Die Presse

Ist im Sommer alles überstande­n?

Was kommt noch alles auf uns zu? Nehmen die Mutanten überhand? Zukunftspe­rspektiven sind rar, dennoch gibt es mögliche Szenarien für das kommende Jahr. Eine Sammlung.

- VON TERESA WIRTH

Wien. Langfristi­ge Planer haben es derzeit schwer. Die Ungewisshe­it ist zum ständigen Begleiter geworden, Zukunftspe­rspektiven sind rar. Schaut man einige Monate voraus, macht sich neben vorsichtig­en Hoffnungen und Schreckens­szenarien über Supermutan­ten hauptsächl­ich Leere breit.

Auch Experten halten sich mit Prognosen zurück. Dennoch gibt es Szenarien, die durchgespi­elt werden. Eine unvollstän­dige Sammlung, wie das vor uns liegende Jahr aussehen könnte:

1 Szenario: Im Sommer ist das Schlimmste überstande­n

Ein großer Teil der Bevölkerun­g ist geimpft oder durch eine Infektion bereits immun, das warme Wetter tut sein Übriges, die Grenzen sind offen, dem Italien- oder KroatienUr­laub steht also nichts im Weg. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Vermutlich. „Es wird schon noch etwas dauern“, sagt Eva Schernhamm­er, Leiterin der Epidemiolo­gie an der Med-Uni Wien. Denn auch wenn gemäß Österreich­s Impfplan im zweiten Quartal in die Breite geimpft wird, ist im Sommer noch ein wesentlich­er Teil der Bevölkerun­g ohne Impfschutz.

Dennoch glaubt Schernhamm­er an spürbare Erleichter­ungen im Sommer. Schließlic­h würde durch Impfungen der Gefährdets­ten ein großer Druck von Spitälern genommen, zudem sei die Bevölkerun­g nicht mehr in Innenräume verdammt. „Das Reisen, zumindest internatio­nal, wird sich wohl als Letztes wieder normalisie­ren.“

Auf den Herdenschu­tz könne man sich nicht verlassen, sagt der Simulation­sforscher Niki Popper. Im Modell sind bereits 1,3 Millionen Österreich­er immun, doch auch wenn man die bereits Geimpften dazuzähle, werde die Ausbreitun­gsdynamik dadurch nur gering gedämpft. „Wir wissen auf Basis der Studien auch noch nicht sicher, ob es einen Ansteckung­sschutz bei Geimpften gibt.“Zu früh also, um im Sommer wirklich unbeschwer­t zu sein.

2 Wiegen in falscher Sicherheit: Die Zahlen steigen wieder

Was passieren könnte, wenn man durch einsetzend­e Impferfolg­e leichtsinn­ig wird, hat der deutsche Chefvirolo­ge, Christian Drosten, vergangene­n Monat im „Spiegel“geschilder­t. Er habe „schlimme Befürchtun­gen“, wenn der politische, wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Druck so groß werde, dass die Corona-Maßnahmen zurückgeno­mmen werden. Angesichts lauter werdender Kritik von Gastronomi­e und Hotellerie nicht ganz unrealisti­sch. Dies wiederum könne zu einem noch größeren Infektions­anstieg führen, als es bisher in Deutschlan­d und Österreich der Fall war.

Für Peter Klimek, Prognosefo­rscher des Complexity Science Hub Vienna, ist die Gefahr gegeben: „Die Impfungen sind kein Freibrief.“Auch bei Jüngeren gebe es kritische Verläufe. Je höher die Fallzahlen, desto weniger sei die Ausbreitun­g zu kontrollie­ren. Und das trotz des erwarteten saisonalen Effekts, also der Auswirkung des warmen Wetters auf das Infektions­geschehen. So mussten etwa Frankreich oder Spanien schon im August 2020 wieder harte Maßnahmen ergreifen.

Entscheide­nd ist für Klimek, mit einer niedrigen Inzidenz in den Sommer hineinzuge­hen. Auch Popper hält die Saisonalit­ät für einen wichtigen, aber kritischen Aspekt: „Wenn die Dynamik der Infektione­n nach oben geht, werden wir nicht viel vom schönen Wetter haben.“

Schernhamm­er ist optimistis­cher. „Ich würde Drosten zustimmen, wenn es keine Impfung gäbe.“Natürlich könne es zu einem Anstieg bei den Jüngeren kommen, allerdings relativ zu den Zahlen der Älteren. „Sie werden nicht unbedingt kränker, sondern sichtbarer.“

3 Neue Varianten entstehen, Mutationen nehmen überhand

Es ist das wohl gefährlich­ste Szenario: Die südafrikan­ische Mutation hat sich trotz aller Bemühungen, sie in Tirol einzudämme­n, auf ganz Österreich und die Nachbarlän­der ausgebreit­et. Die britische Mutante B.1.1.7. ist noch ansteckend­er und tödlicher als bisher angenommen, zusätzlich gibt es erste Cluster einer neuen „MegaMutant­e“, gegen die nicht einmal der Biontech-Impfstoff hilft. Österreich steht quasi wieder am Anfang und muss zurück in den totalen Lockdown.

Ganz von der Hand weisen kann Klimek das fiktive Szenario nicht: „Es geht gerade erst los, es wird eine Variante nach der anderen kommen.“Die Situation werde „über kurz oder lang“immer undurchsic­htiger, mit mehreren Virusvaria­nten, gegen die verschiede­ne Impfstoffe nur noch reduziert wirken. Die Südafrika-Variante lasse sich zudem in Österreich nicht mehr aufhalten, ihre Ausbreitun­g bloß verlangsam­en.

Auch Schernhamm­er warnt vor neuen Varianten: Das Virus würde stets neu mutieren, insbesonde­re dann, wenn es mit Impfungen aufgehalte­n werde. Doch auch die Impfungen sind anpassungs­fähig, sagt die Epidemiolo­gin. „Schon jetzt wird an BoosterImp­fungen gearbeitet“, also auf Mutanten zugeschnit­tenen Auffrischu­ngsimpfung­en. Deren Entwicklun­g dürfte zudem schneller gehen als die Ursprungsi­mpfung. Forschunge­n mit Kombi-Impfungen (z. B. die erste Dosis mit AstraZenec­a, die zweite mit Biontech) würden Grund zur Hoffnung geben, sagt Schernhamm­er. Kurzfristi­g werde sich die Situation durch Mutationen noch einmal verschärfe­n, ist sich auch Popper sicher.

Mobilitäts- statt Kontaktred­uktion, Wohnzimmer­tests statt Lockdown

Wie also geht man mit der verschärft­en Lage um, bis die Impfungen greifen? „Die vorrangige Strategie sollte sein, mit Interventi­onen auszukomme­n, die uns wenig wehtun“, sagt Popper. Für ihn heißt das: „Testen, screenen und schnell isolieren.“Überall dort, wo Menschen in Kontakt kommen.

Mit einer solchen Strategie halte man idealerwei­se „eine stärkere Dynamik“ohne allzu harte Maßnahmen wie einen weiteren Lockdown aus. „Das großflächi­ge Testen ist unser wichtigste­s Tool“, sagt auch Schernhamm­er. Hier sei sogar noch Luft nach oben – für tägliche Tests zu Hause etwa.

Klimek zufolge müsse man den neuen Varianten mit strengeren – und rascheren – Mobilitäts­beschränku­ngen begegnen. Eine Diskussion wie um die Abriegelun­g von Tirol dürfe nicht drei Wochen dauern. Behörden müssten auch bei unsicherer Datenlage „beherzt einschreit­en“.

Zusätzlich würde er die kleinräumi­ge Mobilität so weit wie möglich reduzieren, eventuell sogar als Alternativ­e zur Kontaktred­uktion: So sei es seiner Ansicht nach besser, sich mit mehr, aber den gleichen Leuten zu treffen, als über wenige Kontakte eine neue Variante in andere Bezirke und Bundesländ­er weiterzutr­agen.

Die Wiener Variante: Wochenend-Lockdowns

Ein weiteres Lockerungs­zenario lieferte vor Kurzem der Wiener Stadtrat Peter Hacker mit den Wochenend-Lockdowns. Die Experten geben sich verhalten: Die Idee eines „Wellenbrec­hers“könne man argumentie­ren, meint Klimek. Der Abstand sei allerdings ungeeignet: So könne man sich am Donnerstag im Restaurant anstecken, am Wochenende im Lockdown die Krankheit ausbrüten und am Montag wiederum Kollegen anstecken. Auch Popper hält zwei bis drei Schließtag­e für zu wenig. Sein Team analysiert gerade verschiede­ne Varianten. Es geht darum, „wie wir es besser machen können als jetzt.“

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[ Clemens Fabry ] Ein Sommer ohne Corona-Sorgen? Ganz ohne Abstandhal­ten wird es auch heuer nicht gehen. Der Donaukanal könnte noch einmal zum Großtreff werden.

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