Doch kein Krisengewinner
Deutschland. Gesundheitsminister Jens Spahn mutierte binnen weniger Wochen vom CDU-Hoffnungsträger zum strauchelnden Politiker. Von Pleiten, Pech und Pannen.
Berlin. Als Sebastian Kurz am Mittwoch virtuell durch die deutschen Talkshows tingelte, bei „Maischberger“und im „Bild“-Studio zugeschaltet war, wurde ihm zweimal eine ähnlich Frage gestellt: Was er denn Gesundheitsminister Jens Spahn nun raten würde? Und ob er überrascht sei, dass die Österreicher die Sache mit den Corona-Schnelltests hinbekommen und die Deutschen nicht?
Die Entzauberung von Jens Spahn, dem Duzfreund von Österreichs Kanzler, schreitet voran. Und zwar mit atemberaubendem Tempo. Im Dezember noch hatte er die Kanzlerin Angela Merkel in der Hitparade der beliebtesten Politiker vom Thron gestoßen, was Spekulationen nährte, er könnte sie auch eines Tages beerben. Der Münsterländer galt als Krisengewinner. Einige Wochen später ist Spahn in einer Serie an Pleiten, Pech und Pannen verstrickt. Nichts davon taugt, Stand heute, zum großen Skandal. Aber in der Summe hinterlassen die politischen und privaten Episoden tiefe Kratzer am Image des CDU-Hoffnungsträgers.
Am Freitag zum Beispiel enthüllte „Der Spiegel“, dass Spahn am Vortag seines positiven Coronatests im Oktober zu einem privaten Abendessen mit CDU-Spendern nach Leipzig geeilt war. Der Abstand wurde gewahrt, nur am Sitzplatz die Maske abgelegt, hieß es. Trotzdem verträgt sich die Episode wenig mit den ständigen Mahnungen des Ministers, doch die Kontakte zu reduzieren.
Merkel fährt Spahn in die Parade
Dass Deutschland gut durch die erste Welle kam, verlieh Spahn natürlichen Auftrieb, auch wenn Seuchenschutz großteils Ländersache ist. Umgekehrt aber kleben nun am Minister Fehler, die nicht in seiner (alleinigen) Verantwortung liegen, wie der schleppende EU-Impfstart. Spahn antwortete auf die Misere mit einem Versprechen: Bis Sommer würde jeder Deutsche ein Impfangebot erhalten. Es ist fraglich, ob der Zeitplan hält. Seine Kritiker unterstellen Spahn besser im Ankündigen als im Umsetzen zu sein und zu oft enttäuschte Erwartungen zu produzieren.
Spahn versprach zuletzt hastig ein kostenloses Schnelltest-Angebot für alle ab 1. März. Es kam anders. Merkel kassierte die Pläne – zu viele offene Fragen. Nun wird der 8. März anvisiert. Spahn fand in der Krise oft den richtigen Ton. Er formulierte im Vorjahr auch einen prägenden Satz: „Wir werden viel verzeihen müssen.“Das Zitat wird heute auf Spahns Krisenpolitik gemünzt.
Der 40-Jährige hatte als konservativer Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik Bekanntheit erlangt, was ihn mit Kurz verbindet. Im Vorjahr überraschte er dann Freund wie Feind, als er, der Konservative, die Kandidatur des liberalen Armin Laschet für den CDU-Vorsitz unterstützte. Spahn, so sollte das aussehen, opfert eigene Ambitionen, um die gespaltene CDU mit sich selbst zu versöhnen. Das kam bei vielen gut an. Als dann Spahn immer beliebter wurde, soll er hinter den Kulissen seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur sondiert haben. Die Berichte schadeten ihm. Spahn wirkte nun wieder wie der ehrgeizige Karrierist, nicht wie der Teamplayer. Auf dem Parteitag im Jänner wurde er dann (auch) wegen eines missglückten Auftritts mit dem schlechtesten Ergebnis aller fünf CDU-Vizechefs abgestraft.
Auch privat rutscht Spahn in die Negativschlagzeilen. Der Minister kaufte sich im Coronasommer eine Luxusvilla. Eigentlich Privatsache. Aber es wurde berichtet und recherchiert. Dass Spahn nun via Anwalt die Namen der Journalisten erfragen lässt, die
Einsicht in Unterlagen wollten, sorgt für schlechte Presse und einen Rüffel des Journalistenverbands. Ein anderer Immobiliendeal ist gleichfalls im Visier: Spahn hatte 2017 eine Wohnung von einem Gesundheitsmanager erworben, den sein Ministerium später an die Spitze einer mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens betrauten Firma hievte. Wobei Spahn noch gar nicht Minister war, als er die Wohnung kaufte.
Auch die Einbindung von Spahns Hausbank in der Heimat im Münsterland in die Immobiliendeals weckt Interesse. Spahn saß dort bis 2015 im Verwaltungsrat. Der Minister muss jedenfalls den Eindruck abwehren, dass er Politik und Privates nicht trennscharf auseinanderhält. Alles viel auf einmal.
Natürlich, es könnte viel schlimmer sein. Unionsfraktionsvize Georg Nüßlein stellte am Freitag sein Amt ruhend. Gegen ihn wird wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt. Es geht um Geschäfte mit Masken.