„Sind keine Kirchenchor-Knaben“
Interview. Österreichs Herren haben bei der WM in Cortina bisher abgeräumt. Cheftrainer Andreas Puelacher über die Zeit nach Hirscher, sein dickes Fell und Typen wie Manuel Feller.
Die Presse: In bisher vier Herrenrennen in Cortina gab es drei ÖSV-Goldmedaillen – ist mit dieser WM das Kapitel Marcel Hirscher endgültig beendet?
Andreas Puelacher: Marcel hatte seine Zeit und die war riesengroß. Jetzt haben sich andere ins Rampenlicht gefahren. Es wird auch relativ wenig geschrieben über Marcel, ich werde kaum noch auf ihn angesprochen. Vergangenes Jahr war er noch sehr präsent.
In der öffentlichen Wahrnehmung waren Hirscher-Siege ja weniger die des ÖSV, sondern die einer Privatinitiative.
Marcel ist durch das System, durch die Kader gegangen und hat dann durch seine Leistungen diesen Stellenwert bekommen. Für mich ist er ganz klar ein Teil des ÖSV. Wie ein Benni Raich, wie ein Hermann Maier, die haben eben gewisse Privilegien gehabt, die man Topstars auch geben muss. Auch jetzt gibt es separate Programme, wenn es nötig ist. Aber im Moment will es niemand so machen wie Marcel damals. Die wollen in der Mannschaft bleiben, fühlen sich da wohl.
Viele erfolgreiche Athleten bei dieser WM preisen den Mannschaftsgeist in ihren Verbänden. Wie lautet Ihre Philosophie?
Ich muss dafür sorgen, dass der Athlet alles hat, um seine Leistung abzurufen. Und da ist die Gruppengröße nicht unbedingt ein Thema. Eher, ob sich der Athlet wohlfühlt. Diese Gruppendynamik sieht man bei uns deutlich im Slalom. Aber es kann auch gut sein, wenn man kleinere Mannschaften hat. Für mich gibt es da keine goldene Regel.
Sie kennen auch die andere Seite des Sports, müssen Ihren Kopf für Niederlagen hinhalten. Wie dick ist Ihr Fell?
Ich versuche, im Erfolg und in der Niederlage, dass meine Emotionen nicht überhandnehmen. Ich sehe, wie die Athleten alles probieren, um erfolgreich zu sein. Und wenn es nicht aufgeht, stelle ich mich eben vorn hin, das gehört zum Job. Was ich nicht verstehe, sind Leute, die blöde Kommentare schreiben, die ich ab und zu bekomme. Früher hat mich das schon manchmal getroffen.
Diese WM zeigt gerade wieder: Der Cheftrainer des österreichischen Herrenteams ist der wichtigste Job im Skisport.
Bevor ich es gewesen bin, habe ich mir gedacht: Ja (lacht). Ein Job mit sehr viel Verantwortung, nach außen hin vor allem, weil die Siege viele Väter haben, die Niederlage nur einen. Ich glaube schon, es ist einer von den wichtigeren, die wir im österreichischen Sport haben. Egal, wer ihn ausführt.
Heute folgt die Problemdisziplin Riesentorlauf. Wie schwer ist es, in Österreich Skirennläufer zu sein, wenn es nicht läuft?
Die anderen Nationen wissen das glaube ich gar nicht. Die Athleten müssen liefern, die Öffentlichkeit schaut genau zu, Skisport ist in Österreich die Nummer eins. Aber wenn wir liefern, sieht man auch die andere Seite. Dann werden sie respektiert, verdienen Geld, was auch richtig ist. Du musst mit diesem Druck einfach umgehen können.
Welche Typen sind Ihnen denn lieber im Team? Der ruhige Marco Schwarz oder ein Manuel Feller, der gern polarisiert?
(lacht). Das sind alles super Typen, ganz ehrlich. Klar, manchmal bist du anderer Meinung. Ich bin ja froh, dass es sich ab und zu auch reibt. Kirchenchor-Knaben sind wir alle keine, da würdest du diese Spannung auch nicht überleben. Aber jeder auf seine Art ist für mich gut. Was mich bei der WM sehr beeindruckt hat, ist, dass wenn es hart auf hart kommt, alle zusammenhelfen. Die ganze Speedmannschaft hat mit Vinc (Kriechmayr, Anm.) mitgefeiert, da ist kein Neid aufgekommen. Was willst du als Trainer mehr?