Die gefährliche Gratwanderung der Iraner im Atomstreit
Das Regime in Teheran will Druck auf den neuen US-Präsidenten Joe Biden machen und droht damit, die Arbeit der Atominspektoren einzuschränken. Das Ultimatum gehört zur Verhandlungstaktik, um zum Atomdeal zurückzukehren. Der Iran braucht ein Ende der Sankt
Istanbul/Teheran. Die Geschichte des Abkommens zur Begrenzung des iranischen Atomprogramms ist eine Geschichte ständiger Krisen. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde der Vertrag vor sechs Jahren in Kraft gesetzt, nur um kurz darauf vom damaligen US-Präsidenten, Donald Trump, aufgekündigt zu werden. Der Amtsantritt von Joe Biden hat zwar Hoffnungen auf eine Wiederbelebung der Vereinbarung beflügelt, doch jetzt setzt der Iran den Vertrag mit einem Ultimatum für die Arbeit der UNAtominspektoren im Land aufs Spiel. Die Krisendiplomatie geht in eine neue Runde.
Mit der Ankündigung, ab kommenden Dienstag UN-Inspektoren keinen uneingeschränkten Zugang zu Atomanlagen mehr zu gewähren, hat der Iran den Westen aufgeschreckt. Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, telefonierte sogleich mit Präsident Hassan Rohani. Die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Großbritannien setzten für Donnerstagnachmittag ein Treffen in Paris an, zu dem sich ihr neuer USKollege, Antony Blinken, per Video zuschalten wollte.
Biden selbst dürfte am Freitag bei seiner Rede für die digital stattfindende Münchner Sicherheitskonferenz bekräftigen, dass die USA zum Atomabkommen zurückkehren, wenn der Iran sich wieder an die Regeln hält. Am Samstag fliegt der Chef der internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Grossi, nach Teheran, um nach Kompromissen zu suchen.
Wenn der Iran ab Dienstag die Inspektionen erschweren oder ganz beenden sollte, würde Teheran ein Kernelement des Atomabkommens außer Kraft setzen: Der Iran hatte sich 2015 bereit erklärt, seine Atomanlagen zu öffnen, damit sich die Welt davon überzeugen kann, dass die Islamische Republik keine Atombombe baut. Rohani und Revolutionsführer Ali Khamenei pochen darauf, dass sich die Amerikaner zuerst bewegen müssen, bevor der Iran wieder Inspektoren frei arbeiten lässt und bei der Urananreicherung in den Vertragsrahmen zurückkehrt.
Doch es bleibt dabei, dass Teheran an dem Abkommen festhält. Hauptgrund dafür ist die wirtschaftliche Not im Land: Jeder zweite Iraner hängt von staatlichen Hilfszahlungen ab. Ohne Abbau der Sanktionen kann es keine Wende für die Wirtschaft geben. Schon 2015 hatte der Hardliner Khamenei dem Vertrag aus ökonomischen Gründen seinen Segen gegeben. Nun setzt er wie Rohani auf einen Sanktionsabbau unter Biden. Vor den iranischen Präsidentschaftswahlen im Juni geht es für Hardliner und Pragmatiker um die Frage, welches Lager eine Erholung der Wirtschaft als Erfolg beanspruchen kann.
Ultimaten und Drohungen gehören seit Jahren zum Arsenal der iranischen Verhandlungstaktik. So erklärte Khamenei nur wenige Wochen vor der abschließenden Einigung auf den Vertrag 2015, der Iran werde keine Inspektionen zulassen. Kurz darauf stimmte der Iran dann doch zu.
Iran erhöht schon Ölförderung
Auch diesmal will der Iran den Atomdeal nicht zerstören. Teheran sei sicher, mit Biden ins Geschäft kommen zu können, meint Ruba Husari, eine Expertin für die GolfRegion. In Erwartung eines baldigen Endes der Sanktionen erhöhe das Land schon jetzt die Ölförderung, sagte Husari bei einer Veranstaltung des Nahost-Instituts in Washington. Auch hat der Iran das Ölkartell Opec laut Husari bereits darüber unterrichtet, dass er sich nach einem Wegfall der US-Sanktionen nicht an Förderquoten gebunden sehen werde – ein weiteres Zeichen dafür, dass Teheran fest damit rechnet, dass der Atomvertrag in Kraft bleibt.
Das Risiko der iranischen Strategie liegt darin, dass Teheran den Bogen überspannen und das Atomabkommen ungewollt zum Scheitern bringen könnte. Ähnlich wie am Vorabend des Atomdeals versuche der Iran mit dem Ultimatum für die Arbeit der Inspekteure Druck aufzubauen, sagt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte an der Freien Universität Berlin und Autor des bald erscheinenden Buches „Iran in an Emerging New World Order“. Das solle „die Verhandlungsmasse erhöhen und Alarmismus im Westen auslösen“, sagte Fathollah-Nejad der „Presse“.
An starre Zeitvorgaben für weitere Verstöße gegen den Atomvertrag, wie sie in Beschlüssen des Parlaments auftauchten, fühle sich die Teheraner Führung nicht gebunden, sagte Fathollah-Nejad. Die Regierung wisse, dass es noch dauern werde, bis die Sanktionen abgebaut würden. „Noch sind wir nicht am Ende der Fahnenstange.“