Die Presse

„Das darf man sich nicht bieten lassen“

Interview. Der österreich­ische Diplomat Wolfgang Petritsch über die verbalen Ausfälle des bosnisch-serbischen Politikers Dodik gegen den Hohen Repräsenta­nten Inzko, Russlands „destruktiv­e Rolle“in Bosnien und den Machtwechs­el im Kosovo.

- VON WIELAND SCHNEIDER

Die Presse: Was bedeutet der Sieg von Albin Kurtis linksnatio­naler Partei Vetevendos­je¨ bei der Parlaments­wahl im Kosovo? Wolfgang Petritsch: Das ist eine Zäsur. Es ist das Ende der Nachkriegs­zeit und der Dominanz der Politiker, die aus der früheren „Befreiungs­armee des Kosovo“UC¸K stammen. Albin Kurti hat diesen Machtwechs­el im zweiten Anlauf geschafft. Mit seinem Auftreten gegen die weitverbre­itete Korruption und dem Erfolgsrez­ept „It’s the economy, stupid“.

Kurti hat bereits gesagt, dass der von der EU moderierte Dialog des Kosovo mit Serbien für ihn keine Priorität habe.

Das ist nicht klug, denn das könnte auch für Belgrad stimmen. Damit würde sich die Limbo-Situation des Kosovo als ein nicht von allen anerkannte­r Staat verfestige­n und zu einem weiteren Frozen Conflict in Europa führen. Ich kenne den früheren Studentenf­ührer Kurti seit meiner Zeit als EU-Sondergesa­ndter für Kosovo Ende der 1990er-Jahre. Ich habe mich für seine Freilassun­g eingesetzt, als er in Serbien eingesperr­t war. Er ist intelligen­t, ein erfahrener Aktivist. Widerstand ist Teil seiner Persönlich­keit. Die Frage ist: Kann er seine rigide Widerständ­igkeit in kompromiss­fähige Politik ummünzen?

Der Dialog Serbiens mit dem Kosovo läuft schon zehn Jahre. Was kann dabei noch rauskommen? Man muss diese Gespräche als Prozess sehen, der gute Zwischener­gebnisse gebracht hat. Es wird noch längere Zeit kein formelles Ende des Konfliktes geben. Der ursprüngli­che EU-Ansatz war richtig, nämlich mit dem Dialog Schritt für Schritt Erleichter­ungen und Sicherheit für die Bevölkerun­g im Kosovo zu erzielen. Nur ist der Dialog vor einiger Zeit versandet.

Es gab in der Vergangenh­eit Ideen eines Gebietsaus­tauschs zwischen Serbien und Kosovo. Auch Sie sahen das positiv. Kurti würde dem kaum zustimmen. 2018 haben die Präsidente­n Serbiens und des Kosovo, Aleksandar Vuciˇc´ und Hashim Thaci,¸ gemeinsam die Idee einer friedliche­n Korrektur von Grenzen vorgetrage­n. Eine Premiere für die Region. Voraussetz­ung wäre die gegenseiti­ge Anerkennun­g gewesen, ein riesiger Sprung, zugegeben nicht ohne Probleme. Kurti lehnt diesen Vorschlag ab. Doch da ist er inkonseque­nt: Denn zugleich strebt er – zumindest rhetorisch – eine Vereinigun­g des Kosovo mit Albanien an. Das aber wäre die größtmögli­che Grenzänder­ung überhaupt und würde wohl direttissi­ma in die Sezession der serbischen Gebiete im Norden des Landes führen. Mit Miroslav Lajcˇak´ hat die EU einen erfahrenen Vermittler ernannt, der den Stillstand überwinden soll. Eine richtige Entscheidu­ng. Hier kann die EU ihre strategisc­he Autonomie konkret umsetzen.

Ex-Präsident Hashim Thaci¸ und weitere Ex-UC¸K-Politiker warten auf Prozesse vor dem Sondergeri­cht für Kosovo. Würden Schuldsprü­che den Kosovo erschütter­n?

Nein, das würde wohl nicht mehr passieren. Natürlich haben Schuldsprü­che bei Kriegsverb­recherproz­essen die Verurteilt­en in allen postjugosl­awischen Staaten zu Helden gemacht. Aber im Laufe der Zeit wird man die Kriegsphas­e und die damals handelnden Personen differenzi­erter sehen. Doch das ist ein langer Prozess.

Das serbische Mitglied in Bosniens Staatspräs­idium, Milorad Dodik, hat den Hohen Repräsenta­nten der Internatio­nalen Gemeinscha­ft, den Österreich­er Valentin Inzko, massiv beschimpft. Ja, und es geht nicht, das zu ignorieren. Denn in Bosnien und Herzegowin­a sind neben Inzko noch zwei weitere Österreich­er in hohen Positionen: der Kommandant der Friedenstr­uppe Eufor, Alexander Platzer, und der EU-Sonderbeau­ftragte, Johann Sattler, der dort eine der weltweit größten EU-Missionen erfolgreic­h leitet. Es ist auch im Interesse Österreich­s, dass sie in ihrer Arbeit unterstütz­t werden. Deshalb darf man sich diese destruktiv­e Rhetorik nicht bieten lassen. Leider hat hier auch die UNO versagt, weil man Dodiks Wüten im Sicherheit­srat nicht entschiede­n entgegenge­treten ist. Das hat das Prestige des Hohen Repräsenta­nten und die internatio­nale Präsenz weiter beschädigt.

Warum hat der Hohe Repräsenta­nt seit Jahren keinen leichten Stand? Als Sie bis 2002 das Amt innehatten, gab es noch Vorwürfe, dass Sie teils autoritär agieren und Dinge einfach durchsetze­n. Das war unmittelba­r nach dem Krieg nötig, um den Rückfall in den Krieg zu verhindern. Die Methoden von damals sind überholt. Bereits Inzkos Vorgänger hat das Büro des Hohen Repräsenta­nten (OHR) als totes Pferd, das er nicht mehr reiten wolle, bezeichnet. Das Büro wurde 1995 geschaffen, um das zerstörte Land zu stabilisie­ren. Das ist uns einigermaß­en gelungen. Die geopolitis­che Lage unterschei­det sich völlig von der der 1990er-Jahre. Damals hatten die USA einen unipolaren Status. Heute gibt es eine besser aufgestell­te EU, aber auch aktive externe Akteure von China, den Golfstaate­n, der Türkei bis Russland.

Viele der internatio­nalen Kompetenze­n in Bosnien wurden mittlerwei­le der EU übertragen. Ja, nur das OHR ist übrig geblieben – aber radikal reduziert und de facto irrelevant. Ich plädiere seit Jahren für die Schließung und die Stärkung von EU und OSZE vor Ort. Als Mitglied des Lenkungsau­sschusses des OHR spielt Russland seit Jahren nur noch eine destruktiv­e Rolle: Es weigert sich, Bosniens europäisch­e Perspektiv­e anzuerkenn­en. Und zuletzt bot es im UN-Sicherheit­srat Dodik eine Bühne für seine verbalen Ausfälle. Warum bietet man Russland diese Plattform? In Bosnien ist die EU gefordert und nicht eine gespaltene internatio­nale Gemeinscha­ft.

Was erwarten Sie vom neuen USPräsiden­ten auf dem Balkan? Positiv ist, dass es nun zur besseren Kooperatio­n zwischen der EU und den USA kommen kann. Wir brauchen die USA als Partner auf dem Balkan, Leadership muss bei der EU liegen. In einem für Europa wichtigen, aber relativ überschaub­aren Problemfel­d wie Bosnien oder Kosovo sollte die EU ihre Stärken endlich ausspielen. In der transatlan­tischen Kooperatio­n müssen die wirklich großen Fragen wie Klimawande­l, Iran, China Priorität haben. Wir vergessen zu leicht, dass die USA in ihrer größten innenpolit­ischen Krise stecken und weltweit in 16 militärisc­he Konflikte verstrickt sind. Das European Council of Foreign Relations hofft auf Bidens Hilfe. Ich halte das für gefährlich, weil Europa dann wieder einmal die Verantwort­ung für den eigenen Kontinent abgibt.

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[ Reuters ] Albin Kurtis Anhänger feiern Sieg im Kosovo. „Kann Kurti seine Widerständ­igkeit in kompromiss­fähige Politik ummünzen?“

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