Die Presse

Schutzwall gegen die drohende Pleitewell­e

Firmen sollen sich leichter entschulde­n können. Auch ohne Insolvenz. Wie soll das in der Praxis funktionie­ren?

- VON CHRISTINE KARY

Seit Dienstag ist der Entwurf für eine Restruktur­ierungsord­nung in Begutachtu­ng. Die Zeit drängt – nicht nur, weil die entspreche­nde EU-Richtlinie (2019/1023) bis zum 17. Juli umgesetzt werden muss: Es geht auch ums Überleben vieler von der Coronakris­e schwer gebeutelte­r Unternehme­n. Etliche werden in den nächsten Monaten an den Rand der Pleite schlittern. Da könnte das neue, gerichtlic­he Restruktur­ierungsver­fahren ein Rettungsan­ker sein.

Offenstehe­n wird das neue Verfahren insolvenzg­efährdeten, aber zahlungsfä­higen Unternehme­n mit Ausnahme des Finanzsekt­ors. Es soll vor allem das Aushandeln eines Schuldensc­hnitts erleichter­n. Innerhalb von 60 Tagen muss ein Restruktur­ierungspla­n vorliegen, samt einer Fortbesteh­ensprognos­e, die belegt, dass die geplanten Maßnahmen wahrschein­lich die Pleite abwenden können. Dabei entscheide­t der Schuldner, welche Gläubiger er in die Restruktur­ierung einbezieht (z. B. nur die Banken). Arbeitnehm­erforderun­gen sind davon ausgenomme­n. Neu ist auch eine Unterschei­dung nach Gläubigerk­lassen (z. B. besichert oder unbesicher­t). Und, so Eva Spiegel, Restruktur­ierungsexp­ertin in der Anwaltskan­zlei Wolf Theiss: „Die Sanierung kann, wenn nötig, auch gegen den Widerstand einzelner ,Akkord-Störer‘ über Mehrheitse­ntscheidun­gen durchgeset­zt werden.“Selbst einzelne Gläubigerk­lassen können unter bestimmten Voraussetz­ungen überstimmt werden.

Vollstreck­ungssperre möglich

Bis zu einem gewissen Grad kann sich der Schuldner auch vor Gläubigerz­ugriff schützen. So kann er beim Gericht eine Vollstreck­ungssperre beantragen, Geschäftsl­eiter haben dann auch kein Haftungsri­siko, wenn sie im laufenden Geschäftsb­etrieb Rechnungen bezahlen. Auch neue Finanzieru­ngen werden erleichter­t, weil dafür ein gewisser Anfechtung­sschutz besteht. Bei den derzeit üblichen außergeric­htlichen Sanierungs­versuchen gibt es all das nicht, sie scheitern daher nicht selten am Widerstand eines einzigen Gläubigers.

Ob das Verfahren in der Ediktsdate­i publik gemacht wird oder nicht, bestimmt ebenfalls der Schuldner. Es nicht öffentlich zu machen, kann den Weiterbetr­ieb erleichter­n: „Denn wird es publik, werden Geschäftsp­artner nur noch gegen Vorauszahl­ung leisten“, sagt Michael Haiböck, Restruktur­ierungsexp­erte bei Haslinger Nagele. Das kann dann erst recht Zahlungsun­fähigkeit auslösen und Sanierungs­bestrebung­en scheitern lassen. Es kann aber auch gute Gründe geben, die Sache doch publik zu machen: „Beabsichti­gt man eine allgemeine Vollstreck­ungssperre oder die europaweit­e Anerkennun­g des Verfahrens, setzt dies die Veröffentl­ichung in der Ediktsdate­i voraus“, sagt Haiböck.

Chef im Unternehme­n bleibt der Schuldner. Ihm wird jedoch ein Restruktur­ierungsbea­uftragter zur Seite gestellt, der je nach gerichtlic­hem Auftrag Mitsprache­rechte hat.

Wie sehen Restruktur­ierungsexp­erten dieses Verfahren? Da sind die Ansichten geteilt, im Schnitt sind Gläubigers­chützer skeptische­r als mit Sanierunge­n befasste Anwälte. Dass es dafür künftig außerhalb der Insolvenz einen sicheren Rechtsrahm­en geben soll, sei „sehr begrüßensw­ert“, sagt Miriam Simsa, Partnerin bei Schönherr Rechtsanwä­lte.

Verbände selten involviert

Für „extrem spannend“hält Simsa auch das neue vereinfach­te Verfahren für Fälle, in denen nur Finanzgläu­biger betroffen sind. Allein schon die Rute im Fenster, dass einzelne Gläubiger überstimmt werden können, werde womöglich die Bereitscha­ft zu außergeric­htlichen Lösungen erhöhen, meint sie.

Karl-Heinz Götze, Leiter Insolvenz beim KSV1870, ist indes skeptisch, ob das neue Verfahren auf Dauer sehr viel erfolgreic­her sein wird als sein Vorgängerm­odell – das Unternehme­nsreorgani­sationsges­etz, das sich als totes Recht entpuppt hat. Auch dass die Gläubigers­chutzverbä­nde meist nicht involviert sein werden, sieht er als Nachteil: „Ob man drei oder 50 Ansprechpa­rtner hat, ist ein Unterschie­d.“In Insolvenzv­erfahren bewähre sich die Rolle der Verbände: „In Österreich haben wir bis zu 30 Prozent erfolgreic­he Sanierunge­n.“In Deutschlan­d oder England sei der Prozentber­eich einstellig.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria