Darf man Verständnis dafür haben, dass nun mehr gepfuscht wird?
Die Schwarzarbeit ist stark gestiegen. Offensichtlich wollen sich nicht alle Menschen auf den Staat verlassen. Über Moral und Gerechtigkeit in der Krise.
Seit gestern ist es amtlich: Die Kurzarbeit wird um weitere drei Monate verlängert. Und zwar ohne nennenswerte Einschränkungen. So sehr dieser Schritt für geschlossene Branchen wie den Tourismus oder den Kulturbereich nötig ist, so bedenklich ist dies für andere Wirtschaftszweige. Denn Sinn und Zweck der Kurzarbeit ist es eigentlich, den Menschen eine Perspektive und den Unternehmen Planungssicherheit zu geben. Davon kann mittlerweile keine Rede mehr sein. Für immer mehr Mitarbeiter wird die Kurzarbeit zu einer psychischen Belastung. „Die Leute wollen arbeiten“, sagt so ziemlich jeder Unternehmer. Und die Leute reagieren auf unterschiedliche Art auf diese Entwicklung.
Friedrich Schneider ist einer der wenigen Ökonomen, die sich intensiv mit dem Phänomen Schwarzarbeit beschäftigen. Jahr für Jahr veröffentlicht er seine Pfuscher-Statistik. Und stetig steigt die Steuermoral in Österreich. Es wird immer weniger gepfuscht. So war es zumindest bis vor einem Jahr. Mit zunehmendem Wohlstand hat die Zahl jener abgenommen, die sich etwas dazuverdienen wollen oder gar müssen. Und im Laufe der Jahre ist auch die Polsterung des Sozialstaates nahezu perfektioniert worden.
Gleichzeitig hört man immer öfter, dass der soziale Aufstieg bei uns vergleichsweise schwierig ist. Fürs persönliche Weiterkommen sind nämlich die anderen, ja das System, verantwortlich. Beziehungsweise sind diese schuld am Nicht-Weiterkommen. Heute ist Corona schuld.
Und natürlich ist Corona auch dafür verantwortlich, dass die Schwarzarbeit im Vorjahr sprunghaft angestiegen ist. So stark wie seit 20 Jahren nicht, sagt Professor Schneider. Im Schnitt waren 467.000 Menschen arbeitslos gemeldet, um 28,5 Prozent mehr als 2019. Im April waren mehr als eine Million in Kurzarbeit. Mittlerweile gibt es Leute, die seit fast einem Jahr in Kurzarbeit sind. Und manche wollen und können sich nicht damit abfinden, dass sie zwar bis zu 90 Prozent ihres ursprünglichen Gehalts beziehen, aber nur 30 Prozent arbeiten.
Natürlich ist es nicht fein, wenn jemand Steuern hinterzieht. Und Schwarzarbeit ist im Grunde nichts anderes. Sie schädigt jene, die sich an die Regeln halten. Dennoch sagen 60 Prozent in diesem Land, dass sie Pfusch nicht verurteilen, manche heißen ihn sogar dezidiert gut. Selbst Ökonom Friedrich Schneider gewinnt der Schwarzarbeit positive Seiten ab. Sie generiert nämlich Wohlstand. Wer pfuscht, investiert nicht in Bitcoin, sondern gibt das Geld wieder aus, kurbelt den Konsum an.
Man könnte auch sagen: Die Schwarzarbeit ist ein Indikator für wirtschaftspolitische Missstände. Sie steigt etwa, wenn „offizielle“Arbeit zu hoch besteuert wird. Grob gerechnet lautet die Formel 10 – 50 – 100. Ein Installateur etwa, der zehn Euro pro Stunde netto verdient, kostet seinen Chef 50 Euro. Dieser wieder muss vom Kunden 100 Euro brutto für die Handwerker-Stunde verlangen, um kostendeckend zu wirtschaften. Von Steuergerechtigkeit kann da schon lang keine Rede mehr sein.
Der sprunghafte Anstieg des Pfuschs ist aber auch ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft in einem viel zu radikalen Ausmaß abgewürgt worden ist. Für viele Unternehmen zahlte es sich einfach nicht aus, Aufträge anzunehmen. Schließlich sind Staatshilfen inklusive Kurzarbeit um vieles attraktiver. Dieser Versorgungsengpass wurde umgehend ausgefüllt.
Als die Kurzarbeit im Herbst ein drittes Mal verlängert wurde, kursierte der etwas verharmlosende Begriff vom Winterschlaf. Noch einmal in den Winterschlaf, und dann ausgeruht und voller Tatendrang durchstarten. Von diesem Bild hat man sich nun verabschiedet. Mit der Ankündigung, dass die Hotels und Restaurants bis Ostern geschlossen bleiben und die Kurzarbeit bis Ende Juni prolongiert wird, versetzt man die heimische Wirtschaft nun in einen künstlichen Tiefschlaf.
Viele mögen dafür Verständnis haben. Manche beginnen zu begreifen, dass man sich nicht immer auf den Staat verlassen kann.
E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com