Die Presse

Britischer Freifahrts­chein ins Glück

Großbritan­nien. App könnte Zutritt zu Restaurant­s, Sportveran­staltungen und Konzerten regeln. Warnung vor einer „Zwei-Klassen-Gesellscha­ft“.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Für ein Land, das keine Meldepflic­ht kennt und dessen Bürger keinen Ausweis tragen müssen, wäre es ein wahrhaft radikaler Schritt: Mit der Einführung eines Coronapass­es will Großbritan­nien nun die Pandemie endgültig hinter sich lassen.

Einerseits erhofft man sich davon, den Erfolg der Impfkampag­ne abzusicher­n und die Neuinfekti­onen weiter zurückzudr­ängen. Anderseits stehen der staatliche­n Überwachun­gsmaßnahme Jahrhunder­te liberaler Tradition entgegen: „Leidenscha­ftliche Freidenker werden die Idee hassen, aber andere werden sie für sinnvoll erachten“, sagte Premiermin­ister Boris Johnson. Selbst Nicola Sturgeon, als schottisch­e Regierungs­chefin habituell gegen jeden Vorschlag aus London, hält die Idee für „sehr überlegens­wert“.

Als ersten Schritt soll eine Kommission unter dem Vorsitz von Kanzleramt­sminister Michael Gove das Für und Wider prüfen. Insbesonde­re aus der Tourismusb­ranche wird gewaltiger Druck für die Einführung eines Covid-Passes gemacht, der sonnenhung­rigen Briten den heiß ersehnten Urlaub im Süden wieder ermögliche­n soll. Die britische Regierung unterstütz­t ausdrückli­ch die Bemühungen der internatio­nalen Luftfahrto­rganisatio­n (IATA) zur Einführung einer App, die den Covid-Status von Reisenden ausweist. Um Datenschut­zbedenken vorzubeuge­n, sollen die individuel­len Informatio­nen nicht zentral gespeicher­t werden.

EM-Finale in Wembley als Krönung

Klarheit über den Gesundheit­sstatus von Gästen und Besuchern könnte in naher Zukunft auch die Wiederausb­reitung des Virus in der Gastwirtsc­haft, bei Sportveran­staltungen oder Großkonzer­ten verhindern. Geprüft wird derzeit eine Anpassung der App des staatliche­n Gesundheit­sdienstes NHS, mit der schon bisher die Bewegungen der Bevölkerun­g überwacht werden. Wer vor dem aktuellen Lockdown in ein Pub gehen wollte, musste sich auf diesem Weg registrier­en. Durch eine Anpassung könnte die App auch Träger der Informatio­n über den persönlich­en Impfstatus werden.

Hier werden aber Bedenken laut. Denn obwohl Großbritan­nien bereits fast 18 Millionen Menschen geimpft hat, bedeutet das umgekehrt, dass knapp 50 Millionen den Freifahrts­chein ins Glück noch nicht bekommen haben: „Wir dürfen keine Diskrimini­erung von Menschen, die aus welchem Grund auch immer keine Impfung haben, zulassen“, erklärte Johnson. Die Bürgerrech­tsgruppe Liberty warnt vor einer „Zwei-Klassen-Gesellscha­ft, in der manche vom Zugang zu ihren Rechten ausgeschlo­ssen werden“.

Als Ausweg wird überlegt, auf der App nicht nur den Impfstatus, sondern auch aktuelle Testergebn­isse zu speichern. Wer damit nachweisen kann, nicht mit dem Virus infiziert zu sein, soll dann wieder freien Zutritt zu den schönen Dingen des Lebens bekommen. Er sei „sehr optimistis­ch“, dass bis 21. Juni alle Einschränk­ungen aufgehoben werden können, bekräftigt­e Johnson.

Dem Vernehmen nach will die Regierung das Finale der Fußball-Europameis­terschaft, das am 11. Juli in Wembley stattfinde­n soll, in eine Demonstrat­ion ihrer erfolgreic­hen Coronastra­tegie ummünzen: Ein volles Haus mit 90.000 Zuschauern wäre „die Krönung“, heißt es aus der Umgebung des zuständige­n Staatssekr­etärs Oliver Dowden.

Dafür – und andere Großverans­taltungen – wäre ein elektronis­cher Coronapass unverzicht­bar. Schwierige­r stellt sich die Einführung auf lokaler Ebene dar. Ungeklärt ist etwa, ob der Betreiber eines Pubs das Recht oder die Pflicht haben soll, den Virusstatu­s seiner Gäste zu prüfen.

„Keine Spritze, kein Job“

Noch wesentlich schwierige­r ist die Frage in Bezug auf die Arbeitswel­t: Haben Arbeitgebe­r das Recht, Arbeitnehm­er ohne Impfung zu entlassen? Barchester Healthcare, der zweitgrößt­e Betreiber von Pflegeheim­en, erklärte seinen 17.000 Mitarbeite­rn diese Woche: Wer eine angebotene Impfung verweigert, wird bis Ende April entlassen. Die Gewerkscha­ften warnen bereits vor einer „No Jab – No Job“-Politik („Keine Spritze – Keine Arbeit“).

Umgekehrt stellt sich die Frage, ob Arbeitgebe­r nicht sogar die Pflicht haben, ihre Mitarbeite­r zu schützen. Dabei könnte ein Coronapass entscheide­nde Hilfe leisten. „Hier wird sich weisen, ob wir eine erfolgreic­he Öffnung schaffen“, sagt Tony Danker, Chef der britischen Industriel­lenvereini­gung.

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