herz: Es falle ihm „als Familienvater“nicht leicht, die Bilder aus Moria würden ihn erschüttern, aber der „Moria-Effekt“verbiete eine Aufnahme Notleidender. Auch Frau Edtstadler benützte den Eltern-Sager und meinte: „Als Frau, als Mutter tut es mir in der Seele weh“, um den Ball aber gleich den Griechen zuzuspielen, die trotz EU-Millionen keine Verbesserung auf Lesbos geschafft hätten. Auch Außenminister
Schallenberg beteuerte „unglaubliche Betroffenheit“, was aber auch bei ihm nichts an der plagiativ vorgebrachten Ablehnung jeder Flüchtlingsaufnahme änderte.
Bei der Abschiebung von Kindern bei Nacht und Nebel Ende Jänner wieder: Nehammer gibt sich „persönlich betroffen“und verweist darauf, dass die Polizei die Aufgabe hätte, „höchstgerichtliche Entscheidungen umzusetzen“. Ministerin Raab – sinngemäß abgekupfert in der „Tiroler Tageszeitung“: „Natürlich bewegen auch mich diese Schicksale. Mehrere unabhängige Gerichte bis hin zu den Höchstgerichten haben negativ entschieden, und deshalb haben die Behörden nun diese Entscheidung vollzogen.“
Unglaubliche Harmonie!
„Die Politik hat dem Recht zu folgen und nicht umgekehrt“, verteidigt schließlich Kanzleramtsministerin Edstadler das harte Vorgehen (alle rechtlichen Spielräume leugnend). Tags darauf sagt das völlig wortident Klubobmann Wöginger, als er den Bundespräsidenten über die Unabhängigkeit der Justiz belehrt: „Die Politik hat dem Recht zu folgen und nicht umgekehrt.“Kein einzelner Buchstabe ist anders als bei Edtstadler! Was für eine unglaubliche Parteiharmonie! Und welch großartige intellektuelle Leistung unserer Volksvertreterinnen und Volksvertreter! Sie achten darauf, immer dasselbe wie die anderen zu sagen – das soll ihnen einmal wer nachmachen! Tägliches Training?
Niemals werden wir die Geheimnisse der neuen ÖVP ergründen. Unser Gefühl: „Das hab ich doch schon irgendwo gehört“, das einen seit geraumer Zeit bei Nachrichten aller Art überkommt, hat aber nichts mit einer Wahrnehmungsstörung bei uns selbst zu tun. Das wenigstens ist doch beruhigend!
Univ.-Prof. DDr. Josef Christian Aigner (*1953) ist Bildungswissenschaftler und Psychoanalytiker.