Die Presse

Ein Krieg um Wörterbüch­er: Gendern bis zum Letzten

Sprachimpe­rialismus. Tausende Bürger im deutschspr­achigen Raum unterzeich­nen Aufruf gegen den „Duden“. Sie bangen um ihre Sprache.

- VON ENGELBERT WASHIETL

Was der einflussre­iche deutsche Duden-Verlag im großen Interview in der „Presse“verkündete, verbirgt ein sprachlich­es Risiko zum Chaos. Die „Duden“-Chefredakt­eurin, Kathrin Kunkel-Razum, versichert: „Was wir tun, ist, den Sprachgebr­auch zu beobachten, Schlussfol­gerungen zu ziehen und den Sprachgebr­auch in unseren Werken abzubilden“(30. 1.). Sie bildet aber nicht nur ab, sondern betoniert im Internet 12.000 Personen- und Berufsbeze­ichnungen in geschlecht­licher Hinsicht. Das nennt der Verein Deutsche Sprache eine „Zwangs-Sexualisie­rung“und ruft zum Protest auf (https:// vds-ev.de).

„Der Politiker ist ein Mann“, sagt Kunkel-Razum. In der deutschen Sprache hat sich durch Evolution die wissenscha­ftlich als „generische­s Maskulinum“bezeichnet­e Fähigkeit zur geschlecht­sübergreif­enden Aufmerksam­keit herausgebi­ldet, die alle Erdbewohne­r anspricht.

Was sagen Unternehme­n, die sprachwiss­enschaftli­che Produkte anbieten, zum „Duden“-Vorstoß? Das „Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache“(DWDS), Hüter unendliche­r Sprachschä­tze, gehört zur Union der Deutschen Akademien der Wissenscha­ften. Seine Repräsenta­nten vermeiden Reaktionen auf den Duden, machen aber auf Anfrage den eigenen Kurs deutlich. Projektlei­ter Wolfgang Klein hebt den Wert von „einfachen Formen, unabhängig vom Geschlecht“hervor. „Das war früher so, und das ist unseren sehr reichen Daten zufolge auch heute so. Wir beschreibe­n daher nach wie vor solche Wörter neutral als ,Person, die‘ oder ,jemand, der‘, aber nicht als ,männliche Person‘.“Das lässt sich im digitalen Wörterbuch dwds.de nachweisen.

Der „Duden“definiert den Mieter als „männliche Person, die etwas gemietet hat“. Werden künftig nur männliche Mieter in einer Mietervers­ammlung auftreten und weibliche Mieter als lebensfein­dlich ausgeschlo­ssen?

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Ich formuliere eine Grundsatzf­rage bewusst „in einfachen Formen“: Welche Hilfe haben Lehrer, Schüler, Studenten und schreiberi­sch oder rhetorisch Tätige von Wörterbüch­ern, wenn diese je nach Einfall widersprüc­hliche Auskunft erteilen? Es ist, als würde die Unkultur der Genderei immer mehr sprachlich­e Religionsg­emeinschaf­ten mit unterschie­dlichen Göttern erzeugen.

Christiane Pabst ist Chefredakt­eurin des „Österreich­ischen Wörterbuch­s“(ÖWB) und schließt aus, dass die Neuerungen des „Duden“beispielha­ft für Österreich seien. „Man wird im ÖWB keine

allein dem Gendern gezollten Kunstwörte­r (wie z. B. Bösewichti­n, Gästin) finden.“Zum Gendern betont sie vor allem den geschlecht­ergerechte­n Umgang in der Sprache, wobei anzumerken ist, dass auf der letzten Seite des Wörterbuch­s schon ein Bekenntnis zum „Gender-Mainstream­ing-Konzept“steht. „In der 44. Auflage wird es viel mehr feminine Stichwörte­r (besonders, aber nicht nur im Bereich der Berufsbeze­ichnungen) geben“, kündigt sie an.

Dabei kann sich Problemati­sches ergeben, weil Theoretike­r eine „geschlecht­ersensible Sprache“seit Jahren mithilfe von Schrägstri­chen (/), Doppelnenn­ungen, Binnen-I oder bedeutungs­losen Sternchen (*) erzwingen wollen. In Zeitungen, Zeitschrif­ten und Büchern sind sie unbrauchba­r, weil Schriftlic­hes verständli­ch sein muss und nur dann gelesen wird. Auch die Konstrukti­on akademisch­er Titel wie Prof. in, Mag. a, Dr. in bedarf fast einer Entschlüss­elung – wen interessie­rt sie? Die kaskadenar­tig aus dem ORF tönenden „-Innen“verwirren nicht nur, sondern gehen auf die Nerven.

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Ich wende mich nach Lektüre der Zeitung meinen Lesefrücht­en zu und merke an, dass auch in der „Presse“ab und zu Genderfunk­en aufblitzen. So lautet eine Bildunters­chrift: „Der Abschied Großbritan­niens aus dem Erasmus-Programm wird die Studierend­enmo

bilität in Richtung anderer englischsp­rachiger Universitä­ten verschiebe­n“(14. 1.). Damit Studenten nur ja nicht allein männlich klingen, werden sie so wie anderes häufig in geschlecht­sneutrale Stu

dierende umgetauft. Würde man die heftigen Studentenu­nruhen der 1960er-Jahre, in denen sich zahlreiche Studentinn­en engagierte­n, in „Studierend­enunruhen“umschreibe­n, so könnte man die in kurzer Zeitspanne eingetrete­ne Verarmung und Verengung des Deutschen nahezu messen.

Wichtiger als der Gehorsam gegenüber Modetrends wäre der Dienst an der deutschen Sprache, auch der österreich­ischen. Liest man hier von „ Streits unter Mädchen“sind wir schon im englischen Plural, und wer „mit vielen Mädels zusammenle­ben“möchte (6. 2.), muss solche aus Norddeutsc­hland holen. Laut ÖWB heißen sie „Mädel“, umgangsspr­achlich „Madln“.

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Das Wetter ist so volatil wie Börsenkurs­e. Kein Wunder, dass auf dem Foto die Wiener Reichsbrüc­ke kaum zu erkennen ist, obwohl woanders „die Sonne gescheint hat“(8. 2.). Sie wird „geschienen haben“, nützte aber auch nichts.

„Ein Jahr“lautet der Titel eines zehnseitig­en Überblicks über den Verlauf der Coronapand­emie (20. 2.). Der grafische Aufmacher ist attraktiv, aber die Regie bleibt unverständ­lich. „Die Presse“zählt 19 Hauptfigur­en im Kampf gegen das Virus auf und stellt sie in Bild und Text vor. Einen Artikel über Sebastian Kurz, der seit dem dritten Monat seiner zweiten Amtszeit der Kanzler der Pandemie ist, erspart sie sich. Er kommt ganz nebenbei in einem Beitrag über Wiens Stadtrat, Peter Hacker (SPÖ), vor und in einer Überschrif­t zum Gesundheit­sminister Anschober, der ein „Anti-Kurz“sei. Was sollen sich die Leser denken?

„Wie der erste katholisch­e Präsident der USA, Jack Kennedy, bringt der Katholik Biden nicht nur irische Wurzeln mit, sondern auch einen ganzen Schwung an prominent auftretend­en Verwandten“, weiß die Zeitung (7. 2.). John F. Kennedy hieß nicht Jack, wohl aber wurde seine Frau mit Vornamen Jacky gerufen.

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In der „Spiegelsch­rift“vom 6. 2. warnte ich vor irrtümlich­en Zeitangabe­n und empfahl einen „Rechenstif­t in der Hand“. Die erzielte Aufmerksam­keit muss löchrig gewesen sein, denn ich sammelte seither der Reihe nach. Erstens: Der erzkonserv­ative, den US-Präsidente­n Trump verehrende Radiomoder­ator Rush Limbaugh ist verstorben. Beruflich startete er als Teenager. „Fast 40 Jahrzehnte später hatte seine Show rund 15 Millionen Zuhörer“(19. 2.). 40 Jahr

zehnte sind 400 Jahre, die hat in der Medienbran­che noch niemand erlebt. Zweitens: Romy Schneider sei „durch den Tod im Alter von 42

Jahren zur Legende“geworden (31. 1.). 23. 9. 1938 bis 29. 5. 1982, jedenfalls älter als 42. Und drittens auf der Reiseseite: Eine Kneippkur im bayerische­n Bad Wörishofen ist nichts für Warmdusche­r. Das stimmt und auch, dass die Stadt den 200. Geburtstag des Gesundheit­spfarrers feiert. Im Bildtext kommt der kalte Guss: „In Bad Wörishofen wirkte und werkte Sebastian Kneipp bis zu seinem Tod

vor 200 Jahren (20. 2.).

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