Die Presse

Die gute Seite der Krise: „Wir proben mehr“

Tenor im Gespräch. Am Sonntag singt Piotr Beczala den Don Jos´e. Mit der „Presse“sprach er über die „Carmen“-Inszenieru­ng von Calixto Bieito und die Situation an der Staatsoper.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Überrasche­nderweise habe ich viel zu tun“, sagt Piotr Beczala, der am Sonntag den Don Jose´ im Livestream von Bizets „Carmen“an der Wiener Staatsoper singen wird. „Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich arbeiten darf“, setzt er fort. Gebeutelt von der Pandemie war auch diese Inszenieru­ng von Calixto Bieito, die nach Stationen in Barcelona, Paris und anderen Häusern nun in Wien die legendäre Zeffirelli-Produktion ersetzt. Die Premiere war für 6. Februar geplant. Doch erkrankten mehrere Mitglieder der Besetzung. Die Carmen, Anita Rachvelish­vili, ist wieder gesund, doch musste vorige Woche Charles Castronovo aussteigen, und vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass auch Olga Kulchynska, die als Micaela debütieren sollte, krank ist. Nun singt Vera-Lotte Boecker, eines der neuen Ensemblemi­tglieder.

Der Kalender als Rangierbah­nhof

„Charles geht es gottlob schon wieder besser“, sagt Beczala, der mit seinem Tenorkolle­gen in bestem Kontakt steht. Dank einiger Ausfälle in seinem Kalender konnte Beczala einspringe­n – was nicht selbstvers­tändlich ist. Zwar sei in Zeiten wie diesen äußerste Flexibilit­ät gefragt, aber: „Spanien ist offen, Polen ist offen – man kann beschäftig­t sein.“Wenn auch nicht unbedingt dort, wo man ursprüngli­ch dachte: „Ich wäre jetzt eigentlich in New York“, sagt Beczala, „um den Prinzen in Dvoˇraks´ ,Rusalka‘ zu singen“. An der Metropolit­an Opera hätte schon im vergangene­n Herbst sein Rollendebü­t als Radames in Verdis „Aida“stattgefun­den, was aus bekannten Gründen nicht möglich war.

Für einen Künstler, der Vertragstr­eue schätzt, ist die Situation derzeit irritieren­d. New York hat die geplante Saison einfach abgesagt. „Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn wir Sänger das so einfach machen würden.“

Die Frage lässt er im Raum stehen. Absagen sind in der Regel nicht endgültig: „Die meisten Termine sind ja nicht gestrichen, sondern verschoben worden, sodass man jetzt versuchen muss, das alles unterzubri­ngen“, womit der Kalender zu einem riesigen

Rangierbah­nhof wird. Und: „Geplant haben wir ja für die kommenden Jahre. Ich weiß gar nicht, ob und was ich für 2025 unterschre­iben soll, welches Haus dann überhaupt noch existiert.“In der Ironie scheint durchaus Besorgnis mitzuschwi­ngen.

Die wenigen wirklich freien Wochen, die Piotr Beczala ungeplante­rweise zuletzt gegönnt waren, hat der Tenor zu Vorbereitu­ngszwecken genützt: „Also, langweilig ist mir nie geworden. Wir haben zum Beispiel an einem neuen Recital-Programm mit russischen Romanzen von Tschaikows­ky und Rachmanino­w gearbeitet, das irgendwann auch einmal für Pentatone auf CD aufgenomme­n werden soll.“

Dass für Premieren wie die Carmen in der Staatsoper nun deutlich mehr Proben gemacht werden können als gewohnt, findet Beczala wunderbar: „Mein Rollendebü­t als Don Jose´ hat ja vor fast genau drei Jahren hier an der Staatsoper stattgefun­den, damals im Repertoire mit entspreche­nd wenig Vorbereitu­ngszeit. Es waren auch nur drei Vorstellun­gen. Die Rolle ist also nicht ausgereift. Da ist es ein Glücksfall für mich, dass ich sie jetzt mit dem Dirigenten Andres´ OrozcoEstr­ada und dem Regisseur durchgehen und noch weiter strukturie­ren kann.“

Von Regisseure­n unterschie­dlicher Prägung kann ein Sänger viel lernen, meint Beczala – auch dann, wenn er mit der Konzeption einer Inszenieru­ng nicht unbedingt voll und ganz einverstan­den ist.

Carmen, „intim und durchgedre­ht“

Bieitos „Carmen“-Deutung findet er „zeitlos, sehr intim und zugleich durchgedre­ht und mit viel Energie“. Eine gute Station auf einem Weg, der für Beczala sicher nicht in Wien und mit dieser Inszenieru­ng endet. Die natürliche Entwicklun­g seiner Stimme drängt ins dramatisch­ere Repertoire. „Der Radames für New York war schon zu drei Vierteln vorbereite­t. Es folgt nun der Manrico im ,Trovatore‘, der vor meinem ersten Radames an die Reihe kommen wird, in Zürich, kommenden Oktober.“So steht es zumindest im Kalender. Danach wird er den Kalaf in Puccinis „Turandot“geben: „In diese Richtung geht es ungefähr.“

Für Wien gibt es kommendes Jahr, wenn alles gut geht, noch einmal den Don Jose.´ „Auch andere Sachen haben wir besprochen.“Wie vieles mit etlichen Opernchefs: „Es war ja ein großer Intendante­nwechsel, auch in München steht das bevor, in Paris, in Barcelona. Die Intendante­n haben jetzt überall ein großes Problem.“

Derzeit reden alle über viele verschiede­ne Projekte. „Aber irgendwann kommt wieder eine normale Zeit, dann muss man das alles realisiere­n.“

Premiere: Sonntag, 21. 2. (in ORF III um 20:15 Uhr)

 ?? [ APA/Herbert Neubauer] ?? Piotr Beczala ist in der Staatsoper zu Hause – nicht nur (wie hier) als Stargast beim Opernball.
[ APA/Herbert Neubauer] Piotr Beczala ist in der Staatsoper zu Hause – nicht nur (wie hier) als Stargast beim Opernball.

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