Verändert die Zuschauermenge den Flug der Skispringer?
Eine Menschenmenge gibt Wärme und Feuchtigkeit ab, wodurch Luft aufsteigen kann. Diese Strömungen sind im Sport aber vernachlässigbar.
Passend zur Nordischen WM in Oberstdorf, in der nun Athleten und Zuschauer vor den Fernsehgeräten auf Medaillen hoffen, fragt eine Leserin: „Macht es einen Unterschied für die Skispringer und die Thermik, wenn die jubelnde Menschenmenge mit Fahnen und Heißgetränken fehlt?“Hendrik Kuhlmann vom Forschungsbereich Numerische Strömungsmechanik der TU Wien antwortet aus der Intuition heraus: „Da die Skispringer nicht über die Zuschauer springen, können sie von dort entstehendem Aufwind nicht profitieren. Es kann jedoch zu Strömungen kommen, die aber viel schwächer sind als die erlaubten Winde, bei denen die Springer noch fliegen dürfen.“Nach genauer Lektüre präzisiert Kuhlmann, der als junger Bursch einmal in Oberstdorf den Skispringern zusehen konnte, die Antwort: „Erstens muss man den Begriff Thermik relativieren: Zwar nutzen Drachen- und Segelflieger den Ausdruck für Aufwärtsströme, die durch erwärmte Luft, die sich ausdehnt, entstehen. Doch die Aufwärtsströme sind überwiegend der Luftfeuchtigkeit geschuldet: Wasserdampf ist leichter als Luft und steigt hoch.“Auch beim Skispringen spricht man von Thermik, um die Auftriebskräfte zu beschreiben, die Kuhlmann eher als „Wind“bezeichnen würde.
Bei Windstille kein Einfluss
Eine Zuschauermenge in kalter trockener Luft gibt Wärme und Feuchtigkeit an die Umgebung ab. Beides macht die Luft über den Zuschauern leichter, sodass die Luft nach oben aufsteigen kann. Ähnliche Auftriebsströmungen findet man auch nachts über einer Stadt, wenn sich diese nicht so schnell abkühlt wie die ländliche Umgebung. „Die Struktur und Stärke der Auftriebsströmung hängen von vielen Faktoren ab wie der Temperaturänderung mit der Höhe und der Form und Dichte der Zuschauermenge.“Bei Windstille hat all das keinen Einfluss auf die Skispringer, weil sie eben nicht bis dorthin fliegen.
Die aufsteigende Luft könnte aber bodennahe Strömungen in Richtung der Zuschauer erzeugen, die für den Skispringer einen Abtrieb bewirken, weil die Strömung weg von ihm läuft. „Auch Flugzeuge starten und landen entgegen der Windrichtung, um einen besseren Auftrieb zu erhalten“, sagt Kuhlmann, der sich in seiner Forschung mit Strömungen, Wirbelringen und Turbulenzen in Flüssigkeiten beschäftigt. Die von der Menge verursachten bodennahen Strömungen sind aber weit unter den tolerierten Windgeschwindigkeiten von circa einem Meter pro Sekunde und damit zu schwach, um Einfluss zu nehmen.
„Anders sieht es mit den Winden aus, die entlang der Schanze wehen“, sagt Kuhlmann. Bei Rücken- oder Seitenwind würde jegliche Strömung der Zuschauermenge weggeblasen.
„Wenn allerdings der Wind dem Skispringer entgegengerichtet ist, was für seinen Auftrieb günstig ist, könnte auch die thermisch induzierte Aufwärtsströmung auf ihn treffen und sich möglicherweise positiv auswirken.“Aber die Höhe des Skispringers über dem Boden ist sehr viel geringer als seine Entfernung von der Zuschauermenge. Daher ist in diesem Fall eine vertikale Aufstiegsgeschwindigkeit gegenüber der Windgeschwindigkeit zu vernachlässigen.
Einfach gesagt: Die fehlende Menschenmenge im Auslauf hat derzeit wohl keinen Einfluss auf die Weiten der Sprünge.
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„Die Aufwärtsströme sind überwiegend der Luftfeuchtigkeit geschuldet.“
Hendrik Kuhlmann, TU Wien