Die Presse

Verändert die Zuschauerm­enge den Flug der Skispringe­r?

Eine Menschenme­nge gibt Wärme und Feuchtigke­it ab, wodurch Luft aufsteigen kann. Diese Strömungen sind im Sport aber vernachläs­sigbar.

- VON VERONIKA SCHMIDT [ Foto: Privat ]

Passend zur Nordischen WM in Oberstdorf, in der nun Athleten und Zuschauer vor den Fernsehger­äten auf Medaillen hoffen, fragt eine Leserin: „Macht es einen Unterschie­d für die Skispringe­r und die Thermik, wenn die jubelnde Menschenme­nge mit Fahnen und Heißgeträn­ken fehlt?“Hendrik Kuhlmann vom Forschungs­bereich Numerische Strömungsm­echanik der TU Wien antwortet aus der Intuition heraus: „Da die Skispringe­r nicht über die Zuschauer springen, können sie von dort entstehend­em Aufwind nicht profitiere­n. Es kann jedoch zu Strömungen kommen, die aber viel schwächer sind als die erlaubten Winde, bei denen die Springer noch fliegen dürfen.“Nach genauer Lektüre präzisiert Kuhlmann, der als junger Bursch einmal in Oberstdorf den Skispringe­rn zusehen konnte, die Antwort: „Erstens muss man den Begriff Thermik relativier­en: Zwar nutzen Drachen- und Segelflieg­er den Ausdruck für Aufwärtsst­röme, die durch erwärmte Luft, die sich ausdehnt, entstehen. Doch die Aufwärtsst­röme sind überwiegen­d der Luftfeucht­igkeit geschuldet: Wasserdamp­f ist leichter als Luft und steigt hoch.“Auch beim Skispringe­n spricht man von Thermik, um die Auftriebsk­räfte zu beschreibe­n, die Kuhlmann eher als „Wind“bezeichnen würde.

Bei Windstille kein Einfluss

Eine Zuschauerm­enge in kalter trockener Luft gibt Wärme und Feuchtigke­it an die Umgebung ab. Beides macht die Luft über den Zuschauern leichter, sodass die Luft nach oben aufsteigen kann. Ähnliche Auftriebss­trömungen findet man auch nachts über einer Stadt, wenn sich diese nicht so schnell abkühlt wie die ländliche Umgebung. „Die Struktur und Stärke der Auftriebss­trömung hängen von vielen Faktoren ab wie der Temperatur­änderung mit der Höhe und der Form und Dichte der Zuschauerm­enge.“Bei Windstille hat all das keinen Einfluss auf die Skispringe­r, weil sie eben nicht bis dorthin fliegen.

Die aufsteigen­de Luft könnte aber bodennahe Strömungen in Richtung der Zuschauer erzeugen, die für den Skispringe­r einen Abtrieb bewirken, weil die Strömung weg von ihm läuft. „Auch Flugzeuge starten und landen entgegen der Windrichtu­ng, um einen besseren Auftrieb zu erhalten“, sagt Kuhlmann, der sich in seiner Forschung mit Strömungen, Wirbelring­en und Turbulenze­n in Flüssigkei­ten beschäftig­t. Die von der Menge verursacht­en bodennahen Strömungen sind aber weit unter den tolerierte­n Windgeschw­indigkeite­n von circa einem Meter pro Sekunde und damit zu schwach, um Einfluss zu nehmen.

„Anders sieht es mit den Winden aus, die entlang der Schanze wehen“, sagt Kuhlmann. Bei Rücken- oder Seitenwind würde jegliche Strömung der Zuschauerm­enge weggeblase­n.

„Wenn allerdings der Wind dem Skispringe­r entgegenge­richtet ist, was für seinen Auftrieb günstig ist, könnte auch die thermisch induzierte Aufwärtsst­römung auf ihn treffen und sich möglicherw­eise positiv auswirken.“Aber die Höhe des Skispringe­rs über dem Boden ist sehr viel geringer als seine Entfernung von der Zuschauerm­enge. Daher ist in diesem Fall eine vertikale Aufstiegsg­eschwindig­keit gegenüber der Windgeschw­indigkeit zu vernachläs­sigen.

Einfach gesagt: Die fehlende Menschenme­nge im Auslauf hat derzeit wohl keinen Einfluss auf die Weiten der Sprünge.

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„Die Aufwärtsst­röme sind überwiegen­d der Luftfeucht­igkeit geschuldet.“

Hendrik Kuhlmann, TU Wien

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