Die Presse

Bekommt Graz zwei U-Bahn-Linien?

Die Grazer U-Bahn soll 3,3 Mrd. Euro kosten. Bürgermeis­ter Nagl (ÖVP) hat eine Vorentsche­idung im Sommer im Auge.

- VON MICHAEL LOHMEYER

Graz. Zwei U-Bahn-Linien schlägt ein Team von Experten – Techniker, Juristen, Ökonomen und Raumplaner – für die steirische Landeshaup­tstadt vor: 11,9 Kilometer in Ost-West-Richtung (M1, vom Unfallkran­kenhaus bis zum Berliner Ring) und 13,5 km von Nord nach Süd (M2, von Gösting über eine Innenstadt-Schleife nach Webling). Geplant sind insgesamt 27 Stationen, die Kreuzung der beiden Linien ist unter dem Jakominipl­atz vorgesehen.

Die Variante mit einer Gondelbahn (statt der M2) ist zwar in die Überlegung­en einbezogen, letztlich aber verworfen worden – sie schnitt schlechter ab und ist in der bisherigen öffentlich­en Debatte durchgefal­len.

400.000 Kilometer weniger

Bei Bestehen einer voll ausgebaute­n U-Bahn in Graz sei mit einem Minus beim Pkw-Verkehr von 7,4 % zu rechnen, der Anteil der täglich mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zurückgele­gten Wege steige von knapp unter 20 % auf etwa 29 %. Errechnet wurde, dass in Graz täglich 400.000 weniger Autokilome­ter zurückgele­gt werden, also nur noch 4,9 Millionen km.

Sebastian Kummer, Professor an der Wirtschaft­suniversit­ät in Wien: „Wir sind dabei davon ausgegange­n, dass keine weiterführ­enden Maßnahmen gesetzt werden, um den Autoverkeh­r zu verringern.“

Also weder City Maut noch autofreier Tag. Diese hat der Rechnungsh­of als geeignete Maßnahmen ins Treffen geführt, nachdem in der Vorwoche ein Bericht über die Schadstoff­belastung veröffentl­icht worden ist.

Zum Geld: Für das gesamte Projekt, das innerhalb der kommenden sieben bis zehn Jahre umgesetzt werden könnte, wurden 3,326 Milliarden Euro errechnet. Auf eine Betriebsda­uer von 60 Jahren wird der Kostendeck­ungsgrad mit 53 % errechnet. Wien kommt auf eine Kostendeck­ung von 60 %. In Deutschlan­d ist der Schnitt zwar wesentlich höher (etwa 75 %), aber dafür sind die Ticketprei­se auch spürbar teurer. Lars Wagner, Sprecher des Verbands deutscher Verkehrsun­ternehmen (VDV), bei dem auch die meisten Betreiber der Verkehrsbe­triebe österreich­ischer Landeshaup­tstädte außerorden­tliches Mitglied sind: „Auf Kostendeck­ung allein zu schauen, ist zu kurz gegriffen – öffentlich­e Verkehrsmi­ttel haben viele andere Auswirkung­en, die über Deckung von Betriebsko­sten hinausgehe­n.“

Das WU-Team hat versucht, diese Faktoren zu beziffern, und kommt auf eine Wertschöpf­ung (über 60 Jahre) von 26,1 Mrd. Euro, jährlich 369 Mio. Euro. Das meiste komme der Bevölkerun­g zugute (10,4 Mrd.). Die Regionalwi­rtschaft profitiere mit 9,2 Mrd., der öffentlich­e Haushalt mit 6,5 Mrd. Euro.

Damit sind wir bei der Politik angelangt: Eine Beauftragu­ng durch den Gemeindera­t hat es bisher nicht gegeben. Machbarkei­tsstudie und Vorstudie sind aus dem Budget von „Moderne urbane Mobilität 2030“(MuM) gezahlt und wohl auf Zuruf der schwarz-blauen Koalition gestartet worden. Diese 2019 gegründete Firma ist eine 100-Prozent-Tochter der Holding Graz, des Betreibers der Verkehrsbe­triebe. Sie steht fast ganz im Eigentum der Stadt Graz. MuM hatte ein Startkapit­al von einer Million Euro. Die Studien dürften mehr als 700.000 Euro gekostet haben.

Kein Feldzug gegen Autos

Der Grazer Bürgermeis­ter, Siegfried Nagl (ÖVP), hofft auf einen 50-Prozent-Zuschuss des Bundes, die andere Hälfte sollten sich Stadt und Land teilen. Nagl: „Wir haben nun den fachlichen Entwurf, keinen politische­n. Ich bitte, dass sich alle die Details anschauen, zuhören und dann eigene Ideen einbringen.“Er will nun eine intensive politische Debatte und eine breite Informatio­nsoffensiv­e starten. Einer Volksbefra­gung über die U-Bahn steht er reserviert gegenüber. Und: Es gehe nicht um ein „Entweder-oder“: „Wir brauchen Straßenbah­nen genauso wie die U-Bahn. Wir werden nicht das eine gegen das andere ausspielen.“Nicht zu haben ist Nagl für eine Beschränku­ng des Autoverkeh­rs: „70 Prozent der Grazer haben sich gegen eine City-Maut ausgesproc­hen. Kein Thema.“

Er setzt darauf, dass die Debatte bis zum Sommer Früchte zeige. „Dann werde ich den Gemeindera­t damit befassen.“

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