Die Presse

Grüne „Verbotspar­tei“hadert mit dem Eigenheim

Deutschlan­d. Fraktionsc­hef Anton Hofreiter hält Einfamilie­nhäuser im Grünen zuallerers­t für eine Klimasünde. Die politische Konkurrenz ist empört – und entzückt: Denn die Debatte könnte den Grünen im Wahljahr schaden.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. „Veggie Day“nennt sich ein Trauma von Bündnis 90/Die Grünen. Einmal in der Woche, so lautete die Idee im Wahlkampf 2013, sollte in deutschen Kantinen nur fleischlos gespeist werden. Ein solcher Veggie Day würde den Deutschen helfen, ihr – Achtung, Wortwitz – „eingefleis­chtes Konsumverh­alten“zu hinterfrag­en. Die Empörung war groß. Die Grünen, so der Vorwurf, würden den Deutschen das Fleisch verbieten wollen. Der grüne Vorstoß erzeugte dann zwar ein Umdenken, allerdings im Wahl-, nicht im Essverhalt­en. Die grünen Umfragekai­ser blieben hinter den Erwartunge­n – nicht nur, aber auch wegen der Veggie-DayKampagn­e. Seither waren die Grünen bemüht, nur ja nicht als „Verbotspar­tei“wahrgenomm­en zu werden. Und dann kam Anton Hofreiter.

Der Umweltschü­tzer vom linken Parteiflüg­el und Co-Fraktionsc­hef sinnierte in einem „Spiegel“

Interview über Sinn und mehr noch Unsinn des Häuslbauen­s. Das Einfamilie­nhaus im Grünen ist für den Bayern sinngemäß Klimasünde statt Lebenstrau­m. Eine Woche ist das Interview alt. Aber die Debatte reißt nicht ab, auch deshalb nicht, weil die Konkurrenz bemüht ist, sie am Leben zu halten.

„Feindbild Einfamilie­nhaus“

Die Grünen legten die Axt am „Wohlstands­verspreche­n“an, klagt die FDP. In der CDU-Zentrale nennen sie den Vorstoß „familienfe­indlich“. Der CDU-Landeschef im ländlichen Thüringen, Christian Hirte, wähnt die Grünen weiter auf dem Weg „Richtung Verbotspar­tei mit dem Einfamilie­nhaus als Feindbild“. Und unter die medialen Kommentare mischen sich auch spöttische, die in Hofreiters Gedanken einen späten Sieg für die Wohnungs- vulgo Plattenbau­politik der DDR erkennen.

Der Beginn der Kontrovers­e führt in den Norden Hamburgs, in Wohnregion­en an der Alster. Dort hatten sich Grüne und SPD auf Bezirksebe­ne geeinigt, neue Bauflächen nur noch für Mehrpartei­enhäuser auszuweise­n. Hofreiter findet es richtig, dass Kommunen eingreifen. Schließlic­h herrsche in vielen Städten „akute Wohnungsno­t“. Ein Verbot der eigenen vier Wände fordert Hofreiter zwar ausdrückli­ch nicht. Aber er hadert mit neuen Einfamilie­nhäusern: Sie verbraucht­en „zu viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie“. Und sie sorgten „für Zersiedelu­ng und damit für noch mehr Verkehr“. Neu ist das Problem nicht. Auch die schwarz-rote Koalition hat sich zum Ziel gesetzt, den Umfang neuer Siedlungsf­lächen auf 30 Hektar pro Tag zu halbieren. Doch viel ist seither nicht passiert. Die Städte wachsen in die Breite, während ihre Mitte oft verkümmert – Stichwort Leerstand, Stichwort Innenstadt­sterben.

Hofreiters Vorstoß platzt zugleich in eine Zeit, in der es immer mehr Menschen auf das Land zieht, weil der Corona-Lockdown die Sehnsucht nach Haus mit Garten nährt. Den Grünen hat das nie recht gefallen. Sie träumen schon länger von einer „Bauwende“, aber neuerdings eben auch vom Kanzleramt. Da schmerzt das Etikett „Verbotspar­tei“, das der Partei nun wieder aufgeklebt wird. Denn die Grünen waren weniger inhaltlich (man will einiges verbieten), aber doch in ihrem Auftreten von der alten Zuschreibu­ng losgekomme­n. Ihre Chefs, Annalena Baerbock und Robert Habeck, inszeniere­n sich als moderne Pragmatike­r, bündnisfäh­ig in alle Richtungen.

Der Traum vom Kanzleramt

In Umfragen liegen die Grünen auf Platz zwei. Vielleicht ist noch Luft nach oben. Sie schielen auf MerkelWähl­er, also jene, die die vor der Pension stehende Kanzlerin gut finden, aber nicht so sehr ihre CDU. Und im Frühjahr wählt Baden-Württember­g. Dort regiert Winfried Kretschman­n, der einzige grüne Ministerpr­äsident. Ein Triumph im Südwesten würde der Partei Aufwind für die Bundestags­wahl geben. Baden-Württember­g gilt übrigens als große Heimat des „Häuslbauer­s“. Urschitz’ „Bilanz“S. 17

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