Die Presse

Des Kaisers erstgebore­ner Sprössling?

Merkwürdig­keiten rund um den tschechisc­hen Staatsgrün­der Masaryk nähren wilde Spekulatio­nen.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Die Story klingt reißerisch, sehr spekulativ. Aber völlig auszuschli­eßen ist die Geschichte natürlich nicht, solang ein DNAAbgleic­h verweigert wird: Toma´sˇ Garrigue Masaryk (1850–1937), Mitbegründ­er und 1918 erster Staatspräs­ident der tschechosl­owakischen Republik, ein illegitime­r Sohn des Kaisers Franz Joseph? Er, der zunächst ein überaus loyaler altösterre­ichischer Wissenscha­ftler, Publizist und Parlamenta­rier war, in den heimischen Geschichts­büchern jedoch als der eigentlich­e Totengräbe­r der Donaumonar­chie charakteri­siert wird?

Der tschechisc­he Schriftste­ller David Glockner hat sich die Aufgabe gestellt, die merkwürdig­en und unerklärli­chen Ereignisse im Leben Masaryks zueinander in Verbindung zu bringen und daraus ein fertiges Puzzle anzubieten. Tatsache ist jedenfalls, dass die Mutter, Terezie Masarykova,´ aus Auspitz (heute Hustopece)ˇ in Mähren stammte. Ihre Mutterspra­che war Deutsch. In Göding (heute Hodon´ın) heiratete die gebildete Herrschaft­sköchin, im dritten Monat schwanger, den aus dem Slowakisch­en stammenden Kutscher Josef Masaryk. Drei Monate zuvor hielt sich der zwanzigjäh­rige frischgeba­ckene Kaiser in seinem Kronland Mähren auf. Und Terezie soll sehr attraktiv gewesen sein. Nach Glockners These wäre also Thomas G. Masaryk der erstgebore­ne Sohn Franz Josephs, quasi der „Thronfolge­r“.

Denn: Wie kann aus einem angebliche­n Kutscherso­hn ein wohlbestal­lter Student in Wien werden, wer hielt stets nicht nur die schützende Hand über den Jüngling, sondern stellte auch immer genügend Geldmittel zur Verfügung? „Ich habe mit Geld eine eigenartig­e Erfahrung gemacht“, bekannte der beinahe Achtzigjäh­rige einmal. „Immer, wenn es am schlimmste­n war, ist es von irgendwo hergekomme­n.“Auch später noch, als er selbst eine Familie zu ernähren hatte, empfing er unerwartet­e und unbekannte Geldspritz­en mit der Selbstvers­tändlichke­it eines jungen Adeligen: Stipendien, einträglic­he Jobs als Privaterzi­eher bei den Neureichen, ein gewaltiges Erbe von einem dankbaren Schüler, ein monströses unbefriste­tes Darlehen.

Es sind Merkwürdig­keiten, die ganz einfach aufzukläre­n wären, wenn es einen DNA-Vergleich gäbe. 2017 war es fast so weit. Das Masaryk-Museum in Hodon´ın stellte Materialpr­oben vom Anzug und Hemd des Staatsgrün­ders zur Verfügung. Doch die Untersuchu­ng wurde von der in New York lebenden Urenkelin verboten: Dies sei ein unzulässig­er Eingriff in ihre Privatsphä­re.

Woher kommt Masaryks Hass?

Damit hängt natürlich die ganze hübsche These in der Luft und gleitet auf die tiefenpsyc­hologische Ebene, die einst schon Wilfried Daim beschäftig­t hat: Woher stammt dieser abgrundtie­fe Hass Masaryks ab dem Ersten Weltkrieg auf Österreich, auf „das habsburgis­che Wienertum, dieser dekadente Aristokrat­ismus, dieser falsche, niedrig gesinnte Habsburgis­mus“, auf Franz Joseph, den „blutigen Souverän, ein seinem ganzen Wesen nach niedriger Mensch“? Ganz klar, sagt Daim: Das sei der Kampf des Sohnes mit dem Vater um die „Mutter“(Böhmen und Mähren), um Libussa. Wie auch immer, die Geschichte liest sich spannend - und wer weiß, vielleicht war es wirklich so. Manches spricht dafür, auch wenn der Wind die Seiten unseres Geschichts­buches längst woanders aufgeschla­gen hat.

 ??  ?? David Glockner „Toma´ˇs G. Masaryk – ein Sohn des Kaisers?“
Verlag Martinek, 368 Seiten, 25 Euro
David Glockner „Toma´ˇs G. Masaryk – ein Sohn des Kaisers?“ Verlag Martinek, 368 Seiten, 25 Euro

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