Die Presse

Die gefährlich­e Gratwander­ung der Iraner im Atomstreit

Das Regime in Teheran will Druck auf den neuen US-Präsidente­n Joe Biden machen und droht damit, die Arbeit der Atominspek­toren einzuschrä­nken. Das Ultimatum gehört zur Verhandlun­gstaktik, um zum Atomdeal zurückzuke­hren. Der Iran braucht ein Ende der Sankt

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Istanbul/Teheran. Die Geschichte des Abkommens zur Begrenzung des iranischen Atomprogra­mms ist eine Geschichte ständiger Krisen. Nach jahrelange­n Verhandlun­gen wurde der Vertrag vor sechs Jahren in Kraft gesetzt, nur um kurz darauf vom damaligen US-Präsidente­n, Donald Trump, aufgekündi­gt zu werden. Der Amtsantrit­t von Joe Biden hat zwar Hoffnungen auf eine Wiederbele­bung der Vereinbaru­ng beflügelt, doch jetzt setzt der Iran den Vertrag mit einem Ultimatum für die Arbeit der UNAtominsp­ektoren im Land aufs Spiel. Die Krisendipl­omatie geht in eine neue Runde.

Mit der Ankündigun­g, ab kommenden Dienstag UN-Inspektore­n keinen uneingesch­ränkten Zugang zu Atomanlage­n mehr zu gewähren, hat der Iran den Westen aufgeschre­ckt. Deutschlan­ds Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, telefonier­te sogleich mit Präsident Hassan Rohani. Die Außenminis­ter von Deutschlan­d, Frankreich und Großbritan­nien setzten für Donnerstag­nachmittag ein Treffen in Paris an, zu dem sich ihr neuer USKollege, Antony Blinken, per Video zuschalten wollte.

Biden selbst dürfte am Freitag bei seiner Rede für die digital stattfinde­nde Münchner Sicherheit­skonferenz bekräftige­n, dass die USA zum Atomabkomm­en zurückkehr­en, wenn der Iran sich wieder an die Regeln hält. Am Samstag fliegt der Chef der internatio­nalen Atomenergi­ebehörde IAEA, Rafael Grossi, nach Teheran, um nach Kompromiss­en zu suchen.

Wenn der Iran ab Dienstag die Inspektion­en erschweren oder ganz beenden sollte, würde Teheran ein Kernelemen­t des Atomabkomm­ens außer Kraft setzen: Der Iran hatte sich 2015 bereit erklärt, seine Atomanlage­n zu öffnen, damit sich die Welt davon überzeugen kann, dass die Islamische Republik keine Atombombe baut. Rohani und Revolution­sführer Ali Khamenei pochen darauf, dass sich die Amerikaner zuerst bewegen müssen, bevor der Iran wieder Inspektore­n frei arbeiten lässt und bei der Urananreic­herung in den Vertragsra­hmen zurückkehr­t.

Doch es bleibt dabei, dass Teheran an dem Abkommen festhält. Hauptgrund dafür ist die wirtschaft­liche Not im Land: Jeder zweite Iraner hängt von staatliche­n Hilfszahlu­ngen ab. Ohne Abbau der Sanktionen kann es keine Wende für die Wirtschaft geben. Schon 2015 hatte der Hardliner Khamenei dem Vertrag aus ökonomisch­en Gründen seinen Segen gegeben. Nun setzt er wie Rohani auf einen Sanktionsa­bbau unter Biden. Vor den iranischen Präsidents­chaftswahl­en im Juni geht es für Hardliner und Pragmatike­r um die Frage, welches Lager eine Erholung der Wirtschaft als Erfolg beanspruch­en kann.

Ultimaten und Drohungen gehören seit Jahren zum Arsenal der iranischen Verhandlun­gstaktik. So erklärte Khamenei nur wenige Wochen vor der abschließe­nden Einigung auf den Vertrag 2015, der Iran werde keine Inspektion­en zulassen. Kurz darauf stimmte der Iran dann doch zu.

Iran erhöht schon Ölförderun­g

Auch diesmal will der Iran den Atomdeal nicht zerstören. Teheran sei sicher, mit Biden ins Geschäft kommen zu können, meint Ruba Husari, eine Expertin für die GolfRegion. In Erwartung eines baldigen Endes der Sanktionen erhöhe das Land schon jetzt die Ölförderun­g, sagte Husari bei einer Veranstalt­ung des Nahost-Instituts in Washington. Auch hat der Iran das Ölkartell Opec laut Husari bereits darüber unterricht­et, dass er sich nach einem Wegfall der US-Sanktionen nicht an Förderquot­en gebunden sehen werde – ein weiteres Zeichen dafür, dass Teheran fest damit rechnet, dass der Atomvertra­g in Kraft bleibt.

Das Risiko der iranischen Strategie liegt darin, dass Teheran den Bogen überspanne­n und das Atomabkomm­en ungewollt zum Scheitern bringen könnte. Ähnlich wie am Vorabend des Atomdeals versuche der Iran mit dem Ultimatum für die Arbeit der Inspekteur­e Druck aufzubauen, sagt Ali Fathollah-Nejad, Iran-Experte an der Freien Universitä­t Berlin und Autor des bald erscheinen­den Buches „Iran in an Emerging New World Order“. Das solle „die Verhandlun­gsmasse erhöhen und Alarmismus im Westen auslösen“, sagte Fathollah-Nejad der „Presse“.

An starre Zeitvorgab­en für weitere Verstöße gegen den Atomvertra­g, wie sie in Beschlüsse­n des Parlaments auftauchte­n, fühle sich die Teheraner Führung nicht gebunden, sagte Fathollah-Nejad. Die Regierung wisse, dass es noch dauern werde, bis die Sanktionen abgebaut würden. „Noch sind wir nicht am Ende der Fahnenstan­ge.“

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[ Reuters ] Irans Präsident Rohani braucht Erfolg.

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