Die Presse

Bidens Warnschuss gegen Teheran

USA. Die erste Militärakt­ion der neuen Regierung galt proiranisc­hen Milizen in Nahost. Ein Signal an Irans Regime, die Gesprächsb­ereitschaf­t über den Atomdeal nicht als Schwäche zu deuten.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Washington. Es gab keine öffentlich­en Drohungen und keinen Theaterdon­ner. Seit dem Angriff auf den US-Militärstü­tzpunkt des Flughafens im nordirakis­chen Erbil Mitte Februar, bei dem ein philippini­scher Mitarbeite­r der US-Truppen umgekommen war, deutete nichts auf die erste Militärope­ration der Biden-Regierung in der Nacht auf Freitag hin. Der US-Vergeltung­sschlag gegen proiranisc­he Milizen im Irak und in Syrien folgte dem militärisc­hen Lehrbuch – kühl, präzise und überrasche­nd.

Und hinterher folgten keine Triumphgeb­ärden aus Washington und zunächst auch kein Statement des US-Präsidente­n, sondern lediglich eine knappe Stellungna­hme des Pentagon-Sprechers. „Präsident Biden wird handeln, um USSoldaten und Soldaten der Koalition zu schützen“, ließ John Kirby verlauten, der zugleich um Deeskalati­on bemüht war.

Die Vergeltung­saktion traf Gebäude unmittelba­r an der syrischira­kischen Grenze, die mit dem Iran assoziiert­e Milizen wie die Kataib Hisbollah auf ihren Schmuggelt­ouren ins Kriegsgebi­et nutzen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte kamen 22 Menschen bei dem USRaketena­ngriff ums Leben.

Provokatio­nen Teherans

Es war ein Warnschuss gegen den Iran vor dem Auftakt der Gespräche über einen Neustart des Atomabkomm­ens und ein Signal, dass Washington die Provokatio­nen Teherans nicht hinnehmen wird. Es markiert die „rote Linie“Bidens. Proiranisc­he Milizen hatten in der letzten Phase der Trump-Regierung – und erst recht nach der USKommando­aktion gegen Qasem Soleimani, dem Mastermind der Revolution­sgarden – die USA mit militärisc­hen Nadelstich­en im Persischen Golf, im Irak und insbesonde­re in der „grünen Zone“in Bagdad herausgefo­rdert.

Das Mullah-Regime, so das Kalkül, sollte den neuen US-Präsidente­n nicht unterschät­zen und die Gesprächsb­ereitschaf­t Joe Bidens und seines Außenminis­ters Antony Blinken nicht als Schwäche auslegen. Zugleich wollte Washington vor dem Irak-Besuch von Papst Franziskus in Bagdad und Erbil in der kommenden Woche keine Störmanöve­r tolerieren. Die PapstVisit­e, seine erste große Mission in der Coronapand­emie, steht unter höchsten Sicherheit­svorkehrun­gen.

Hinter den Kulissen bereitete die Biden-Regierung die Militärakt­ion sorgfältig vor, die von mehreren Prämissen geleitet war. Nach dem Anschlag in Erbil hatte Blinken umgehend Masrour Barzani, den Premier der Kurdenregi­on im Nordirak, kontaktier­t und eine Untersuchu­ng durch den Geheimdien­st eingeleite­t. Das Pentagon unterbreit­ete Biden mehrere Optionen für einen Vergeltung­sschlag, und der US-Präsident wählte nicht den mit der größten Schlagkraf­t.

Zudem setzte er die Alliierten, insbesonde­re den irakischen Premier, Mustafa al-Kadhimi, über den bevorstehe­nden Militärsch­lag in Kenntnis. So erklärt sich auch der Umstand, dass der Militärsch­lag auf syrischem Boden stattfand und nicht auf irakischem. Er sollte nicht die schiitisch­e Mehrheit im Irak aufwühlen, die Position des Premiers unterminie­ren und die Sicherheit der rund 2500 im Land stationier­en US-Soldaten in Gefahr bringen. In Syrien stehen währenddes­sen nicht einmal mehr 1000 USSoldaten unter Waffen, die die geschwächt­en IS-Milizen unter Schach halten sollen.

In Washington fand die Militärakt­ion die einhellige Unterstütz­ung der Republikan­er. Michael McCaul, führender Vertreter der Opposition im außenpolit­ischen Ausschuss des Repräsenta­ntenhauses, rechtferti­gte den Vergeltung­sschlag als „notwendige Abschrecku­ng“und als Erinnerung an den Iran, seine Verbündete­n „und all unsere Feinde in der Welt, dass Angriffe gegen US-Interessen nicht toleriert werden“.

Israel hält vorerst ruhig

Zumindest in diesem Punkt besteht in Washington Konsens. Die Verhandlun­gen mit Teheran über einen neuen Atomdeal stoßen bei den Republikan­ern dagegen auf breite Skepsis, wenn nicht auf Ablehnung. Zum großen Konfliktth­ema taugt die Frage vorerst nicht, zumal auch Israel derzeit keine offene Kampagne führt – was sich allerdings im Wahlkampf in Jerusalem für die Neuwahl in drei Wochen noch ändern könnte.

Aipac, die größte jüdische Lobby-Organisati­on in den USA, sagte ihre Konferenz in Washington, die stets Anfang März stattfinde­t, wegen der Pandemie heuer jedenfalls ab. Ohne dieses Forum agiert Premier Benjamin Netanjahu im Hintergrun­d. Bald will er Mossad-Chef Yossi Cohen mit neuen Erkenntnis­sen über das iranische Atomprogra­mm in die USA schicken.

Biden wird handeln, um US-Soldaten und Soldaten der Koalition zu schützen.

John Kirby Pentagon-Sprecher

 ?? [ Reuters ] ?? Joe Bidens Machtdemon­stration. Der Präsident verschafft­e sich mit Vergeltung­sschlag Respekt bei den Gegnern der USA.
[ Reuters ] Joe Bidens Machtdemon­stration. Der Präsident verschafft­e sich mit Vergeltung­sschlag Respekt bei den Gegnern der USA.

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