„Höchstens die Tanzfläche in der Küche“
Pop. Die Tindersticks, seit 30 Jahren Meister der kunstvollen Melancholie, bringen auf ihrem neuen Album einen Song von Neil Young. Und ein Lied über das Pariser Bataclan. Sänger Stuart Staples erklärte der „Presse“, was ihm das bedeutet.
Die Presse: Ihr neues Album beginnt mit einem rhythmischen Elf-Minuten-Song. Wollen die Tindersticks jetzt die Tanzfläche rocken?
Stuart Staples: Höchstens die Tanzfläche in der Küche. Das Stück wuchs wie stets aus dem Gesang. Ich habe dann mit Drum Machine und Bassgitarre gespielt. Da kam dieser Rhythmus heraus, der mich ganz in seinen Bann gezogen hat. Damit er mir nicht entschlüpft, wollte ich ihn unbedingt vor unserer Tour aufnehmen. Dann kam Covid.
Wie schwer war es eigentlich, den samtigen Zeitlupensound der Tindersticks in einer Welt zu etablieren, in der die meisten auf extrovertierte Klänge stehen?
Nicht ganz leicht. Weil ich ein eher introvertierter Mensch bin, musste ich viel lernen. Etwa, dass man fotografiert wird, wenn man sich auf eine Bühne stellt.
Fühlen Sie sich dort also eher nicht wohl? Komfortabel ist es mir nie ganz. Man muss eben lernen, die Bedingungen dafür, Platten zu machen, zu akzeptieren.
Ist der Applaus, der jetzt ja ausbleibt, genug Lohn für Ihre Mühen?
Er ist ein schöner Lohn. Aber noch erfüllender ist, dass wir genau das machen können, was wir uns am meisten wünschen: im Studio Neues entdecken.
Neu entdeckt haben Sie nun auch die französische Sprache. Was hat es mit dem Song „Tue-moi“(„Töte mich“) auf sich? Das Lied handelt nicht vom Terroranschlag im Bataclan, aber es wurde dadurch ausgelöst. Ich habe ein langes, inniges Verhältnis zu diesem Konzertsaal. Ich habe sogar den Geruch dieses Ortes internalisiert. Ich brauchte fünf Jahre, um diesen Song zu schreiben. Es hat sich aber ausgezahlt. Wahrhaftigkeit ist mir sehr wichtig. Die braucht Sorgfalt. Ich mag meine Ideen nicht bei der ersten Gelegenheit betrügen.
Iggy Pop hat bei seinen französisch gesungenen Liedern jedenfalls einen weitaus stärkeren Akzent. Sind Ihre französischen Freunde zufrieden mit Ihnen?
Ja, ich denke schon. Ich wollte nie anders klingen als ein Engländer, der Französisch singt. Mehr ist es nicht. Und ein bisschen eine Reverenz an mein Gastland. Ich lebe ja schon lang hier.
Sie haben Neil Youngs „A Man Needs a Maid“, das schon bei seiner Veröffentlichung in den Siebzigerjahren für Kontroversen sorgte, just in Zeiten von | MeToo neu aufgenommen. Eine Provokation? Dieses Lied ist seit zehn Jahren auf unserer Agenda. Den Text darf man halt nicht total wörtlich nehmen. Für mich ist es ein Lied über Angst und Intimität, den Preis, den man für Intimität zahlen muss. Neil Young hat das Lied geschrieben, um den männlichen Protagonisten als Schwächling zu zeigen. Mir ist dieses Thema nah, denn ich bin umgeben von Frauen, die smarter, schneller und lustiger sind als ich.
„A Man Needs a Maid“hat in seiner narrativen Struktur einen Bruch: Es wendet sich plötzlich direkt an den Hörer. Was halten Sie von solchen Überraschungen? Diese Brüche sind essenziell. Auch in meiner Komposition „The Bough Bends“mache ich so etwas. Erzählerischer Perspektivenwechsel ist für Sänger wichtig. Man hat ja nicht nur eine einzige Stimme in sich. Ändert sich die Erzählung, hat man Gelegenheit, den Gesangsduktus zu wechseln.
Die Naivität von Neil Young ist bestrickend. Was halten Sie von simplen Zeilen wie „I was watchin’ a movie with a friend, fell in love with the actress, she was playin’ a part that I could understand“?
Die sind brillant. Ich singe das Lied ja schon lang live. Voraussetzung dafür, eine Coverversion zu machen, ist, dass das Lied zu tief in dich eingedrungen sein muss, dass es aus dir wieder herauskommen will und dem Hörer eine neue Perspektive bietet. Das Dramatische, Orchestrale hat mir immer gefallen, aber mehr noch hat mich die Simplizität dieses Songs gereizt. Das Intime und sein Preis, das sind zentrale Themen für mich.
Gilt das auch für „The Lady with the Braid“, diesen wortreichen, verzweifelten Liebessong von Dory Previn?
Auf jeden Fall. Die Hauptfigur in diesem Lied sucht verzweifelt Intimität. Dory Previn schrieb in einer viel helleren, humorvollen Art über diese unglückliche Person. Gerade deshalb ist dieses Lied so anrührend.
Wie haben Sie dieses legendäre Dory-Previn-Album „Mythical Kings And Iguanas“, von dem der Song ja stammt, entdeckt?
Ich hatte einst einen Englischlehrer, der für mich sehr wichtig war. Er war stets daran interessiert, was seine Schüler gern hörten. Ich borgte ihm einmal das Joy-Division-Album „Unknown Pleasures“. Als er es mir zurückgab, meinte er, dass mir sicher Dory Previn gefallen würde. Es gab damals ja kein Spotifiy, also dauerte es noch ein paar Jahre, bis dieses Album in meine Hände kam.
Sowohl im Neil-Young-Lied als im DoryPrevin-Song sind die Geschlechterrollen aus heutiger Perspektive recht starr angelegt. Haben Sie eine geheime Sehnsucht nach dieser Art von Klarheit?
Nein. Die Lockerung starrer Ansichten war ja auf der Agenda der Songwriter der Siebzigerjahre. Als ich jung war, kämpften wir auch für Freiheit. Zum guten Teil erfolgreich. Daran hat mich auch mein Cover des Songs „You’ll Have to Scream Louder“von den TV Personalities erinnert. Als ich ihn einsang, hab ich mich wieder als junger Mann gefühlt, der gegen Margaret Thatcher, Ronald Reagan, Rassismus und Brutalität der Polizei gekämpft hat. Veränderung muss immer Thema in der Popmusik sein. Und ist es auch, wenn man sich all die Songs ansieht, die die Ermordung von George Floyd, die Pandemie und der Brexit ausgelöst haben.
Haben Sie Dan Treacy, den Sänger der TV Personalities, im Vorfeld Ihrer Neuaufnahme getroffen?
Nein, er ist leider hospitalisiert. Es geht ihm nicht wahnsinnig gut. Aber er wollte unbedingt unsere Coverversion hören.