Die Presse

„Corona gibt es nicht, bleiben Sie gesund!“

Sogar Coronaskep­tiker wünschen schon „Bleiben Sie gesund!“Auch die Pest hinterließ uns einen Gruß. Früher wünschte man sich selbst Gesundheit, heute wünscht man es den anderen.

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VON ANNE-CATHERINE SIMON

Vor Kurzem hatte ein Freund von mir eine nette Unterhaltu­ng mit einem Taxifahrer. Er könne seine Maske ruhig abnehmen, sagte der Taxifahrer, er glaube nicht an Corona. Er und eines seiner fünf Kinder hätten Corona gehabt, aber vielleicht sei es auch nur Grippe gewesen. Die ganze Pandemie sei eine Lüge, eine Erfindung. Am Ende verabschie­dete sich der Mann herzlich von seinem Fahrgast, mit den Worten: „Bleiben Sie gesund!“

An solchen politische­n und Alltags-Skurrilitä­ten hat die Coronazeit ja unendlich viel zu bieten. Ist diese Begebenhei­t nun ein Beispiel für unsere Fähigkeit, einander ausschließ­ende Dinge zu glauben? Wie die Kinder, die es auf irgendeine Weise schaffen, gleichzeit­ig (oder abwechseln­d) an das Christkind zu glauben und nicht zu glauben?

Oder ist sie vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass die in Coronazeit­en aufgekomme­ne Abschiedsf­ormel „Bleiben Sie gesund!“beginnt, sich von der Pandemie zu emanzipier­en? Wird sie vielleicht bei noch langer Dauer derselben so selbstvers­tändlich werden, dass sie die Krise überlebt?

In einigen Jahren wird man Bilanz ziehen, wie viele Bräuche uns aus der Coronazeit erhalten geblieben sind. Die unendlich verhängnis­vollere Pest hat viele hinterlass­en, die zum Teil Jahrhunder­te überdauert­en. Auch einen Wunsch, der im 19. Jahrhunder­t den Segenswuns­ch „Gott helfe“abgelöst und es sogar bis ins US-Englische geschafft hat: „Gesundheit!“

Geht es nach dem heutigen Knigge-Benimmcode, sollte diese Reaktion auf das Niesen anderer Leute schon ausgestorb­en sein. Er empfiehlt stattdesse­n eine Entschuldi­gung des Niesenden, die von der

Umgebung mit freundlich­em Nicken quittiert wird. Trotzdem hält sich „Gesundheit!“hartnäckig und wird als rücksichts­voll empfunden.

Aber nur, weil sich der Sinn seit der Pestzeit verändert hat: Ursprüngli­ch wünschte man damit nicht dem Verursache­r des Niesens (das als Anzeichen der Pest galt) Gesundheit, sondern sich selbst – beziehungs­weise bat Gott darum. Wir sind also heute deutlich weniger eigensücht­ig, wenn wir angesichts der Pandemie anderen und nicht uns selbst Gesundheit wünschen.

Allerdings kann man die Formel „Bleiben Sie gesund!“auch noch in einem anderen Sinn verstehen – nicht nur als Wunsch, sondern auch als freundlich­e Mahnung, indirekt auf die anderen aufzupasse­n: Bleiben Sie gesund, damit andere es bleiben. So gesehen ist es ein schön doppeldeut­iger Gruß. Spätere Zeiten werden ihn vielleicht als Indiz guter Pandemie-Kultur werten.

anne-catherine.simon@diepresse.com

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