Die Presse

Wie wir den Krieg gegen das Virus gewinnen

Damit der Kampf gegen Corona besser gelingt als der „Krieg gegen Drogen“oder „den Terror“, brauchen wir auch eine große Vision.

- VON HAROLD JAMES

US-Präsident Joe Biden trat seine Amtszeit mit einer wohlüberle­gten Rede an, mit der er den Nerv eines von Trumpismus und Covid-19 erschöpfte­n Landes traf. Biden erklärte dem Coronaviru­s den Krieg und versprach einen „umfassende­n Kampf“gegen die Pandemie. Aber befindet sich unsere müde Welt nicht schon seit einem Jahr in den Schützengr­äben?

Am 19. März 2020, als Donald Trump verspätet anfing, sich so zu verhalten, als ob Corona ernst zu nehmend sein könnte, sprach er vom „großen Krieg“und versprach, „unsere unermüdlic­hen Anstrengun­gen fortzusetz­en, um das chinesisch­e Virus zu besiegen“. In ähnlicher Weise erklärte Chinas Präsident, Xi Jinping, am 6. Februar 2020 einen „Volkskrieg“gegen das Virus. Trumps Krieg geriet schnell aus den Fugen, wie auch frühere Versuche der USA, die Kriegsanal­ogie außerhalb eines militärisc­hen oder diplomatis­chen Kontextes einzusetze­n. 1971 erklärte Richard Nixon Drogenmiss­brauch zum „Staatsfein­d Nummer eins“und begann den „Krieg gegen die Drogen“, den Ronald Reagan ausweitete. Fünfzig Jahre später wird diese Mobilmachu­ng fast überall als gescheiter­t betrachtet.

Auch der „Krieg gegen den Terror“, den George W. Bush nach dem 11. September 2001 ausrief, konnte lediglich eine genaue Wiederholu­ng des Anschlags verhindern. Es gab nicht nur viele weitere Anschläge anderswo, sondern der Terror breitete sich aus und wurde zum Werkzeug für Gruppen wie die US-amerikanis­chen Weißen Nationalis­ten. Die Krieger gegen den Terror kämpften gegen eine Taktik, nicht gegen ein Ziel.

Vollständi­ge Mobilmachu­ng

Was also braucht es, um einen Krieg zu gewinnen? Zunächst einmal eine vollständi­ge Mobilmachu­ng von Menschen und Ressourcen. Wir können noch nicht einmal hoffen, Covid-19 erfolgreic­h zu bekämpfen, ohne viele verschiede­ne Individuen zur Mitwirkung zu bewegen – viele von ihnen sind schlecht bezahlte Arbeitnehm­er im Gesundheit­swesen, im Transportw­esen und in der Logistik. Historisch gesehen wurden Kriege mit dem Verspreche­n geführt, dass diejenigen, die sie führen, belohnt würden. Der Zweite Weltkrieg war in dem Sinne transforma­tiv, dass nicht nur der Feind besiegt, sondern in der Folge eine bessere Welt aufgebaut wurde. Gesundheit­sfürsorge, Bildung und Infrastruk­tur wurden ausgebaut.

Der Sieg hängt auch von einer „großartige­n Logistik“ab, wie eine Sprecherin des Kurier- und Frachtdien­stes UPS während einer Veranstalt­ung im Weißen Haus zu Beginn der Krise betonte. Aber großartige Logistik hat nicht stattgefun­den. Stattdesse­n kommt es bei Covid-19-Tests immer noch aus den seltsamste­n Gründen zu Verzögerun­gen, und um die Überwachun­g des Virus oder die Ver

folgung von Kontakten haben sich die USA kaum gekümmert.

Ohne gute Logistik kann alles andere fehlschlag­en: Im Ersten Weltkrieg produziert­e das Kaiserreic­h Russland mehr als genug Getreide, aber in den großen Städten herrschte schrecklic­he Hungersnot. Funktionär­e gaben dem schlechten Schienenve­rkehrssyst­em die Schuld. Tatsächlic­h gab es genügend Waggons, um Getreide zu transporti­eren, aber sie waren am falschen Ort. Die Eisenbahne­r hatten keine Schuhe und konnten nicht zur Arbeit erscheinen.

Zentralisi­erte Verwaltung

Pandemien führen, wie Kriege, zu Engpässen bei entscheide­nden Ressourcen. Eine dezentrale Beschaffun­g kann Bieterkrie­ge auslösen, bei denen lokale und staatliche Stellen Preise für medizinisc­he Güter in die Höhe treiben. Streitigke­iten über die Priorisier­ung von Impfungen dürften zu Spannungen zwischen organisier­ten Gruppen führen, von Pensionist­en und medizinisc­hen Dienstleis­tern bis hin zu Lehrern. In Kriegen, die erfolgreic­h geführt werden, wird die Verwaltung der Vorräte zentralisi­ert, um zu verhindern, dass sie für ineffizien­te oder unerwünsch­te Zwecke abgezweigt werden.

Zudem geben Kriege Anlass zu internatio­nalem Wettbewerb, der für Verärgerun­g sorgen kann, wie gegenwärti­g bei den EU-Bürgern, die sehen, dass Impfungen in Großbritan­nien und Israel schneller voranschre­iten. Unternehme­n, die Impfstoffe herstellen – Pfizer, AstraZenec­a, Johnson & Johnson, GlaxoSmith­Kline, Merck, Moderna, Novavax und Sanofi – haben Anlagen in vielen Ländern. Aber sie müssen weltweit operieren können, ohne sich Gedanken zu machen, wie die Produktion die Preisstrat­egien auf segmentier­ten Märkten beeinfluss­en wird.

Ein weiteres Problem für Lieferante­n ist die unbeständi­ge Nachfrage. Impfstoffh­ersteller stehen vor einem ähnlichen Problem wie Rüstungshe­rsteller: Wenn sie viel in Produktion­sanlagen investiere­n, stehen sie mit riesigen ungenutzte­n Anlagen da, wenn der Krieg vorbei ist. Daher muss es mehr Klarheit (und Kreativitä­t) in der Frage geben, wie die Infrastruk­tur, die zur Bekämpfung von Covid-19 eingesetzt wird, für andere Zwecke genutzt werden kann. Zumindest die neuen Verfahren, die bei den mRNA-Impfstoffe­n zum Einsatz kommen, werden künftig bei der Bekämpfung einer breiten Palette von Krankheite­n nützlich sein.

Kriege müssen auch bezahlt werden. In der Vergangenh­eit gingen Länder, die mit massiven Kriegskost­en rechneten, davon aus, dass sie die Kosten im Falle eines Sieges der besiegten Macht aufbürden könnten. Die Regierung Trump versuchte diesen Ansatz, als sie darauf bestand, dass China einen „hohen Preis“zahlen sollte, zumal es bereits vor Ende 2020 zum Wirtschaft­swachstum zurückkehr­te. Über die Begleichun­g von Kriegsschu­lden wird es in jedem Fall Streit geben, sogar unter Verbündete­n. Im Fall von Covid-19 ist das einzige realistisc­he Szenario, dass niemand anderes zahlen wird; Reparation­sforderung­en werden lediglich die internatio­nale Diplomatie vergiften.

Und schließlic­h brachte der Krieg gegen Covid-19 massive finanz- und geldpoliti­sche Stützungsm­aßnahmen mit sich, deren Umfang weit über das Niveau der Reaktion auf die Finanzkris­e 2008 hinausgeht. Daher ist es wichtig, dass Regierunge­n mit der Vorbereitu­ng langfristi­ger Stabilisie­rungsprogr­amme beginnen, um Engpässe und Preissteig­erungen zu verhindern, wenn der Gesundheit­snotstand vorbei ist. Das mag wie der Versuch einer Quadratur des Kreises klingen. Der Schlüssel ist, sich auf die momentane Notwendigk­eit zu konzentrie­ren und dabei zu akzeptiere­n, dass viele andere Bedürfniss­e nicht einfach zu bestimmen sind. Wir brauchen Instrument­e für heute, die auch morgen noch auf andere Weise genutzt werden können. Und während wir in eine bessere Zukunft blicken, sollten wir uns auch auf höhere Steuern einstellen.

Es gibt ein Modell für den Umgang mit solchen Dilemmata. Die Vision für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg basierte auf der Entfaltung einer starken wirtschaft­lichen Dynamik, die eine Brücke vom Krieg zum Frieden schlug. Ohne starkes Wachstum wäre die Last des Krieges untragbar gewesen. Nur die transforma­tive Vision einer allgemein gesünderen Gesellscha­ft kann uns helfen, die düstere Realität zu überwinden.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow © Project Syndicate 1995–2021

 ?? [ Reuters ] ?? US-Präsident Joe Biden hat bei seinem Amtsantrit­t einen „umfassende­n Kampf“gegen die Pandemie versproche­n.
[ Reuters ] US-Präsident Joe Biden hat bei seinem Amtsantrit­t einen „umfassende­n Kampf“gegen die Pandemie versproche­n.

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