Die Presse

In Südamerika blüht die Impf-Korruption

Covid-Kontinent. Von Peru bis Brasilien sichern sich Eliten internatio­nale Vakzine, während das Volk ungeschütz­t bleibt. Fast überall kommt die Impfkampag­ne nur langsam in Gang – außer in Chile, das weltweit im Spitzenfel­d liegt.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires. Es hatte ihn gar niemand gefragt. Der einflussre­iche argentinis­che Journalist Horacio Verbitsky erzählte von sich aus, wie er an Sputnik V kam: „Ich habe meinen Amigo Gines´ angerufen.“Gesundheit­sminister Gines´ Gonza-´ lez Garcia bestellte den Berater der Vizepräsid­entin, Cristina Kirchner, in sein Vorzimmer. Dort warteten vier Pflegekräf­te, um Verbitzky und neun weiteren „Amigos“den Impfschutz zu spritzen. So heimlich wie möglich. Aber offenbar nicht diskret genug. Medien hatten Wind bekommen, darum ging Verbitzky ins Radio und stahl nicht nur die Impfung, sondern auch den Scoop.

Stunden später bat Präsident Alberto Fernandez´ den Minister um dessen Rücktritt. Und schon bald berichtete­n mehrere Medien, dass das Ministeriu­m 3000 russische Impfungen für „strategisc­hes Personal“reserviert habe: Minister, Abgeordnet­e, Gouverneur­e, Bürgermeis­ter, deren Ehepartner, Kinder und sogar Chauffeure. Präsident Fernandez´ berief eine neue Ministerin, deren Vater der beste Freund des zurückgetr­etenen Gonzalez´ Garcia ist. Sie versprach künftig mehr Transparen­z.

Chinesisch­e Lieferunge­n

Das dürfte ihr nicht erspart bleiben, denn die Justiz hat sich inzwischen die Namen all jener gesichert, die bisher eine der etwa 1,2 Millionen Dosen bekamen, die in das 45-Millionen-Land geliefert wurden. Davon stammt die eine Hälfte aus Russland und die andere aus dem indischen Serum Institute, das den Wirkstoff von Astra Zeneca produziert. Als der Skandal aufkam, war gerade mal die Hälfte der fast 800.000 Pflegekräf­te geimpft. Bisher haben erst 1,6 Prozent der Argentinie­r die erste Dosis erhalten. Mit einer Million Dosen des chinesisch­en Hersteller­s Sinopharm will man nun Lehrkräfte immunisier­en und die Regierung aus dem Schussfeld bringen. Eigentlich wollte Präsident Fernandez´ mit einer erfolgreic­hen Impfkampag­ne bei den Parlaments­wahlen im Oktober punkten.

In Peru wird am 11. April ein neuer Präsident gewählt und mitten in den Wahlkampf platze vorige Woche eine Bombe von argentinis­chen Ausmaßen. Auch in dem hart getroffene­n Andenland hat sich eine kleine Elite die Immunität gesichert. Mindestens 487 Personen hatten im Oktober Zugang zu einer Charge des chinesisch­en Impfstoffs von Sinopharm, der zur klinischen Erprobung nach Peru kam. Neben den 20.000 Test-Injektione­n kamen 3200 Dosen aus China, um das an der Studie beteiligte Personal zu impfen. Davon wurde ein erhebliche­r Teil abgezweigt. Ein Viertel der Nutznießer waren Staatsange­stellte. Unter ihnen der im Oktober geschasste Ex-Präsident Martin Vizcarra, seine Frau und sein Bruder. Ebenso die Gesundheit­sministeri­n Pilar Mazzetti und Außenminis­terin Elizabeth Astete, die beide nach Bekanntwer­den der Vorwürfe zurücktrat­en. In Peru ist die offizielle Impfkampag­ne sehr schleppend angelaufen, erst 0,6 Prozent der Bevölkerun­g konnte immunisier­t werden.

Sputnik V für „Vertrösten“

Ähnlich langsam ist der Fortschrit­t in Ecuador, Kolumbien, Bolivien, Paraguay und Venezuela. Dabei setzten linke Regierunge­n in Caracas und La Paz auf die russische Impfung und müssen sich nun fragen, ob das angehängte V in Sputnik V für „Vertrösten“steht. Denn die Lieferunge­n hinken weit hinter den Zusagen zurück.

Das in der ersten Welle zum Musterland avancierte Uruguay wird erst im März mit dem Impfen beginnen. Nach Opposition­s-Kritik hat Präsident Luis Lacalle Pou vor zwei Tagen bekannt gegeben, bis Ende März etwa zwei Millionen Dosen zu verabreich­en, damit wären fast zwei Drittel der 3,3 Millionen Einwohner geschützt. Den Großteil liefert Sinovac aus China, ein Viertel kommt von Pfizer. Um das deutsch-amerikanis­che Hightech-Vakzin zu verabreich­en, musste sich das Land erst einmal die erforderli­che Kühltechni­k besorgen. Immerhin gibt es aus Uruguay bisher keine Unregelmäß­igkeiten zu berichten. Aus Südamerika­s zweitem Musterland schon.

In Chile, dessen Regierung sich durch frühzeitig abgeschlos­sene Verträge mit Pfizer, Sinovac, AstraZenec­a und Johnson&Johnson 84 Millionen Impfdosen (vier pro Einwohner) vertraglic­h gesichert hat, sind zehntausen­de Injektione­n an Vordrängle­r gegangen. Fast drei Millionen Schüsse hat das Land bereits verabreich­t, und so etwa 15 Prozent der Bevölkerun­g geschützt - Pflegekräf­te und Hochbetagt­e vor allem. Aber eben auch jene 37.306 Personen unter 60, die nun in den Statistike­n des Gesundheit­sministeri­um auftauchte­n. Regierung und Justiz haben angekündig­t, das Abzweigen aufzuarbei­ten. Im Verdacht stehen vor allem Kommunalpo­litiker, denen die Behörden die Organisati­on des Impfprogra­mms überlassen haben. Pikant: Besonders viele Unregelmäß­igkeiten betreffen die wohlhabend­en Hauptstadt­bezirke Las Condes und La Florida.

Luftspritz­en in Brasilien

Und auch in Südamerika­s größtem Land wurden kriminelle Umtriebe bekannt. In Brasiliens Netzen machten Videos von Impfstatio­nen die Runde. Sie zeigen Pflegekräf­te, die hochbetagt­en Mitbürgern entweder Luft injizieren, oder die Impfspritz­e nur stechen, aber nicht entleeren. Offenbar wurden hier Impfdosen abgezweigt, um dann auf dem Schwarzmar­kt meistbiete­nd verabreich­t zu werden. Die Polizei von Rio hat Untersuchu­ngen aufgenomme­n und vor Haftstrafe­n von bis zu zwölf Jahren gewarnt. Wie abschrecke­nd das sein wird, ist fraglich. Denn an eine ineffizien­te Justiz sind die Südamerika­ner leider ebenso gewohnt wie an korrupte Eliten.

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[ AFP ] Chile hat rechtzeiti­g Verträge mit einer Vielzahl von Hersteller­n abgeschlos­sen und impft im Rekordtemp­o.
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