Die gute Seite der Krise: „Wir proben mehr“
Tenor im Gespräch. Am Sonntag singt Piotr Beczala den Don Jos´e. Mit der „Presse“sprach er über die „Carmen“-Inszenierung von Calixto Bieito und die Situation an der Staatsoper.
Überraschenderweise habe ich viel zu tun“, sagt Piotr Beczala, der am Sonntag den Don Jose´ im Livestream von Bizets „Carmen“an der Wiener Staatsoper singen wird. „Ich bin jedenfalls sehr froh, dass ich arbeiten darf“, setzt er fort. Gebeutelt von der Pandemie war auch diese Inszenierung von Calixto Bieito, die nach Stationen in Barcelona, Paris und anderen Häusern nun in Wien die legendäre Zeffirelli-Produktion ersetzt. Die Premiere war für 6. Februar geplant. Doch erkrankten mehrere Mitglieder der Besetzung. Die Carmen, Anita Rachvelishvili, ist wieder gesund, doch musste vorige Woche Charles Castronovo aussteigen, und vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass auch Olga Kulchynska, die als Micaela debütieren sollte, krank ist. Nun singt Vera-Lotte Boecker, eines der neuen Ensemblemitglieder.
Der Kalender als Rangierbahnhof
„Charles geht es gottlob schon wieder besser“, sagt Beczala, der mit seinem Tenorkollegen in bestem Kontakt steht. Dank einiger Ausfälle in seinem Kalender konnte Beczala einspringen – was nicht selbstverständlich ist. Zwar sei in Zeiten wie diesen äußerste Flexibilität gefragt, aber: „Spanien ist offen, Polen ist offen – man kann beschäftigt sein.“Wenn auch nicht unbedingt dort, wo man ursprünglich dachte: „Ich wäre jetzt eigentlich in New York“, sagt Beczala, „um den Prinzen in Dvoˇraks´ ,Rusalka‘ zu singen“. An der Metropolitan Opera hätte schon im vergangenen Herbst sein Rollendebüt als Radames in Verdis „Aida“stattgefunden, was aus bekannten Gründen nicht möglich war.
Für einen Künstler, der Vertragstreue schätzt, ist die Situation derzeit irritierend. New York hat die geplante Saison einfach abgesagt. „Man stelle sich vor, was passieren würde, wenn wir Sänger das so einfach machen würden.“
Die Frage lässt er im Raum stehen. Absagen sind in der Regel nicht endgültig: „Die meisten Termine sind ja nicht gestrichen, sondern verschoben worden, sodass man jetzt versuchen muss, das alles unterzubringen“, womit der Kalender zu einem riesigen
Rangierbahnhof wird. Und: „Geplant haben wir ja für die kommenden Jahre. Ich weiß gar nicht, ob und was ich für 2025 unterschreiben soll, welches Haus dann überhaupt noch existiert.“In der Ironie scheint durchaus Besorgnis mitzuschwingen.
Die wenigen wirklich freien Wochen, die Piotr Beczala ungeplanterweise zuletzt gegönnt waren, hat der Tenor zu Vorbereitungszwecken genützt: „Also, langweilig ist mir nie geworden. Wir haben zum Beispiel an einem neuen Recital-Programm mit russischen Romanzen von Tschaikowsky und Rachmaninow gearbeitet, das irgendwann auch einmal für Pentatone auf CD aufgenommen werden soll.“
Dass für Premieren wie die Carmen in der Staatsoper nun deutlich mehr Proben gemacht werden können als gewohnt, findet Beczala wunderbar: „Mein Rollendebüt als Don Jose´ hat ja vor fast genau drei Jahren hier an der Staatsoper stattgefunden, damals im Repertoire mit entsprechend wenig Vorbereitungszeit. Es waren auch nur drei Vorstellungen. Die Rolle ist also nicht ausgereift. Da ist es ein Glücksfall für mich, dass ich sie jetzt mit dem Dirigenten Andres´ OrozcoEstrada und dem Regisseur durchgehen und noch weiter strukturieren kann.“
Von Regisseuren unterschiedlicher Prägung kann ein Sänger viel lernen, meint Beczala – auch dann, wenn er mit der Konzeption einer Inszenierung nicht unbedingt voll und ganz einverstanden ist.
Carmen, „intim und durchgedreht“
Bieitos „Carmen“-Deutung findet er „zeitlos, sehr intim und zugleich durchgedreht und mit viel Energie“. Eine gute Station auf einem Weg, der für Beczala sicher nicht in Wien und mit dieser Inszenierung endet. Die natürliche Entwicklung seiner Stimme drängt ins dramatischere Repertoire. „Der Radames für New York war schon zu drei Vierteln vorbereitet. Es folgt nun der Manrico im ,Trovatore‘, der vor meinem ersten Radames an die Reihe kommen wird, in Zürich, kommenden Oktober.“So steht es zumindest im Kalender. Danach wird er den Kalaf in Puccinis „Turandot“geben: „In diese Richtung geht es ungefähr.“
Für Wien gibt es kommendes Jahr, wenn alles gut geht, noch einmal den Don Jose.´ „Auch andere Sachen haben wir besprochen.“Wie vieles mit etlichen Opernchefs: „Es war ja ein großer Intendantenwechsel, auch in München steht das bevor, in Paris, in Barcelona. Die Intendanten haben jetzt überall ein großes Problem.“
Derzeit reden alle über viele verschiedene Projekte. „Aber irgendwann kommt wieder eine normale Zeit, dann muss man das alles realisieren.“
Premiere: Sonntag, 21. 2. (in ORF III um 20:15 Uhr)