Bidens Warnschuss gegen Teheran
USA. Die erste Militäraktion der neuen Regierung galt proiranischen Milizen in Nahost. Ein Signal an Irans Regime, die Gesprächsbereitschaft über den Atomdeal nicht als Schwäche zu deuten.
Wien/Washington. Es gab keine öffentlichen Drohungen und keinen Theaterdonner. Seit dem Angriff auf den US-Militärstützpunkt des Flughafens im nordirakischen Erbil Mitte Februar, bei dem ein philippinischer Mitarbeiter der US-Truppen umgekommen war, deutete nichts auf die erste Militäroperation der Biden-Regierung in der Nacht auf Freitag hin. Der US-Vergeltungsschlag gegen proiranische Milizen im Irak und in Syrien folgte dem militärischen Lehrbuch – kühl, präzise und überraschend.
Und hinterher folgten keine Triumphgebärden aus Washington und zunächst auch kein Statement des US-Präsidenten, sondern lediglich eine knappe Stellungnahme des Pentagon-Sprechers. „Präsident Biden wird handeln, um USSoldaten und Soldaten der Koalition zu schützen“, ließ John Kirby verlauten, der zugleich um Deeskalation bemüht war.
Die Vergeltungsaktion traf Gebäude unmittelbar an der syrischirakischen Grenze, die mit dem Iran assoziierte Milizen wie die Kataib Hisbollah auf ihren Schmuggeltouren ins Kriegsgebiet nutzen. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kamen 22 Menschen bei dem USRaketenangriff ums Leben.
Provokationen Teherans
Es war ein Warnschuss gegen den Iran vor dem Auftakt der Gespräche über einen Neustart des Atomabkommens und ein Signal, dass Washington die Provokationen Teherans nicht hinnehmen wird. Es markiert die „rote Linie“Bidens. Proiranische Milizen hatten in der letzten Phase der Trump-Regierung – und erst recht nach der USKommandoaktion gegen Qasem Soleimani, dem Mastermind der Revolutionsgarden – die USA mit militärischen Nadelstichen im Persischen Golf, im Irak und insbesondere in der „grünen Zone“in Bagdad herausgefordert.
Das Mullah-Regime, so das Kalkül, sollte den neuen US-Präsidenten nicht unterschätzen und die Gesprächsbereitschaft Joe Bidens und seines Außenministers Antony Blinken nicht als Schwäche auslegen. Zugleich wollte Washington vor dem Irak-Besuch von Papst Franziskus in Bagdad und Erbil in der kommenden Woche keine Störmanöver tolerieren. Die PapstVisite, seine erste große Mission in der Coronapandemie, steht unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen.
Hinter den Kulissen bereitete die Biden-Regierung die Militäraktion sorgfältig vor, die von mehreren Prämissen geleitet war. Nach dem Anschlag in Erbil hatte Blinken umgehend Masrour Barzani, den Premier der Kurdenregion im Nordirak, kontaktiert und eine Untersuchung durch den Geheimdienst eingeleitet. Das Pentagon unterbreitete Biden mehrere Optionen für einen Vergeltungsschlag, und der US-Präsident wählte nicht den mit der größten Schlagkraft.
Zudem setzte er die Alliierten, insbesondere den irakischen Premier, Mustafa al-Kadhimi, über den bevorstehenden Militärschlag in Kenntnis. So erklärt sich auch der Umstand, dass der Militärschlag auf syrischem Boden stattfand und nicht auf irakischem. Er sollte nicht die schiitische Mehrheit im Irak aufwühlen, die Position des Premiers unterminieren und die Sicherheit der rund 2500 im Land stationieren US-Soldaten in Gefahr bringen. In Syrien stehen währenddessen nicht einmal mehr 1000 USSoldaten unter Waffen, die die geschwächten IS-Milizen unter Schach halten sollen.
In Washington fand die Militäraktion die einhellige Unterstützung der Republikaner. Michael McCaul, führender Vertreter der Opposition im außenpolitischen Ausschuss des Repräsentantenhauses, rechtfertigte den Vergeltungsschlag als „notwendige Abschreckung“und als Erinnerung an den Iran, seine Verbündeten „und all unsere Feinde in der Welt, dass Angriffe gegen US-Interessen nicht toleriert werden“.
Israel hält vorerst ruhig
Zumindest in diesem Punkt besteht in Washington Konsens. Die Verhandlungen mit Teheran über einen neuen Atomdeal stoßen bei den Republikanern dagegen auf breite Skepsis, wenn nicht auf Ablehnung. Zum großen Konfliktthema taugt die Frage vorerst nicht, zumal auch Israel derzeit keine offene Kampagne führt – was sich allerdings im Wahlkampf in Jerusalem für die Neuwahl in drei Wochen noch ändern könnte.
Aipac, die größte jüdische Lobby-Organisation in den USA, sagte ihre Konferenz in Washington, die stets Anfang März stattfindet, wegen der Pandemie heuer jedenfalls ab. Ohne dieses Forum agiert Premier Benjamin Netanjahu im Hintergrund. Bald will er Mossad-Chef Yossi Cohen mit neuen Erkenntnissen über das iranische Atomprogramm in die USA schicken.
Biden wird handeln, um US-Soldaten und Soldaten der Koalition zu schützen.
John Kirby Pentagon-Sprecher