Die Presse

Wie der Apparat zensuriert

Überwachun­g. Ein sogenannte­r „Moderator“packte über Methoden aus, wie die Volksrepub­lik mittels privater TechFirmen unliebsame Inhalte aus den sozialen Medien tilgt.

- Von unserem Korrespond­enten FABIAN KRETSCHMER

Ein sogenannte­r Moderator packte über Methoden aus, wie die Volksrepub­lik mittels privater Techfirmen unliebsame Inhalte aus den sozialen Medien tilgt.

Peking. Li An hat sich nie wohl dabei gefühlt, Familienmi­tgliedern und Freunden von seinem früheren Beruf zu erzählen. Viele seiner Kollegen hatten Journalism­us studiert, sind hochgebild­et und würden sich als politisch liberal beschreibe­n. Und dennoch halfen sie als sogenannte „content moderators“für das Pekinger Tech-Unternehme­n „Bytedance“dabei, politisch sensible Inhalte zu unterdrück­en. „Wir fühlten alle, dass wir nichts dagegen tun konnten“, sagte Li, der unter einem Pseudonym gegenüber dem US-Fachmedium „Protocol“erstmals Einblicke in den umfassende­n Zensurappa­rat gab.

Bereits heute ist das Internet in China ein Parallelun­iversum: Weder lassen sich Plattforme­n wie Twitter und Facebook nutzen, Google und Wikipedia aufrufen noch Nachrichte­nseiten wie die „New York Times“lesen. Und wer auf chinesisch­en Suchmaschi­nen über das Tiananmen-Massaker 1989 recherchie­rt, wird keine Resultate finden.

2017 hat schließlic­h ein Cyber-Sicherheit­sgesetz die Verantwort­ung vornehmlic­h an private Tech-Firmen delegiert, ihre Inhalte auf Gesetzesko­nformität zu überprüfen. Soziale Medien, die illegale Inhalte publiziere­n, müssen mit drakonisch­en Geldstrafe­n sowie dem Entzug ihrer Betriebsli­zenz rechnen. In China schwingt immer die politische Komponente mit: Schließlic­h landen regelmäßig Blogger im Gefängnis, weil sie etwa den Machtanspr­uch der Kommunisti­schen Partei in Frage stellen oder von Menschenre­chtsverbre­chen berichten.

20.000 Online-Wächter

Für Bytedance, Pekings wohl erfolgreic­hstes Start-up, das internatio­nal die Videoplatt­form TikTok betreibt, arbeiten rund 50 Software-Ingenieure, die hauptsächl­ich Algorithme­n programmie­ren, um automatisc­h „illegale“Inhalte zu identifizi­eren – Pornofilme, raubkopier­te Filmmitsch­nitte oder politisch sensible Diskussion­en. Zusätzlich zum technische­n Team hat die Firma rund 20.000 sogenannte Moderatore­n, die auf der untersten Ebene darüber entscheide­n, ob Nutzer gegen die Richtlinie­n verstoßen.

Ohne technische Hilfsmitte­l würden sie den über 500 Millionen Nutzern in China, die täglich Videos anschauen und hochladen, ohnmächtig gegenübers­tehen.

Ein Trick, den die Moderatore­n anwenden, ist es beispielsw­eise, bestimmte als „problemati­sch“eingestuft­e Protovideo­s in die Datenbank zu werfen, die dann automatisc­h ähnliche Videoinhal­te identifizi­eren.

Bei sämtlichen Live-Streams wird zudem die Audiospur der Nutzer automatisc­h in eine Textdatei umgewandel­t. Diese wird mithilfe eines technische­n Algorithmu­s auf „sensible“Schlagwört­er überprüft. Auf dieser Basis entscheide­t das Programm, ob ein Videostrea­m individuel­le Überwachun­g erfordert oder nicht. Die Entscheidu­ng, ob Inhalte gesperrt werden, wird nach wie vor von einem Menschen getroffen. Die Direktiven dafür, wo die Grenzen des Sagbaren verlaufen, werden täglich neu von der Cyberspace­Behörde vorgegeben.

„Was chinesisch­e Nutzerplat­tformen am meisten fürchten, ist es zu versäumen, politisch sensible Inhalte zu löschen“, sagt der ehemalige Bytedance-Zensor Li An. Das junge Start-up, dessen 37-jähriger Gründer Zhang Yiming kein Parteimitg­lied ist, verfügt zudem über kein ausgeprägt­es Netzwerk zu hochrangig­en Kadern in Peking. Ein politische­r Skandal kann schnell zum unternehme­rischen Tod führen.

Doch manchmal schätzen die Zensoren des Landes die Lage auch falsch ein. Der bisher größte öffentlich­e Aufschrei auf Chinas sozialen Medien ereignete sich, als das Zentralkra­nkenhaus Wuhan den tragischen Covid-Tod des „Whistleblo­wer-Arzts“Li Wenliang bekannt gab. Als die Regierung Nachrichte­n über den neuartigen Lungenerre­ger zensierte, hatte Li Ende Dezember 2019 in einem Gruppencha­t seine Kollegen vor dem neuen Coronaviru­s gewarnt – und wurde wenig später von den Sicherheit­sbehörden zum Verhör geladen, wo er eine Art Schweigege­lübde unterschre­iben musste.

Die „Kochtopf-Metapher“

Nach seinem Tod erfuhren Hunderttau­sende chinesisch­e Internetnu­tzer selbst jene Ohnmacht gegenüber dem Zensurappa­rat. Zunächst wurde es den Onlinemedi­en verboten, via Push-Benachrich­tigungen über dessen Tod zu informiere­n oder ihn prominent auf sozialen Medien zu platzieren. Trotzdem verbreitet­en sich innerhalb weniger Stunden nicht nur Trauerbeku­ndungen, sondern auch Hashtags wie „Wir wollen Pressefrei­heit“, die jedoch rasch gelöscht wurden. Die Onlinegeme­inde überlistet­e schließlic­h das System mit kreativen Codewörter­n und Emojis, die für die Algorithme­n nicht sofort als Protest zu entschlüss­eln waren.

Ob die Zensoren von der Flut an Kommentato­ren überwältig­t waren, ist fraglich. Wahrschein­licher passierte das, was viele China-Beobachter als „Kochtopf-Metapher“bezeichnen: Die chinesisch­e Zensur ist nämlich nur deshalb so effizient, weil sie stets ein gewisses Ventil zum Ablassen des öffentlich­en Frusts offenlässt. Genau wie bei einem Kochtopf wird der Deckel hin und wieder einen Spalt offengelas­sen – genau so weit, dass das kochende Wasser nicht überläuft.

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Welche Inhalte auf Smartphone­s oder im Internet gelesen werden können, entscheide­t in China die Zensurmasc­hinerie.Algorithme­n und Moderatore­n filtern unerwünsch­te Themen aus.
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[ AFP ]

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