Großbritannien schöpft Hoffnung
Coronavirus. Starker Rückgang der Infektionszahlen in England, Wiedereröffnung der Schulen in Schottland – Premierminister Boris Johnson will endlich den Weg aus dem Lockdown vorstellen.
Wir haben Grund zur Zuversicht, dass wir nun rasch aus dem Lockdown herauskommen.
London. Mit der dramatischen Einschränkung des öffentlichen Lebens seit Jahresbeginn scheint es Großbritannien nun zu gelingen, die Ausbreitung des Coronavirus wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Zahl der Neuinfektionen ist seither in England um zwei Drittel gesunken, wie eine gestern, Donnerstag, in London vorgestellten Studie des Imperial College ergab. Da zugleich die Impfung der Bevölkerung in raschem Tempo voranschreitet – fast 16 Millionen Menschen, darunter die Hochrisikogruppen, haben bereits mindestens eine Dosis erhalten –, wächst der Druck auf die Regierung zu einer baldigen Lockerung der Restriktionen. Premierminister Boris Johnson will am kommenden Montag einen Zeitplan vorstellen, warnt aber: „Daten zählen, nicht ein Datum.“
Obwohl sich Johnson in den vergangenen Tagen „optimistisch“über die Entwicklung geäußert hat, betont er: „Wie werden vorsichtig und vernünftig vorgehen.“Nachdem Schottland am Montag seine Schulen wieder öffnen wird, erwartet man für England eine Rückkehr der Schüler am 8. März. Die Schulöffnung habe für Johnson „oberste Priorität“, hieß es. Überlegt wird die Einführung einer Testpflicht, wobei die Überprüfung zweimal in der Woche von den Eltern zu Hause vorgenommen werden soll. Derzeit gibt es dafür aber nicht genügend Tests im Land.
Kinder als Überträger
Mark Woolhouse Universität Edinburgh
Vor einer allgemeinen Öffnung aller Schulen zum selben Zeitpunkt warnen Experten aber auch unter Hinweis auf die Studie des Imperial College. Denn obwohl die Ergebnisse „wirklich ermutigend“seien, wie Professor Paul Elliott sagte, breitet sich das Virus derzeit am schnellsten in der Gruppe der Fünf- bis Zwölfjährigen aus.
Einen möglichen Grund sehen Experten darin, dass rund ein Viertel aller Volksschulkinder derzeit weiterhin die
Schule besucht. Professor Steven Riley bezeichnete die Rückkehr zu einem vollen Unterrichtsbetrieb so auch als „sehr heikle Abwägung“. Nicht viel anders sieht es mit der Wirtschaft aus. Trotz der Bekenntnisse von Johnson – dem immer noch vorgeworfen wird, im Vorjahr viel zu früh den damaligen Lockdown aufgehoben zu haben – zu Vorsicht und Umsicht, wachsen die Erwartungen mit jeder guten Nachricht an. Der Premierminister wird es schwer finden, seine Landsleute zu enttäuschen. Hinter den Kulissen wird an Plänen gearbeitet, wonach der Handel ab Mitte April wieder öffnen darf, die Gastronomie dann Ende desselben Monats und schließlich Kinos, Theater und Konzerte ab Mai wieder erlaubt sein werden. Für den Sommer hat die Regierung Gespräche über Flugkorridore mit Griechenland aufgenommen.
4,5 Mio. Kurzarbeiter
Wirtschaftsvertreter betonen dieser Tage unentwegt, dass man die gegenwärtige Situation nicht mehr lang durchhalten könne. Fast zwei Millionen Briten haben seit sechs Monaten nicht mehr gearbeitet, erklärte gestern der Thinktank Resolution Foundation, weitere 4,5 Millionen sind demnach immer noch in Kurzarbeit. Wenn die Regierung bei der Vorstellung ihres Budgetentwurfs Anfang März ihre Ankündigung wahr macht, die bisherigen staatlichen Stützungen auslaufen
zu lassen, sieht sich ein Viertel aller Betriebe zur Entlassung von Arbeitnehmern gezwungen, warnte gestern die British Chamber of Commerce. Bisher hat die Regierung allein für Kurzarbeit 46 Milliarden Pfund ausgegeben.
Obwohl die Experten weiter zu Vorsicht raten, scheint die Verbindung aus striktem Lockdown und raschen Impfungen langsam zu greifen. Bis Mai sollen alle Menschen über 50 geimpft sein. Die Zahl der Neuinfektionen betrug am Mittwoch 12.718 Fälle, ein Rückgang um 24 Prozent im Wochendurchschnitt. Erneut erlagen 738 Menschen dem Virus. Die Zahl der Infizierten fiel in England aber zuletzt von 1,57 Prozent Anfang Jänner auf 0,51 Prozent Mitte Februar. Die Übertragungsrate, mit der sich das Virus ausbreitet, sank auf 0,72. Vorreiter ist London, wo die Infektionsrate um 80 Prozent sank.
Ernst, aber unter Kontrolle, bleibt die Lage im Gesundheitswesen: 4800 Patienten waren zuletzt in kritischem Zustand, aber 1200 Intensivbetten waren noch verfügbar. Professor Mark Woolhouse von der Universität Edinburgh erklärte vor einem Parlamentsausschuss: „Wir haben Grund zur Zuversicht, dass wir nun rasch aus dem Lockdown herauskommen können.“
AUF EINEN BLICK
Corona. Die Pandemie hat Großbritannien besonders hart erwischt. Das Land musste bis dato knapp 119.000 Todesopfer verzeichnen. Lichtblick ist hingegen die erfolgreiche Impfkampagne: Mit 24,3 verabreichten Impfungen pro 100 Personen liegt das Land weltweit auf Platz drei.