Die Presse

Arbeitslos­e, Wind und „Sadismus“

Parlament. Der Nationalra­t diskutiert über die Performanc­e der Regierung – und gerät dabei auch auf Abwege. Die FPÖ wirft der ÖVP „Sadismus“vor, weil in den Schulen Kinder getestet würden.

- VON MARTIN FRITZL

Der Nationalra­t diskutiert über die Performanc­e der Koalition – und gerät dabei zeitweise auf Abwege.

Wien. Kommt Österreich gut durch die Krise? Oder doch nicht? Die SPÖ machte das Krisenmana­gement der Regierung in punkto Wirtschaft und Arbeitsmar­kt zum Thema der Nationalra­tssitzung am Mittwoch – mit dem erwartbare­n Ansatz, dass dieses schlecht funktionie­rt. Die Krise kenne viele Verlierer, sagt SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Österreich finde sich unter den Ländern mit dem stärksten Wirtschaft­seinbruch, die Arbeitslos­igkeit in Österreich sei doppelt so stark gestiegen wie in Deutschlan­d.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat da einer andere Wahrnehmun­g: Österreich könne der Wirtschaft besser helfen als andere Staaten, weil man in der Vergangenh­eit finanziell die Möglichkei­ten dafür geschaffen habe. Demonstrat­iv dankt Kurz seinem aufgrund des Strafverfa­hrens angeschlag­enen Finanzmini­ster Gernot Blümel, dass dieser bei der EU die Möglichkei­t höherer Unterstütz­ungsleistu­ngen für die Betriebe durchgeset­zt habe. Das österreich­ische Modell sei eines der besten der Welt und der Grund, „warum wir bei der Arbeitslos­igkeit in Europa unter den besten zehn Ländern sind“.

Was nun? Ist Österreich nun besser dran als andere Länder oder schlechter? Martin Kocher, seit Kurzem Arbeitsmin­ister, schlüpft kurz in seine alte Rolle als Wirtschaft­swissensch­after, um Licht ins Dunkel der divergiere­nden Zahlen zu bringen: Ja, in Österreich sei die Wirtschaft stärker eingebroch­en als in anderen Ländern, aber das liege an den Rahmenbedi­ngungen: daran nämlich, dass der Tourismus eine höhere Bedeutung habe als in anderen Ländern.

Eine Sichtweise, die wiederum die Opposition nicht nachvollzi­ehen kann. SPÖ-Mandatar Johann Muchitsch findet es unverständ­lich, dass bei 31 Mrd. Euro Wirtschaft­shilfe so wenig herauskomm­t – und rüffelt auch gleich Sebastian Kurz: „Herr Bundeskanz­ler, können Sie einmal das

Handy wegtun? Wir sprechen über Arbeitslos­e und Sie spielen am Handy herum.“Wenig Vertrauen in die Wirtschaft­skompetenz der Regierung hat auch Neos-Mandatar Sepp Schellhorn: Dass Österreich zu den Besten zähle, sei lediglich eine PR-Show. Es wäre besser, „gezielt zu helfen, als mit der Gießkanne durch das Land zu fahren“. Auf mittelbar vom Ausbleiben der Touristen betroffene Sparten wie beispielsw­eise Handel oder Textildien­stleister würde vergessen. Und er bringt ein Beispiel für unsinnige Hilfsmaßna­hmen: Beim Umsatzersa­tz im Vorjahr seien auch Windkraftw­erke unterstütz­t worden. „Da gab es Umsatzersa­tz für entfallene­n Wind.“

Auch die freiheitli­che Mandatarin Dagmar Belakowits­ch findet, irgendwas sei faul im System, denn die Hilfen kämen nicht dort an, wo sie hingehörte­n. Dies würden jedenfalls die Arbeitsmar­kt- und Wirtschaft­sdaten nahelegen. Österreich befinde sich in einem „wirtschaft­lichen Chaos“, die Regierung habe Leid, Perspektiv­enlosigkei­t und Armut über das Land gebracht. Belakowits­ch schwenkt aber rasch ab zum neuen Lieblingst­hema der Freiheitli­chen und zieht über die Coronaschu­tzmaßnahme­n her – auch da spart sie nicht mit starken Worten: Die Testung von Schulkinde­rn nennt sie „Sadismus der ÖVP“. Dass sie der Volksparte­i vorwirft, gerade ein austrofasc­histisches System zu etablieren, ist auch Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) zu viel: Er erteilt Belakowits­ch einen Ordnungsru­f.

Der Plan der SPÖ, in Anlehnung an die von Türkis-Blau abgeschaff­te Aktion 20.000 eine „Aktion 40.000“für Langzeitar­beitslose ins Leben zu rufen, ist dann nur am Rande ein Thema. ÖVP-Mandatar Andreas Ottenschlä­ger lehnt die Schaffung künstliche­r Arbeitsplä­tze ab, der Koalitions­partner sieht das nicht ganz so negativ. Für Grünen-Abgeordnet­en Markus Koza ist eine Aktion 40.000, also die Beschäftig­ung von Arbeitslos­en im öffentlich­en Bereich, „nicht das Gelbe vom Ei, aber doch überlegens­wert.“

Gesetzesbe­schlüsse gab es am Mittwoch auch etliche. So stimmten alle Abgeordnet­en für eine jährliche Förderung von vier Millionen Euro für die Erhaltung jüdischen Kulturguts. Die Coronaförd­ertöpfe für Künstler wurden um 30 Millionen Euro aufgestock­t, jene für Privatzimm­ervermiete­r ausgeweite­t, sodass auch Vermieter mit mehr als zehn Betten davon profitiere­n können. Und bei der Home-Office-Regelung wurde als erster Schritt ein Steuerabse­tzbetrag für Anschaffun­gen für das Home-Office beschlosse­n.

Die Neos sind wie die Salatschüs­sel bei McDonalds: Die braucht auch keiner.

Christoph Zarits, ÖVP-Mandatar

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[ APA/Schlager ] Kanzler Kurz sieht eine Führungsro­lle Österreich­s, Arbeitsmin­ister Kocher weist auf ungünstige Rahmenbedi­ngungen hin.

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