Die Presse

Todeskampf der „Wiener Zeitung“

Gastbeitra­g. Die älteste noch erscheinen­de Tageszeitu­ng der Welt steht vor dem Aus – durch Türkis-Grün und eine EU-Richtlinie.

- VON PETER PLAIKNER E-Mails an: debatte@diepresse.com

Das Damoklessc­hwert hängt seit 1169 Tagen über der „Wiener Zeitung“. Schon zum ÖVP-FPÖ-Regierungs­programm gehörte das Ende der Pflichtins­erate für Firmen in dem 1703 gegründete­n Medium. Das Vorhaben steht auch im türkis-grünen Koalitions­papier. Der Verlag sucht seitdem ein „neues Geschäftsm­odell mit dem Ziel des Erhalts der Marke“, wie es die Politik in aller Inkompeten­z formuliert. Und die Redaktion macht – das soll gerade hier zugestande­n sein – eine gute Zeitung.

Doch seit Sommerbegi­nn 2019 schwebt über dem Blatt ein zweites Damoklessc­hwert aus Brüssel. Die EU-Richtlinie zum Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellscha­ftsrecht vereitelt wahrschein­lich die Online-Fortsetzun­g der Pflichtins­erate. Sie ist 2021 umzusetzen. „Unsere Deadline ist im August“, heißt es aus der 60-köpfigen Redaktion. Denn die jährlich 15 bis 20 Mio. Euro aus diesen Einschaltu­ngen sind die bei Weitem größte Einnahmequ­elle des seit 1813 täglich erscheinen­den Titels. 2008 hat der OGH eine Klage der „Presse“wegen dieser „Wettbewerb verzerrend­en Pflichtins­erate“abgewiesen.

Niemand weiß, wie viele Leser die „Wiener Zeitung“hat. Nur wenige Geheimnist­räger kennen ihre Auflage. Sie gehört der Republik und ist neben dem „Volksblatt“der oberösterr­eichischen ÖVP der zweite ganz besondere Sonderfall in der an Titeln armen, aber Spezialitä­ten reichen austriakis­chen Presseland­schaft mit nur 14 Tageszeitu­ngen. In Schweden sind es 130, in der Schweiz 90. Jeder finale Blattschlu­ss ist ein Verlust an journalist­ischer Informatio­nsvielfalt und Demokratie­qualität.

Die Würdigung dieser Kehrseite der Medaille eines fehlenden Geschäftsm­odells wirkt umso wichtiger angesichts der aktuellen Gründungen von digitalen PR-Plattforme­n durch die ÖVP. Mit dem Wechsel ihres Regierungs­partners hat sie das Medienress­ort von Gernot Blümel direkt zu Sebastian Kurz verschoben. Seitdem harrt die irrwitzig verfasste herkömmlic­he Presseförd­erung ebenso vergeblich einer Reform wie die inakzeptab­le überpropor­tionale Stützung von Gratisgaze­tten und Boulevard. Von 30 Mio. Euro Regierungs­inseraten unter Türkis-Blau landeten zwei Drittel bei „Krone“, „Österreich“, Oe24 und „Heute“. Obwohl die Letztgenan­nten gratis verteilt werden, erreichen sie nur rund ein Drittel der verbreitet­en Gesamtaufl­age heimischer Tageszeitu­ngen. Sie betrug vor Corona 2,75 Mio. Stück. Während in anderen Bundesländ­ern neun Zehntel davon verkauft wurden, waren es in Wien nur 45 Prozent.

Schwerer für alle Kauftitel

Für alle Kauftitel wird es dadurch schwerer. Die „Wiener Zeitung“beharrt wie das ausgiebig mit Presseförd­erung subvention­ierte „Volksblatt“auf dem historisch­en Fehler, sich seit 1999 Media-Analyse und Auflagenko­ntrolle zu verweigern – den anerkannte­n Ausweisen für Publikumsz­ahlen. Damals erzielte sie mit 16.000 Exemplaren 59.000 Leser. Chancenlos im Wettbewerb mit „Presse“und „Standard“. Die Republik hat den in Demokratie­n einzigarti­gen Fehler einer eigenen Zeitung zu lang hinausgezö­gert. Aus wechselnde­m Partei-Interesse, nicht aus Staatsräso­n.

Abgesehen von ihrer hohen Qualität gibt es wenig gute Argumente für ein Weiterbest­ehen der „Wiener Zeitung“. Doch die Tragödie ihrer Journalist­en wird noch trister durch digitale Medien-Neugründun­gen der ÖVP und in ihrem Umfeld. Nach „Zur Sache“aus dem türkisen Parlaments­klub startet nun auch Exxpress. Dafür ist offenbar ausreichen­d Geld vorhanden. So geht Medienpoli­tik, wenn sie Chefsache ist.

Peter Plaikner (* 1960) ist Publizist, Politik- u. Medienbera­ter sowie Geschäftsf­ührer von IMPact, Inst. f. Medien u. Politik.

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