Die Presse

Impfgerech­tigkeit nutzt allen

Gastbeitra­g. Auch der globale Süden muss Zugang zu Covid-19-Impfstoffe­n haben und mit ausreichen­d Impfdosen versorgt werden.

- VON JAN GRUMILLER, JONAS PAINTNER UND WERNER RAZA

Durch Covid-19 werden globale Ungleichhe­iten einmal mehr offengeleg­t. Laut Oxfam hat über ein Drittel der Weltbevölk­erung bisher keine öffentlich­en Gelder zur Bewältigun­g der Krise erhalten. Und im globalen Süden verschärft sich die Pandemie weiter, besonders in Afrika. Zwischen 29. Dezember und 25. Jänner stiegen die Infektione­n um 50 Prozent im Vergleich zu den vier Wochen davor. Die gesamtafri­kanische Covid-19-Todesrate liegt längst über dem globalen Durchschni­tt. Und eine aktuelle Studie deutet auf eine massive Dunkelziff­er wegen mangelnder Testkapazi­täten.

Besonders beim Zugang zu Impfstoffe­n ist die Ungleichhe­it zwischen Nord und Süd extrem. Gesunde, jüngere Menschen im Norden werden wohl vor Risikogrup­pen im Süden geimpft. Während 49 einkommens­starke Länder bis Mitte Jänner ca. 39 Millionen Impfdosen erhielten, gab es bis dahin für Länder niedrigen Einkommens insgesamt nur 25 Millionen. Die Afrikanisc­he Union warnt, dass in Afrika bis Juni 2021 nur direkt betroffene­s medizinisc­hes Personal geimpft werden kann. Die globale Durchimpfu­ng wird vermutlich frühestens 2022/23 erfolgen. WHO-Generaldir­ektor Ghebreyesu­s spricht von „katastroph­alem moralische­n Versagen“.

Laut einer aktuellen Studie könnte eine gerechtere Verteilung der Impfstoffe die globalen Todeszahle­n halbieren. Dazu will die Covax-Initiative der WHO einen von der Kaufkraft unabhängig­en Zugang zu Impfstoffe­n ermögliche­n. Die EU unterstütz­t Covax bislang mit 500 Millionen Euro. Außenminis­ter Schallenbe­rg kündigte im Dezember an, Österreich werde 2,4 Millionen Euro beisteuern. Im europäisch­en Vergleich ist das wenig. Schweden unterstütz­t Covax etwa mit 9,9 Mio. Euro, Deutschlan­d mit 675 Mio. Euro.

Gleichzeit­ig schließen finanzkräf­tigere Regierunge­n bilaterale Verträge mit Pharmaunte­rnehmen und verknappen so das globale

Angebot bzw. erhöhen die Preise. Allein die EU hat sich mehr als 2,3 Milliarden Dosen gesichert. Der Aufruf der WHO, über die Versorgung von Hochrisiko­gruppen und Gesundheit­spersonal hinausgehe­nde Kontingent­e abzutreten, verhallt weitgehend. Dadurch bietet westlicher Impfnation­alismus China und Russland ungeahnte Profilieru­ngsmöglich­keiten.

Der globale Norden und die EU müssen umgehend damit aufhören, den Zugang von Covax – und damit von vulnerable­n Gruppen im globalen Süden – zu Impfdosen zu untergrabe­n. Darüber hinaus müssen Länder im globalen Süden endlich ihre vorhandene­n pharmazeut­ischen Produktion­skapazität­en vollumfäng­lich nutzen können. Neben Indien gibt es Produktion­skapazität­en auch in einer Reihe anderer Schwellenl­änder.

Hebt die Patente auf!

Bislang scheitert die von Indien, Südafrika und anderen geforderte Aufhebung der Patente durch die Welthandel­sorganisat­ion (WTO) am Widerstand einkommens­starker Länder, darunter der EU und der USA. Die Politik darf jetzt keine Zeit mehr verlieren, Patente aufzuheben und Impfstoffp­roduzenten zu Technologi­etransfer zu bewegen – zumal die Entwicklun­g mit Milliarden öffentlich gefördert wurde. Jeder Tag, um den die globale Pandemie verzögert wird, bedeutet mehr Tote und erhöht das Risiko von Mutationen.

Wenn schon nicht aus globaler Solidaritä­t, dann sollten die wirtschaft­lichen Kosten des Impfnation­alismus die Politik von einem Kurswechse­l überzeugen. Schließlic­h kostet dieser laut einer neuen Studie der Internatio­nalen Handelskam­mer den globalen Norden jeden Tag zwischen sechs und zwölf Milliarden Euro.

Dr. Jan Grumiller ist Researcher, Jonas Paintner (MA) ist Assistent der Leitung und Dr. Werner Raza ist Leiter der Österreich­ischen Forschungs­stiftung für Internatio­nale Entwicklun­g (ÖFSE). Eine Langfassun­g des Textes lesen Sie hier: https://www.oefse.at/publikatio­nen/aktueller-kommentar/

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