Katalonien steckt in der Polarisierungsklemme
Gastbeitrag. Die Wahlen im pandemiegebeutelten Katalonien am Sonntag hinterließen einen fragmentierten Landtag. Der Aufschwung der Ultranationalisten in Spanien schreitet voran. Neuwahlen in wenigen Monaten sind nicht auszuschließen.
Spanien ist das am stärksten vom Klimawandel betroffene Land Europas, fand eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung heraus. Allerdings gehört die Farbe Grün den spanischen Ultranationalisten von Vox. Die ausländerfeindliche, populistische Partei hat am Sonntag einen Großerfolg in Katalonien eingefahren, in dem sie den Liberalen von Ciudadanos – der meistgewählten Partei 2017 – sowie der traditionell in Katalonien nebensächlichen Volkspartei PP weit voraus lag.
Die drei Parteien legten vor zwei Jahren den Meilenstein ihrer Entente bei einer Großkundgebung auf dem Madrider Plaza de Colon.´ Es folgte die Zusammenarbeit in Andalusien und Madrid. Seitdem haben die Ansichten der Vox an Boden gewonnen, während die zwei größeren, etablierten Parteien in der Krise stecken.
In Katalonien ist ein neuer Tiefpunkt dieser Tendenz erreicht worden. Nichtsdestoweniger ist der katalanische Separatismus einer der Hauptgründe für den stetigen Aufschwung der feurigen Befürworter der nationalen Einheit. Dies könnte auch Folgen jenseits der Pyrenäen haben. Denn das politische Zentrum in der EU kann sich keinesfalls über eine potenziell überwiegend rechte populistische, von der Nostalgie zur spanischen Franco-Diktatur geprägten Partei, in der vierten europäischen Volkswirtschaft freuen.
Sehr niedrige Wahlbeteiligung
Die großen Gewinner des Abends waren die drei Sezessionisten-Parteien, die ihre Mehrheit im Landtag ausbauten und wieder eine Regierung bilden können, selbst wenn ihre Unstimmigkeiten zur jetzigen Wahl geführt haben. Allerdings haben sie über 700.000 Stimmen verloren (die Wahlbeteiligung erreichte ein historisches Tief von 53,54 Prozent). Dabei wird die republikanische Linke der ERC entscheidend sein. Sie könnte sich mit der Puigdemont-Liste oder auch mit den Sozialdemokraten der PSC (die meistgewählte Liste, geführt vom ehemaligen spanischen Gesundheitsminister Salvador Illa) einigen. Einzigartig in Europa, hatten sich die Sezessionisten-Parteien vor der Wahl verpflichtet, eine
Koalition mit den Sozialisten zu meiden.
Es hilft natürlich nicht, dass über drei Jahre nach dem Fiasko der zwecklosen Unabhängigkeitserklärung von Carles Puigdemont ein Teil der damaligen katalanischen Führung noch Gefängnisstrafen absolvieren muss. „Wir wollen keine Märtyrer schaffen“, sagt Josep Ramon Bosch aus Santpedor im Herzen Kataloniens. Der Mitgründer der gegen die Unabhängigkeit gerichteten Sociedad Civil Catalana – und Verwandter von Startrainer Pep Guardiola – ist einer der Befürworter der Begnadigung der Verurteilten seitens der Regierung von Pedro Sanchez.´
Dennoch müssen die obersten Politvertreter des Landes immer wieder erklären, dass Spanien selbstverständlich eine Demokratie ist. Erst kürzlich wieder, als der geschickte russische Außenminister Sergej Lawrow die katalanischen Gefangenen mit dem Fall Alexej Nawalny verglich. Ein Vergleich, der vor allem den europäischen hohen Vertreter für Auslandspolitik, den Katalanen Josep Borrell, sehr verärgert hat. Die „Süddeutsche“titelte danach: „Der unglückliche Herr Borrell“.
Inzwischen dürfen die politischen Gefangenen an manchen Tagen das Gefängnis verlassen, sogar an Veranstaltungen teilnehmen. Besonders bitter war das Interview von dem wegen Aufwiegelung verurteilten Jordi Cuixart bei Catalunya R`adio, als er meinte, bereit zu sein, falls notwendig „die eigenen Kinder ins Gefängnis zu schicken“. Cuixart ist nicht allein mit solchen Ansichten. Die in die Schweiz geflüchtete Marta Rovira stellte in einer Kundgebung ihrer ERC ein früheres Mitglied der Terrorbande ETA, Arnaldo Otegi, so vor, in dem sie die Erfahrung des Basken in „seinen Jahren des Kampfes, des ,Wehrdienstes‘, des Gefechts“lobte.
Dass Otegi auch eine Rolle bei der Auflösung der ETA spielte, schien ihr nicht relevant zu sein, sondern dass er wisse, „wie man zum Endziel kommt“.
Tabubrüche bei Sezessionisten
Die einst staatsbürgerliche und friedliche Unabhängigkeitsbewegung hat in jüngster Zeit einige Tabubrüche begangen. In der „Washington Post“hat George F. Will geschrieben, dass „katalanische Sezessionisten eine Suppe aus Fiktion und Paranoia schöpfen“. Die „Financial Times“schrieb erst kürzlich, dass die katalanischen Separatisten Inspiration im Norden suchen. Eine schottische Unabhängigkeit könne das Szenario in Katalonien verändern. Der ehemalige Oxford-Professor und Autor von „Scots and Catalans“, John Huxtable Elliott, sieht es anders: „In Spanien besteht eine viel größere Angst vor Fragmentierung“– wie auch in der EU.Als First Minister Nicola Sturgeon am Brexit-Tag sagte, Schottland werde bald wieder in Europa sein, zeigte sie die Unterschiede zu Katalonien auf.
Womöglich würde das Land am Mittelmeer im Falle einer Trennung die Union verlassen müssen. Im Vorwort zur Epicenter-Studie über die „Wirtschaftsfolgen einer hypothetischen Unabhängigkeit Kataloniens“warnte Professor Juergen B. Donges von der Uni Köln vor den „drastischen Veränderungen für die Wirtschaft“in einem Szenario, das von „Unsicherheit, Inflation und Devaluation“geprägt sein könnte. „Es sollte daran erinnert werden, dass, nachdem die Entscheidung, Europa zu verlassen, getroffen wäre, eine Rückkehr nicht den Katalanen überlassen bleiben würde, sondern der einstimmigen Akzeptanz aller EU-Länder, was viele Jahre dauern oder eventuell niemals erreicht werden könnte.“
Spanien, ein polarisiertes Land
Im Buch „Why the Right went Wrong“beschreibt Professor und Kolumnist E. J. Dionne die Kurve in die falsche Richtung, die seiner Meinung nach die republikanische Partei Amerikas in Richtung Radikalisierung eingeschlagen hat. Bei CNN sieht Fareed Zakaria die Ursache in der giftigen politischen Rhetorik, die im Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner vorerst ihren Höhepunkt erreicht hat.
Im Herbst veröffentlichte das Esade-Zentrum für Wirtschaftspolitik eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass Spanien eines der am stärksten polarisierten Länder der Welt ist. Mit dem provokanten Titel „Katalonien isolieren, um Spanien zu retten“hat Carlos Sanchez´ in „El Confidencial“über die Verbindungen in der Toxizität in Spanien und Katalonien nachgedacht und darüber, wie sich Radikalismen gegenseitig ernähren. Deswegen sollte eine nachhaltige Lösung für Spanien auch auf die Fragen Kataloniens Antworten suchen.
Die Wahlen in Katalonien haben einen fragmentierten Landtag hinterlassen. Die Identitätsfrage hat viele Wähler bewegt, während das schlechte Management der Pandemie schon über 20.000 Tote gefordert hat und die Wirtschaft am Boden liegt. Neuwahlen in wenigen Monaten sind nicht auszuschließen. Was Starjournalist In˜aki Gabilondo sagte, stimmt: In Spanien wird langsam ein Reset fällig.
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