Russischer Ex-Beamter steht vor Auslieferung
Justizfall. Ein ehemaliger Abteilungsleiter des Kulturministeriums soll von Wien nach Moskau gebracht werden. Er sieht sich als politisch Verfolgten.
Wien. Wer ist ein „Verräter“? Diese Frage wird im Fernsehstudio diskutiert. Die Gäste unterhalten sich vor den Kameras darüber, welchem russischen Beamten, Geschäftsmann oder Politiker sich ein solcher Vorwurf machen ließe. Ausgestrahlt wird das Diskussionsformat vom russischen Privatsender NTV, der dem Energiekonzern Gazprom gehört.
In einer Folge, die am 19. November 2019 auf YouTube gestellt wurde, taucht ein Mann auf, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einem anderen Land befindet: in Österreich. Dort hatte Boris Mazo ein paar Tage zuvor einen Antrag auf politisches Asyl gestellt. Ist er ein „Verräter“?
Mazo befindet sich weiterhin in Wien. Nur, dass er seit vergangenem Freitag in einer Gefängniszelle sitzt, wie die „Presse“von seinen Anwälten erfahren hat. Die österreichische Justiz will den 63-Jährigen ausliefern lassen – und zwar nach Russland.
Die Entscheidung fällt zu einem Zeitpunkt, an dem die Stimmung zwischen den meisten EU-Mitgliedsstaaten und Russland so schlecht ist wie schon lange nicht. Das hat auch mit dem Verhalten der russischen Justiz zu tun. Ein Moskauer Gericht hat den Regimekritiker Alexej Nawalny in einem hoch umstrittenen Verfahren zu zweieinhalb Jahren im Straflager verurteilt, weil er gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen haben soll.
Das Problem in St. Petersburg
Dem nicht genug, veröffentlichten Kremlkritische Medien diese Woche mehrere Videos, die aus russischen Straflagern stammen sollen. Auf einem ist zu sehen, wie halb nackte Gefangene von Wärtern verprügelt werden. Ein anderes zeigt, wie Insassen auf andere losgehen – die Justizbeamten schreiten nicht ein, sondern fixieren das Opfer sogar noch mit Klebeband.
Klar ist, dass sich die Geschichte des Boris Mazo nicht mit der eines Oppositionellen wie Alexej Nawalny vergleichen lässt. Er hat nicht gegen den Kreml, sondern für ihn gearbeitet. Mazo leitete eine Abteilung im russischen Kulturministerium, dieses verwaltet Kulturschätze wie Klöster, Museen oder Kunstsammlungen.
Dabei muss es Probleme gegeben haben, zumindest das steht fest. Jedenfalls schrieben die Moskauer Behörden den zu diesem Zeitpunkt schon ehemaligen Abteilungsleiter Mazo am 21. Mai 2018 zur internationalen Fahndung aus. Er und zwei andere Beamte sollen Geld, das für Bauarbeiten am weltberühmten Kunstmuseum Eremitage in St. Petersburg gedacht war, abgezweigt haben. Es geht um mindestens 450 Millionen Rubel (rund 6,4 Millionen Euro).
Er sei ein Opfer andauernder Intrigen im Kulturministerium, sagen Mazos österreichische Anwälte. Die rund um den russischen Kulturschatz zu vergebenden Etats seien üppig, die Begehrlichkeiten der verschiedensten Protagonisten groß.
Sie beschreiben Mazo als Immobilienprofi, der in Moskau mit der Entwicklung eines eigenen Gebäuderegisters reich geworden ist – und den Fehler gemacht hat, sich überreden zu lassen, in den Staatsdienst zu gehen. Bereits im Jahr 2017 verurteilten ihn russische Richter zu eineinhalb Jahren im Gefängnis. Auch damals ging es um fehlende Gelder im Kulturministerium.
Auch Spanien ermittelte
Im Frühjahr 2018 reiste Boris Mazo nach Wien, wo er eine Wohnung hat und seit Jahren einen Teil seines Geldes investiert. Laut seinen Anwälten hatte er seine Haft in Moskau abgesessen und wollte sich an der Prostata behandeln lassen. Russische Medien berichten von einer Flucht.
Zu den Problemen in Russland kamen im Jahr 2019 neue mit der spanischen Justiz hinzu. Diese verdächtigte den Russen der Geldwäsche rund um Immobiliengeschäfte in Andalusien. Doch ein österreichischer Richter lehnte einen Antrag auf Auslieferung ab. Die spanischen Ermittler hätten ihm trotz Nachfrage nicht genug Informationen zu den Vorwürfen gegeben.
Den Ex-Beamten nach Russland auszuliefern, hält die österreichische Justiz hingegen für zulässig, wie aus Akten hervorgeht, die der „Presse“vorliegen. Als eines der letzten juristischen Mittel stellte Mazo im November 2019 einen Asylantrag. Er gab an, dass er in Russland politisch verfolgt werde. Laut seinen Anwälten wartet er noch immer auf die erste Einvernahme in diesem Verfahren.
Boris Mazo könnte demnächst ausgeliefert werden. Ob er das Opfer einer politischen Intrige ist oder doch Täter beim Raub von Steuergeld, würden dann russische Gerichte entscheiden.