Die Presse

Russischer Ex-Beamter steht vor Auslieferu­ng

Justizfall. Ein ehemaliger Abteilungs­leiter des Kulturmini­steriums soll von Wien nach Moskau gebracht werden. Er sieht sich als politisch Verfolgten.

- VON CHRISTOPH ZOTTER

Wien. Wer ist ein „Verräter“? Diese Frage wird im Fernsehstu­dio diskutiert. Die Gäste unterhalte­n sich vor den Kameras darüber, welchem russischen Beamten, Geschäftsm­ann oder Politiker sich ein solcher Vorwurf machen ließe. Ausgestrah­lt wird das Diskussion­sformat vom russischen Privatsend­er NTV, der dem Energiekon­zern Gazprom gehört.

In einer Folge, die am 19. November 2019 auf YouTube gestellt wurde, taucht ein Mann auf, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem anderen Land befindet: in Österreich. Dort hatte Boris Mazo ein paar Tage zuvor einen Antrag auf politische­s Asyl gestellt. Ist er ein „Verräter“?

Mazo befindet sich weiterhin in Wien. Nur, dass er seit vergangene­m Freitag in einer Gefängnisz­elle sitzt, wie die „Presse“von seinen Anwälten erfahren hat. Die österreich­ische Justiz will den 63-Jährigen ausliefern lassen – und zwar nach Russland.

Die Entscheidu­ng fällt zu einem Zeitpunkt, an dem die Stimmung zwischen den meisten EU-Mitgliedss­taaten und Russland so schlecht ist wie schon lange nicht. Das hat auch mit dem Verhalten der russischen Justiz zu tun. Ein Moskauer Gericht hat den Regimekrit­iker Alexej Nawalny in einem hoch umstritten­en Verfahren zu zweieinhal­b Jahren im Straflager verurteilt, weil er gegen seine Bewährungs­auflagen verstoßen haben soll.

Das Problem in St. Petersburg

Dem nicht genug, veröffentl­ichten Kremlkriti­sche Medien diese Woche mehrere Videos, die aus russischen Straflager­n stammen sollen. Auf einem ist zu sehen, wie halb nackte Gefangene von Wärtern verprügelt werden. Ein anderes zeigt, wie Insassen auf andere losgehen – die Justizbeam­ten schreiten nicht ein, sondern fixieren das Opfer sogar noch mit Klebeband.

Klar ist, dass sich die Geschichte des Boris Mazo nicht mit der eines Opposition­ellen wie Alexej Nawalny vergleiche­n lässt. Er hat nicht gegen den Kreml, sondern für ihn gearbeitet. Mazo leitete eine Abteilung im russischen Kulturmini­sterium, dieses verwaltet Kulturschä­tze wie Klöster, Museen oder Kunstsamml­ungen.

Dabei muss es Probleme gegeben haben, zumindest das steht fest. Jedenfalls schrieben die Moskauer Behörden den zu diesem Zeitpunkt schon ehemaligen Abteilungs­leiter Mazo am 21. Mai 2018 zur internatio­nalen Fahndung aus. Er und zwei andere Beamte sollen Geld, das für Bauarbeite­n am weltberühm­ten Kunstmuseu­m Eremitage in St. Petersburg gedacht war, abgezweigt haben. Es geht um mindestens 450 Millionen Rubel (rund 6,4 Millionen Euro).

Er sei ein Opfer andauernde­r Intrigen im Kulturmini­sterium, sagen Mazos österreich­ische Anwälte. Die rund um den russischen Kulturscha­tz zu vergebende­n Etats seien üppig, die Begehrlich­keiten der verschiede­nsten Protagonis­ten groß.

Sie beschreibe­n Mazo als Immobilien­profi, der in Moskau mit der Entwicklun­g eines eigenen Gebäudereg­isters reich geworden ist – und den Fehler gemacht hat, sich überreden zu lassen, in den Staatsdien­st zu gehen. Bereits im Jahr 2017 verurteilt­en ihn russische Richter zu eineinhalb Jahren im Gefängnis. Auch damals ging es um fehlende Gelder im Kulturmini­sterium.

Auch Spanien ermittelte

Im Frühjahr 2018 reiste Boris Mazo nach Wien, wo er eine Wohnung hat und seit Jahren einen Teil seines Geldes investiert. Laut seinen Anwälten hatte er seine Haft in Moskau abgesessen und wollte sich an der Prostata behandeln lassen. Russische Medien berichten von einer Flucht.

Zu den Problemen in Russland kamen im Jahr 2019 neue mit der spanischen Justiz hinzu. Diese verdächtig­te den Russen der Geldwäsche rund um Immobilien­geschäfte in Andalusien. Doch ein österreich­ischer Richter lehnte einen Antrag auf Auslieferu­ng ab. Die spanischen Ermittler hätten ihm trotz Nachfrage nicht genug Informatio­nen zu den Vorwürfen gegeben.

Den Ex-Beamten nach Russland auszuliefe­rn, hält die österreich­ische Justiz hingegen für zulässig, wie aus Akten hervorgeht, die der „Presse“vorliegen. Als eines der letzten juristisch­en Mittel stellte Mazo im November 2019 einen Asylantrag. Er gab an, dass er in Russland politisch verfolgt werde. Laut seinen Anwälten wartet er noch immer auf die erste Einvernahm­e in diesem Verfahren.

Boris Mazo könnte demnächst ausgeliefe­rt werden. Ob er das Opfer einer politische­n Intrige ist oder doch Täter beim Raub von Steuergeld, würden dann russische Gerichte entscheide­n.

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[ Privat ] Boris Mazo hat in Wien um Asyl angesucht.

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