In Südamerika blüht die Impf-Korruption
Covid-Kontinent. Von Peru bis Brasilien sichern sich Eliten internationale Vakzine, während das Volk ungeschützt bleibt. Fast überall kommt die Impfkampagne nur langsam in Gang – außer in Chile, das weltweit im Spitzenfeld liegt.
Buenos Aires. Es hatte ihn gar niemand gefragt. Der einflussreiche argentinische Journalist Horacio Verbitsky erzählte von sich aus, wie er an Sputnik V kam: „Ich habe meinen Amigo Gines´ angerufen.“Gesundheitsminister Gines´ Gonza-´ lez Garcia bestellte den Berater der Vizepräsidentin, Cristina Kirchner, in sein Vorzimmer. Dort warteten vier Pflegekräfte, um Verbitzky und neun weiteren „Amigos“den Impfschutz zu spritzen. So heimlich wie möglich. Aber offenbar nicht diskret genug. Medien hatten Wind bekommen, darum ging Verbitzky ins Radio und stahl nicht nur die Impfung, sondern auch den Scoop.
Stunden später bat Präsident Alberto Fernandez´ den Minister um dessen Rücktritt. Und schon bald berichteten mehrere Medien, dass das Ministerium 3000 russische Impfungen für „strategisches Personal“reserviert habe: Minister, Abgeordnete, Gouverneure, Bürgermeister, deren Ehepartner, Kinder und sogar Chauffeure. Präsident Fernandez´ berief eine neue Ministerin, deren Vater der beste Freund des zurückgetretenen Gonzalez´ Garcia ist. Sie versprach künftig mehr Transparenz.
Chinesische Lieferungen
Das dürfte ihr nicht erspart bleiben, denn die Justiz hat sich inzwischen die Namen all jener gesichert, die bisher eine der etwa 1,2 Millionen Dosen bekamen, die in das 45-Millionen-Land geliefert wurden. Davon stammt die eine Hälfte aus Russland und die andere aus dem indischen Serum Institute, das den Wirkstoff von Astra Zeneca produziert. Als der Skandal aufkam, war gerade mal die Hälfte der fast 800.000 Pflegekräfte geimpft. Bisher haben erst 1,6 Prozent der Argentinier die erste Dosis erhalten. Mit einer Million Dosen des chinesischen Herstellers Sinopharm will man nun Lehrkräfte immunisieren und die Regierung aus dem Schussfeld bringen. Eigentlich wollte Präsident Fernandez´ mit einer erfolgreichen Impfkampagne bei den Parlamentswahlen im Oktober punkten.
In Peru wird am 11. April ein neuer Präsident gewählt und mitten in den Wahlkampf platze vorige Woche eine Bombe von argentinischen Ausmaßen. Auch in dem hart getroffenen Andenland hat sich eine kleine Elite die Immunität gesichert. Mindestens 487 Personen hatten im Oktober Zugang zu einer Charge des chinesischen Impfstoffs von Sinopharm, der zur klinischen Erprobung nach Peru kam. Neben den 20.000 Test-Injektionen kamen 3200 Dosen aus China, um das an der Studie beteiligte Personal zu impfen. Davon wurde ein erheblicher Teil abgezweigt. Ein Viertel der Nutznießer waren Staatsangestellte. Unter ihnen der im Oktober geschasste Ex-Präsident Martin Vizcarra, seine Frau und sein Bruder. Ebenso die Gesundheitsministerin Pilar Mazzetti und Außenministerin Elizabeth Astete, die beide nach Bekanntwerden der Vorwürfe zurücktraten. In Peru ist die offizielle Impfkampagne sehr schleppend angelaufen, erst 0,6 Prozent der Bevölkerung konnte immunisiert werden.
Sputnik V für „Vertrösten“
Ähnlich langsam ist der Fortschritt in Ecuador, Kolumbien, Bolivien, Paraguay und Venezuela. Dabei setzten linke Regierungen in Caracas und La Paz auf die russische Impfung und müssen sich nun fragen, ob das angehängte V in Sputnik V für „Vertrösten“steht. Denn die Lieferungen hinken weit hinter den Zusagen zurück.
Das in der ersten Welle zum Musterland avancierte Uruguay wird erst im März mit dem Impfen beginnen. Nach Oppositions-Kritik hat Präsident Luis Lacalle Pou vor zwei Tagen bekannt gegeben, bis Ende März etwa zwei Millionen Dosen zu verabreichen, damit wären fast zwei Drittel der 3,3 Millionen Einwohner geschützt. Den Großteil liefert Sinovac aus China, ein Viertel kommt von Pfizer. Um das deutsch-amerikanische Hightech-Vakzin zu verabreichen, musste sich das Land erst einmal die erforderliche Kühltechnik besorgen. Immerhin gibt es aus Uruguay bisher keine Unregelmäßigkeiten zu berichten. Aus Südamerikas zweitem Musterland schon.
In Chile, dessen Regierung sich durch frühzeitig abgeschlossene Verträge mit Pfizer, Sinovac, AstraZeneca und Johnson&Johnson 84 Millionen Impfdosen (vier pro Einwohner) vertraglich gesichert hat, sind zehntausende Injektionen an Vordrängler gegangen. Fast drei Millionen Schüsse hat das Land bereits verabreicht, und so etwa 15 Prozent der Bevölkerung geschützt - Pflegekräfte und Hochbetagte vor allem. Aber eben auch jene 37.306 Personen unter 60, die nun in den Statistiken des Gesundheitsministerium auftauchten. Regierung und Justiz haben angekündigt, das Abzweigen aufzuarbeiten. Im Verdacht stehen vor allem Kommunalpolitiker, denen die Behörden die Organisation des Impfprogramms überlassen haben. Pikant: Besonders viele Unregelmäßigkeiten betreffen die wohlhabenden Hauptstadtbezirke Las Condes und La Florida.
Luftspritzen in Brasilien
Und auch in Südamerikas größtem Land wurden kriminelle Umtriebe bekannt. In Brasiliens Netzen machten Videos von Impfstationen die Runde. Sie zeigen Pflegekräfte, die hochbetagten Mitbürgern entweder Luft injizieren, oder die Impfspritze nur stechen, aber nicht entleeren. Offenbar wurden hier Impfdosen abgezweigt, um dann auf dem Schwarzmarkt meistbietend verabreicht zu werden. Die Polizei von Rio hat Untersuchungen aufgenommen und vor Haftstrafen von bis zu zwölf Jahren gewarnt. Wie abschreckend das sein wird, ist fraglich. Denn an eine ineffiziente Justiz sind die Südamerikaner leider ebenso gewohnt wie an korrupte Eliten.