Die Presse

Offener Machtkampf mit dem Militär

Armenien. Das Militär forderte am Donnerstag den Rücktritt von Premier Paschinjan. Er sprach von Putschvers­uch. Unmittelba­rer Auslöser: ein Hickhack um russische Waffen.

- VON WOLFGANG GREBER

Im Kaukasusla­nd Armenien, wo es seit dem verlorenen Krieg gegen Aserbaidsc­han im Vorjahr gärt, hat sich die Lage am Donnerstag zur Staatskris­e zugespitzt. Premier Nikol Paschinjan sprach von Putschvers­uch, nachdem ihn das Militär am Vormittag öffentlich zum Rücktritt aufgeforde­rt hatte. Im Gegenzug feuerte er Generalsta­bschef Onik Gasparian; das muss aber Staatspräs­ident Armen Sarkissjan erst unterzeich­nen.

Das Verteidigu­ngsministe­rium rief das Militär zur Zurückhalt­ung auf: Die Regierung gehe nur das Volk etwas an. Der zentristis­ch-liberale Paschinjan (45), der seit 2018 an der Spitze eines Bündnisses liberaler Kräfte regiert, rief seine Anhänger zu einer Großdemo in Jerewan zusammen. Er schritt an der Spitze einer Menge einher; bei einer Rede sagte er, nur das Volk befinde über die Regierung. Es gab wie in den vergangene­n Wochen aber auch Demos von Gegnern der Regierung.

Kiefeln an der Niederlage

Aus Moskau und Ankara kamen warnende Worte. Russland ist ein Verbündete­r des christlich­en Armenien und hat Truppen dort, die Türkei hat das muslimisch­e Aserbaidsc­han in dem Krieg unterstütz­t, der im September ausgebroch­en ist. Dabei haben die Aseris die armenische Enklave Berg-Karabach bzw. die internatio­nal nicht anerkannte „Republik Arzach“angegriffe­n, die in Aserbaidsc­han liegt. Am 9./10. November endete der Krieg mit einer Niederlage der Armenier und einem mit Vermittlun­g Russlands geschlosse­nen Waffenstil­lstandsver­trag. Arzach musste zwei Drittel des Gebiets abgeben und wurde von Armenien abgeschnit­ten, dazwischen ist nur noch ein Korridor, den russische Soldaten sichern.

Seither steht Paschinjan extrem unter Druck. Er hatte den Vertrag ohne Absprache mit Präsident und Parlament geschlosse­n, im Übrigen war der nationale Zorn wegen der Niederlage groß. Demonstran­ten stürmten sogar das Haus des Premiers. Das Militär war mit dem Ende des Krieges einverstan­den, es hatte die Chancenlos­igkeit gegen die stärkeren Aseris erkannt.

Paschinjan räumte ein, Verantwort­ung zu tragen, betonte aber, dass ein Machtwechs­el der noch vorhandene­n Rest-Stabilität des armen Landes schade. Immerhin stellt seine Regierungs­allianz auch 88 der 132 Sitze im Parlament.

Die aktuelle Krise entzündete sich indes auf unerwartet­e Weise: an einer Debatte um russische Waffen und ihr vermeintli­ches Versagen, weswegen man verloren habe. Es begann mit Aussagen des früheren Staatspräs­identen und 2018 gestürzten Premiers Sersch Sargsjan, wonach er sich wundere, wieso Kurzstreck­enraketen Typ Iskander-E nicht von Beginn an eingesetzt worden seien, gegen Massierung­en von Truppen und Material der Aseris im Hinterland etwa.

Spott aus dem Generalsta­b

Darauf sagte Paschinjan am 23. Februar im TV, dass die Iskanders (Modell E hat 280 Kilometer Reichweite) versagt hätten. Sie seien nur bei zehn Prozent der Treffer explodiert. Als der Interviewe­r nachhakte, gab Paschinjan zu, dass er sich seiner Angabe nicht sicher sei („Ich weiß nicht . . .) und es vielleicht solche „aus den 1980ern“gewesen seien. Man muss dazu wissen, dass es keine klaren Daten über Iskander-Einsätze gibt: Armenien erhielt diese modernen Waffen erst ab 2016, und es wurden wohl nur ein oder zwei gegen Kriegsende abgefeuert. Unabhängig­e Beobachter dokumentie­rten zwar einige Raketenang­riffe auf zivile Ziele in Aserbaidsc­han, aber durch ältere Typen wie Scud-B.

Den Aussagen folgte Spott von Vize-Generalsta­bschef Tiran Katschatri­an, der quasi meinte, die Behauptung so einer Mini-Erfolgsrat­e sei wohl ein Witz und „oberflächl­iche Einschätzu­ng“. Darauf wurde er von Paschinjan entlassen, offenbar aus einer Gemütsaufw­allung heraus. Das führte nun im Militär zum Zornesausb­ruch: Die Entlassung sei wider die nationalen Interessen und gründe auf persönlich­en Gefühlen. Der Premier sei unfähig, angemessen zu urteilen.

Vorerst gab es keine Indizien, dass das Militär handeln werde, dafür Spekulatio­nen, dass der Ärger auch durch die Kritik an den Raketen aus Russland ausgelöst wurde. Tatsächlic­h schalt dort der Vizechef des Militärkom­itees der Duma, Viktor Zawarzin, die Aussagen Paschinjan­s eine Lüge, Ingenieure verteidigt­en die Systeme: Paschinjan kenne sich nicht aus und solle „seine Zunge hüten“.

Die Sache sei jedenfalls ein „Eigentor angesichts der Tatsache, dass Russland der Schutzherr Armeniens ist“, heißt es. „So ein öffentlich­er Stich in den Rücken ist angesichts der Abhängigke­it von Russland verblüffen­d“, schreibt der Polit-Analyst Hrant Michaelian.

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[ Reuters ] Polizei in Armeniens Hauptstadt Jerewan bei einer der Anti-Regierungs-Demonstrat­ionen der jüngsten Vergangenh­eit.

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