Frontex: Augen zu und durch
Trotz neuer Vorwürfe wird der Hauptsitz massiv ausgebaut – mit neuem Quartier, mehr Personal und neuem technischen Gerät.
Zwischen dem Mausoleum für die im Kampf um Warschau 1945 gefallenen Sowjetsoldaten und der polnischen Geheimdienstzentrale befindet sich ein geheimnisvolles verlottertes Areal. Hier scheint die Zeit stehen geblieben, rostiger Stacheldraht versperrt den Zugang zum Gelände, für das es bisher kein Raumplanungskonzept gab. Bekannt ist nur, dass keine Bauten über 15 Meter Höhe zugelassen sind. Laut Willen des polnischen Innenministeriums soll hier an der Raclawicka-Straße 132 die neue, riesige Zentrale von Frontex entstehen.
Spätestens 2025 muss die jüngst von Skandalen geplagte EUGrenzschutzagentur umziehen, denn dann läuft der Zehnjahresvertrag am alten Sitz auf dem Gelände des einstigen Warschauer Ghettos ab.
Frontex will massiv ausbauen, auch an Büropersonal, und Polens rechtsnationale Regierung hat schnell und pragmatisch gehandelt. Im März 2017 überreichte der damalige Innen- und heutige Verteidigungsminister, Mariusz Błaszczak von der Kaczyn´ski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), dem Frontex-Chef Fabrice Leggeri das künftige sehr weiträumige Gelände in Zentrumsnähe. Die Kinder der Frontex-Beamten, hieß es damals, könnten so besser in die nahe internationale Schule integriert werden. Ende 2020 erfolgte die EU-Ausschreibung für den Bau von 70.000 Quadratmetern Bürofläche. Mindestens 112 Mio. Euro soll der Neubau kosten.
Olaf-Untersuchung läuft
Im alten Frontex-Gebäude am Warschauer Europaplatz machen sich derweil die Kontrolleure der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde Olaf zu schaffen. Durchsucht werden laut Politico vor allem die Büros von Leggeri und dessen Bürochef, Thibauld de La Haye Jousselin. Ihnen werden finanzielle Unregelmäßigkeiten vorgeworfen. Frontex hält sich dazu bedeckt und spielt die Bürodurchsuchungen herunter. „Entsprechend unserer Politik der Transparenz arbeiten wir vollständig mit Olaf zusammen“, kommentiert FrontexPressesprecher Chris Borowski. Kontrollen durch dieses Amt seien eine völlig normale Praxis einer guten Verwaltung.
Eine Stellungnahme des Gastgebers Polen dazu sucht man vergebens. Hier ist das Motto „Augen zu und durch“. Keines der vielen regierungsfreundlichen Portale hat die Vorwürfe – auch über Mobbing in der EU-Agentur – bisher aufgegriffen. Das Kaczyn´ski-treue Nachrichtenportal wpolityce.pl vermeldete lediglich mit Genugtuung, dass die illegalen Grenzübertritte an der EU-Außengrenze laut Frontex im Vergleich zu 2019 deutlich zurückgegangen seien. Kein Wort über illegale „Pushbacks“oder ähnliche Kritik an Frontex.
In den unabhängigen Medien werden hingegen auch die Probleme der Agentur aufbereitet. Etwa die überhöhten Ausgaben für Mitarbeiterfeiern. So wird ein Abendessen im lokalen Nobelrestaurant Belvedere in der historischen Orangerie des Łazienki-Parks erwähnt, das bereits vor gut fünf Jahren über 90.000 Euro gekostet haben soll. Das Portal onet.pl berichtete über einen Integrationstag im Ostseebad Sopot von 2018, der mit über einer halben Million Euro zu Buche geschlagen habe. Teil des Programms sei eine Tauchervorführung des polnischen Grenzschutzes gewesen.
Der Grenzschutz in Warschau hält für Frontex nur Lob und Anerkennung bereit. Da freut man sich über neue Spitzentechnik, die zu 90 Prozent aus den Geldern der EU-Agentur finanziert worden sei. Etwa zwei hochmoderne, mit einem Spezialradar ausgestattete Flugzeuge, die verdächtige Bewegungen auch dann entdecken würden, wenn sie bis 15 Kilometer entfernt wären.
Neue lukrative Jobs
Wohlwollend schauen polnische Grenzschützer und Sicherheitsbeamte auf die Stellenausschreibungen von Frontex. Denn sie bringen neue lukrative Jobs. Noch hat die Grenzschutzagentur lediglich 1500 Fachkräfte in den Warschauer Büros und an den EU-Außengrenzen, doch bis 2027 sollen es 10.000 werden. Zwei Jahre früher muss der neue Frontex-Sitz im Schatten des polnischen Geheimdienstes fertig sein. Allein 2000 Mitarbeiter werden dort veranschlagt.
Und die polnische Regierung wünscht sich, dass deren Arbeit so gut wie möglich funktioniert. Denn je besser der EU-Grenzschutz arbeitet, umso geringer wird der politische Druck auf Warschau sein, selbst Flüchtlinge aufzunehmen.