Die Presse

Der verreckte Hund lädt ein

Expedition Europa: auf einen Kaffee in Tschechien – Polizist und Wirt filmten einander.

- Van Martin Leidenfros­t

Am Dienstag – so fangen derzeit Abenteuerg­eschichten an – ging ich in Tschechien auf einen Kaffee. Das Land führt schon zum dritten Mal in diesem Winter die Infektions­tabellen an, Sieben-Tages-Inzidenz über 600, dritter Platz weltweit bei den Corona-Toten. Eine Mehrheit misstraut dem „Antiepidem­ischen System (PES)“des regierende­n Oligarchen Babis,ˇ fast jeder Zweite würde auch mit Covid-Symptomen die Quarantäne missachten. Neuerdings haben einige Lokale trotz Lockdown auf. Pes bedeutet „Hund“, die Wirte nennen ihre Bewegung, die zu den Wahlen im Herbst antreten will, „Chc´ıpl PES“, „der Hund ist verreckt“.

Am Dienstag – 15.672 Neuinfekti­onen – fuhr ich ins nächstgele­gene Protestcaf­e,´ in die Plattenbau­siedlung von Breclav/ˇLundenbur­g. Zwei Polizisten bei laufendem Motor. Ich fragte sie: „Wo ist hier das Cafe´ Katy?“– „Das wissen wir nicht, mein Herr.“In Wahrheit waren sie wegen Katy hier. Die Polizei beobachtet das Cafe´ fast durchgehen­d und kontrollie­rt die Ausweise von Gästen, die seither auf allfällige Strafen warten. Den „Petitionsa­usschuss“hat Katy eingestell­t. Die Lockdown-Ausnahme für politische Tätigkeit sollte das Cafe´ schützen, tat aber das Gegenteil – unter dem Vorwand „wir schützen das Petitionsl­okal“nahm die Polizei von allen die Daten auf. Nur Mutige gehen ins Cafe´ Katy.

Katy und ihr Mann Jiˇr´ı Hanusˇ sind ein schönes Paar. Beide trugen enge, schwarze, muskelbeto­nende Kleidung, Katy drehte sich biegsam wie Lara Croft. Jirˇ´ı, der als Installate­ur im Weinvierte­l arbeitet, kam von der Arbeit. Sie hatten hier Eis und Wein verkauft, kurz vor Corona wurde der Umbau zum Cafe´ fertig, verdienen konnten sie nur von Juni bis Oktober. Vom Staat bekamen sie „keine Krone“. Sie hätten Anspruch auf den Ersatz der halben Miete gehabt, „das haben wir probiert und aufgegeben, zu komplizier­t“. In Österreich habe sich die Regierung „die Wirte gekauft, bei einer solchen Entschädig­ung würden die Leute auch hier still in der Furche marschiere­n“. Zwei von Jirˇ´ıs Bekannten begingen Suizid.

Respekt vor Regierung verloren

Covid, für Katy eine „unberechen­bare Krankheit“, hatten sie schon hinter sich. Sie acht Tage ohne Geruchs- und Geschmacks­sinn, er sechs Tage. Jirˇ´ı ist für natürliche Immunisier­ung, „hier geht’s schon dem Ende zu, 90 Prozent in meinem Umfeld hatten es schon“. Ich fragte: „Warum hat gerade Tschechien so hohe Infektions­zahlen?“Katy: „Weil die Leute den Respekt vor der Regierung verloren haben.“Sie hielt die Zahlen für „künstlich produziert“, zweifelte die Existenz symptomfre­i Infizierte­r an, „das sind falsch Positive“. Jirˇ´ı sagte: „Babisˇ kommt der Ausnahmezu­stand entgegen, seine Firmen laufen.“Er kündigte an: „Wenn das Pandemiege­setz, das die Strafen auf drei bis vier Millionen Kronen erhöhen soll, durchgeht, sperren wir sofort zu.“

Später kam die Polizei. „Vier Polizisten im Cafe“,´ höhnte Jirˇ´ı, „es waren auch schon mal zwölf.“Er rief laut: „Sie belästigen mich in meinem Wohnzimmer.“Ihm gegenüber stand ein kleiner, grauer, leise keppelnder Polizist. So ähnlich geht das jeden Abend. Sie filmten einander dabei. Das war staatliche Repression, vor allem aber war es: lächerlich.

Ich brach auf. Hundert Meter weiter hielten mich dieselben Polizisten auf. Sie kontrollie­rten meine Papiere, in erster Linie vergewisse­rte sich die Polizistin, ob sie meine Daten im Cafe´ korrekt abgeschrie­ben hatte. Ihre Ratlosigke­it war rührend, sie erkannte nicht einmal einen Personalau­sweis des fünf Minuten entfernten Staates. Zum ersten Mal dachte ich, dass mir diese hirnrissig­e Epoche einmal fehlen wird. Man kommt nicht mehr so leicht zu einem Abenteuer.

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