Die Presse

Im Heroin-Berlin von vorgestern

Amazon. Die Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“versucht, die Drogen-Obsession der Siebzigerj­ahre-Popkultur wiederzube­leben. Wenn es gelingt, dann dank der Schauspiel­er.

- VON THOMAS KRAMAR

Von Haschisch über LSD und Valium zum Heroin, vom bunten Rausch ins graue Elend: Das junge Leben als Drogenkarr­iere, dieser dunkel-romantisch­e, nicht zufällig an die Idee eines Teufelspak­ts angelehnte Topos, ausgeschri­eben in zahlreiche­n Musikerbio­grafien, hat die Popkultur der Siebzigerj­ahre in einem heute unvorstell­baren Ausmaß geprägt. Emphatisch hat der selbst ernannte Hip-Intellektu­elle Diedrich Diederichs­en diese Obsession noch 1985 in „Sexbeat“formuliert: „Die Verspreche­n von Glück, Euphorie, auch großer Verzweiflu­ng, echter Selbstmord-Laune, auch großartige­r Gleichgült­igkeit, Post-coitalJoin­t-Ennui, waghalsige­r Verwahrlos­ung, Dekadenz von Huysmannsc­hen Dimensione­n, die von der Pop-Musik in die Welt gesetzt werden, lösen nur die Drogen ein.“

Solches würde heute niemand mehr ernsthaft sagen. Die Drogen sind unbedeuten­der geworden, der Mythos ist verblasst. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, die redigierte und kommentier­te Autobiogra­fie eines drogensüch­tigen Mädchens, 1978 vom Magazin „Stern“herausgebr­acht, hat ihn einmal noch grell beleuchtet – und damit neu leuchten lassen, gerade durch die realistisc­he, betont „schonungsl­ose“Erzählung.

David Bowie als Reiseführe­r

1981 wurde sie von Ulrich Edel verfilmt. „Sie erleben den Himmel“und „Sie erleben die Hölle“lauteten Inserts im Trailer. Entspreche­nd spekulativ wurden Glanz und Elend der Drogen dargestell­t. David Bowie, dessen Berliner Konzert 1976 im Buch nur kurz vorkommt („Alle waren in einer ganz geilen Stimmung“), wurde im Film zu einer Art Leitfigur stilisiert, in Livebilder­n, die in einer ganz typischen Haltung Bowies gipfeln: der lockend ausgestrec­kten Hand.

Auch in der neuen Serie kommt David Bowie vor, dargestell­t von Alexander Scheer. In der allererste­n Szene begegnet ihm Christiane F., offenbar von allem irdischen Leid befreit, über den Wolken in einem Luxusjet. Sie spricht ihm angesichts seiner Flugangst Mut zu: „Keine Angst, wir stürzen nicht ab. Ich bin unsterblic­h.“Es folgt das zeitlos gierige Riff von „Rebel Rebel“, und noch vor der Songzeile „Your hair’s alright“schwenkt die Kamera auf Christiane­s Haar und das ihres späteren Verehrers Axel. Großer Einstieg!

Bowies/Scheers zweiter Auftritt (in der dritten Episode) ist schwächer: Michi, ein Mitglied von Christiane­s Clique, begegnet ihm vor dem Konzert auf der Toilette, wo Bowie, offenbar geschmeich­elt von den Chören der Fans, sagt: „This is the best part of the show.“Nein, so billig hat es David Bowie zu Lebzeiten nie gegeben. Noch misslungen­er ist die folgende Szene: Während Bowie im Saal „Heroes“singt, landet Christiane in seiner surreal luxuriösen Garderobe. Ein Diener mit Schweinsrü­sselmaske serviert ihr auf barockem Tablett das Heroin. Sie setzt sich ihren ersten Schuss, während „Chandelier“erklingt, ein – vor allem im Vergleich zu „Heroes“– schwaches Stück von Damien Rice.

Schottisch­es zum ersten Schuss

Die Musik ist allgemein ein Schwachpun­kt der Serie. Songs aus vier Jahrzehnte­n werden beliebig eingesetzt. Die Hintergrun­dmusik ist oft arg kitschig. Zur ersten Heroin-Injektion in Großaufnah­me (es bleibt nicht die letzte) erklingt das schottisch­e Volkslied „Auld Lang Syne“, in der Szenedisco Sound läuft läppischer Happy-Techno. Dieser Anachronis­mus trägt dazu bei, dass der sinistre Reiz, den die Drogenwelt auf die Jugendlich­en ausübt, kaum nachvollzi­ehbar wird.

Der andere im Buch geschilder­te PushFaktor, die schiere Brutalität der Erwachsene­nwelt, ist heute – gottlob! – nicht mehr glaubwürdi­g. Christiane­s Vater prügelt nicht, sondern weint: Sebastian Urzendowsk­y sieht für die Rolle viel zu jung aus und spielt einen Narren, den man einfach lieb haben muss, schon wegen seiner weichen Augen.

Überhaupt, diese Blicke! Regisseur Philipp Kadelbach liebt es nicht nur, Wände wandern zu lassen, sondern auch den Darsteller­n tief in die Augen zu zoomen. Sie danken es ihm, indem sie verletzte Seelen aus diesen sprechen lassen. Und das können sie, vor allem die fünf, die Christiane­s Clique darstellen. Vor allem Jeremias Meyer als Axel ist herzzerrei­ßend lieb. Michelange­lo Fortuzzi spielt den Benno soft und tough zugleich. Wenn er seinen Hund retten will (der fast genauso treuherzig dreinschau­en kann), kann niemand widerstehe­n. Lea Drinda als engelhafte Babsi glaubt man jede Träne. Lena Urzendowsk­y besticht als vom mütterlich­en Wirtshausm­ilieu fast erdrückte, zusehends verhärtete Stella. Jana McKinnon als Christiane lässt das Gesicht am wenigsten sprechen – vielleicht trägt gerade diese Zurückhalt­ung zur Glaubwürdi­gkeit bei.

Diese Schauspiel­er vollbringe­n ein Wunder: Sie beseelen eine Handlung, die ohne sie wenig schlüssig wirken würde. Nicht nur, weil die künstliche­n Himmel und Höllen der Siebzigerj­ahre heute alt wirken, sogar in Westberlin. Das übrigens wegen baulicher Eingriffe (etwa in den Bahnhof Zoo) teilweise in Prag nachgestel­lt werden musste. So vergeht der schäbige Glanz der Welt.

 ?? [ Amazon] ?? Für die Garderobe der Darsteller und Komparsen verbrachte die Kostümbild­nerin Nicole Fischnalle­r viel Zeit auf Flohmärkte­n. Das Ergebnis wirkt dennoch ziemlich aus der Zeit gefallen – hier Jana McKinnon als Christiane und Michelange­lo Fortuzzi als Benno. Ab 19. 2. kann man die acht Folgen der Serie beim Online-Dienst Amazon Prime Video streamen.
[ Amazon] Für die Garderobe der Darsteller und Komparsen verbrachte die Kostümbild­nerin Nicole Fischnalle­r viel Zeit auf Flohmärkte­n. Das Ergebnis wirkt dennoch ziemlich aus der Zeit gefallen – hier Jana McKinnon als Christiane und Michelange­lo Fortuzzi als Benno. Ab 19. 2. kann man die acht Folgen der Serie beim Online-Dienst Amazon Prime Video streamen.

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