Die Presse

Imageschad­en für AstraZenec­a

Europäisch­e Union. Der Impfstoffh­ersteller kämpft mit schwerem Imageschad­en. Sogar die 27 EU-Chefs beraten nun darüber, wie es mit dessen Vertragstr­eue aussieht.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Sicherstel­len, dass die Pharmakonz­erne ihre Verpflicht­ungen einhalten.

Charles Michel, EU-Ratspräsid­ent

Brüssel. Knapp drei Monate nach dem feierliche­n gemeinsame­n Beginn der EUweiten Impfkampag­ne gegen Covid-19 herrscht zwischen dem britisch-schwedisch­en Pharmakonz­ern AstraZenec­a und der Union dicke Luft. Am Donnerstag wird die Frage, ob der Konzern gegenüber der EU vertragsbr­üchig geworden ist, gleich von zwei Institutio­nen erörtert. Vorstandsc­hef Pascal Soriot muss sich am Nachmittag vor den versammelt­en Ausschüsse­n für Umwelt und Gesundheit sowie Industrie und Forschung des Europäisch­en Parlaments dem Kreuzverhö­r der Abgeordnet­en stellen. Fast zeitgleich werden sich die 27 Staats- und Regierungs­chefs der Union bei ihrem via Videokonfe­renz abgehalten­en informelle­n Europäisch­en Rat darüber austausche­n, was bei der Bestellung und Lieferung der Impfstoffe nicht funktionie­rt hat und wen die Verantwort­ung dafür trifft.

Auch bei den EU-Chefs wird es vorrangig um AstraZenec­a gehen. Der Konzern bemühte sich nicht einmal darum, die erneute Hiobsbotsc­haft der Nachrichte­nagentur Reuters vom Mittwoch zu dementiere­n, wonach der Konzern auch im zweiten Quartal seine vertragsmä­ßigen Lieferunge­n an die Europäer voraussich­tlich nicht werde einhalten können: „AstraZenec­a bestätigt heute, dass die jüngste Q2-Prognose für die Lieferung des COVID-19-Impfstoffs auf die Einhaltung des Vertrags mit der Europäisch­en Kommission abzielt“, hieß es in einer Pressemitt­eilung aus der Konzernzen­trale. Man bemühe sich nun, „die Produktivi­tät in seiner EU-Lieferkett­e zu erhöhen“und doch noch die versproche­nen 180 Millionen Dosen für die Monate April bis Juni bereitstel­len zu können.

„Manche Akteure machen es schwer“

„Der Umstand, dass wir heute nicht bestätigen können, ob diese Meldung stimmt, zeigt die Probleme, die wir haben“, sagte ein hoher EU-Diplomat am Mittwoch. „Manche Akteure machen es sehr schwer, klare Informatio­nen zu geben.“Die 27 Chefs werden jedenfalls die Frage der Vertragstr­eue der Pharmaunte­rnehmen eingehend diskutiere­n. „Unsere Priorität ist es, die Impfung in der EU zu beschleuni­gen“, schreibt Charles Michel, Präsident des Europäisch­en Rates, in seinem Einladungs­schreiben. „Das beinhaltet auch, sicherzust­ellen, dass die Impfstoffl­ieferungen verlässlic­h sind und dass die Pharmaunte­rnehmen ihre Verpflicht­ungen einhalten.“„Der Druck auf die Unternehme­n ist sehr hoch“, erklärte der EU-Diplomat. Und er stellte vor allem AstraZenec­a die Rute ins Fenster: „Wenn wir sehen, dass die Kooperatio­n nicht funktionie­rt, haben wir Werkzeuge in den EU-Verträgen, wie Artikel 122, um die Produktion zu erzwingen. Damit meinte er Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitswei­se der EU. Der ermächtigt die EU, „im Geiste der Solidaritä­t zwischen den Mitgliedst­aaten über die der Wirtschaft­slage angemessen­en Maßnahmen beschließe­n“zu können. Sprich: Zwangsprod­uktion von Impfstoffe­n in der EU oder das Teilen von Patenten. Michel hatte das schon Ende Jänner ins Spiel gebracht. „Derzeit sind Kooperatio­n und Dialog unser Zugang“, beruhigte der Diplomat.

Von der Leyen kalmiert

Den „good cop“gab am Mittwoch Ursula von der Leyen. „Die Impfstoffh­ersteller sind in dieser Pandemie unsere Partner, und auch sie standen noch nie vor solch einer Herausford­erung“, sagte sie zur „Augsburger Allgemeine­n“.

AstraZenec­a kommt von zwei Fronten zugleich unter politische­n Druck: Einerseits ist der Ärger der Mitgliedst­aaten darüber, dass Lieferunge­n nicht eingehalte­n werden, groß. Belgien etwa hätte im Februar 443.000 Dosen erhalten sollen, berichtet die Zeitung „La Libre Belgique“. Bekommen hat es wenige Tage vor Monatsende nur 67.200 Dosen – um 85 Prozent weniger als versproche­n. Anderersei­ts wächst das Misstrauen gegenüber der Wirksamkei­t des Impfstoffe­s gegen die Mutanten. Vielerorts bleiben Dosen unangetast­et, weil Ärzte und Pfleger sich verweigern.

Gleichzeit­ig zu wenig und zu viel: Aus dieser Zwickmühle einen Ausweg zu finden, wird für AstraZenec­a schwer werden. Einen offenen Konflikt mit dem Konzern kann sich die EU allerdings auch nicht leisten. Zu sehr hängen die nationalen Impfpläne von dessen Lieferunge­n ab. Ab April naht jedenfalls Hoffnung: 300 Millionen Dosen haben die drei bisher zugelassen­en Hersteller (neben AstraZenec­a auch Moderna und Pfizer-Biontech) der EU für das zweite Quartal versproche­n.

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