Britischer Freifahrtschein ins Glück
Großbritannien. App könnte Zutritt zu Restaurants, Sportveranstaltungen und Konzerten regeln. Warnung vor einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“.
London. Für ein Land, das keine Meldepflicht kennt und dessen Bürger keinen Ausweis tragen müssen, wäre es ein wahrhaft radikaler Schritt: Mit der Einführung eines Coronapasses will Großbritannien nun die Pandemie endgültig hinter sich lassen.
Einerseits erhofft man sich davon, den Erfolg der Impfkampagne abzusichern und die Neuinfektionen weiter zurückzudrängen. Anderseits stehen der staatlichen Überwachungsmaßnahme Jahrhunderte liberaler Tradition entgegen: „Leidenschaftliche Freidenker werden die Idee hassen, aber andere werden sie für sinnvoll erachten“, sagte Premierminister Boris Johnson. Selbst Nicola Sturgeon, als schottische Regierungschefin habituell gegen jeden Vorschlag aus London, hält die Idee für „sehr überlegenswert“.
Als ersten Schritt soll eine Kommission unter dem Vorsitz von Kanzleramtsminister Michael Gove das Für und Wider prüfen. Insbesondere aus der Tourismusbranche wird gewaltiger Druck für die Einführung eines Covid-Passes gemacht, der sonnenhungrigen Briten den heiß ersehnten Urlaub im Süden wieder ermöglichen soll. Die britische Regierung unterstützt ausdrücklich die Bemühungen der internationalen Luftfahrtorganisation (IATA) zur Einführung einer App, die den Covid-Status von Reisenden ausweist. Um Datenschutzbedenken vorzubeugen, sollen die individuellen Informationen nicht zentral gespeichert werden.
EM-Finale in Wembley als Krönung
Klarheit über den Gesundheitsstatus von Gästen und Besuchern könnte in naher Zukunft auch die Wiederausbreitung des Virus in der Gastwirtschaft, bei Sportveranstaltungen oder Großkonzerten verhindern. Geprüft wird derzeit eine Anpassung der App des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS, mit der schon bisher die Bewegungen der Bevölkerung überwacht werden. Wer vor dem aktuellen Lockdown in ein Pub gehen wollte, musste sich auf diesem Weg registrieren. Durch eine Anpassung könnte die App auch Träger der Information über den persönlichen Impfstatus werden.
Hier werden aber Bedenken laut. Denn obwohl Großbritannien bereits fast 18 Millionen Menschen geimpft hat, bedeutet das umgekehrt, dass knapp 50 Millionen den Freifahrtschein ins Glück noch nicht bekommen haben: „Wir dürfen keine Diskriminierung von Menschen, die aus welchem Grund auch immer keine Impfung haben, zulassen“, erklärte Johnson. Die Bürgerrechtsgruppe Liberty warnt vor einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der manche vom Zugang zu ihren Rechten ausgeschlossen werden“.
Als Ausweg wird überlegt, auf der App nicht nur den Impfstatus, sondern auch aktuelle Testergebnisse zu speichern. Wer damit nachweisen kann, nicht mit dem Virus infiziert zu sein, soll dann wieder freien Zutritt zu den schönen Dingen des Lebens bekommen. Er sei „sehr optimistisch“, dass bis 21. Juni alle Einschränkungen aufgehoben werden können, bekräftigte Johnson.
Dem Vernehmen nach will die Regierung das Finale der Fußball-Europameisterschaft, das am 11. Juli in Wembley stattfinden soll, in eine Demonstration ihrer erfolgreichen Coronastrategie ummünzen: Ein volles Haus mit 90.000 Zuschauern wäre „die Krönung“, heißt es aus der Umgebung des zuständigen Staatssekretärs Oliver Dowden.
Dafür – und andere Großveranstaltungen – wäre ein elektronischer Coronapass unverzichtbar. Schwieriger stellt sich die Einführung auf lokaler Ebene dar. Ungeklärt ist etwa, ob der Betreiber eines Pubs das Recht oder die Pflicht haben soll, den Virusstatus seiner Gäste zu prüfen.
„Keine Spritze, kein Job“
Noch wesentlich schwieriger ist die Frage in Bezug auf die Arbeitswelt: Haben Arbeitgeber das Recht, Arbeitnehmer ohne Impfung zu entlassen? Barchester Healthcare, der zweitgrößte Betreiber von Pflegeheimen, erklärte seinen 17.000 Mitarbeitern diese Woche: Wer eine angebotene Impfung verweigert, wird bis Ende April entlassen. Die Gewerkschaften warnen bereits vor einer „No Jab – No Job“-Politik („Keine Spritze – Keine Arbeit“).
Umgekehrt stellt sich die Frage, ob Arbeitgeber nicht sogar die Pflicht haben, ihre Mitarbeiter zu schützen. Dabei könnte ein Coronapass entscheidende Hilfe leisten. „Hier wird sich weisen, ob wir eine erfolgreiche Öffnung schaffen“, sagt Tony Danker, Chef der britischen Industriellenvereinigung.