Mit Abstand im Schnee
Tirol. Den Wienern die Weinberge, den Tirolern die Skiberge. Was tun, wenn man als Wien-Tirolerin in Innsbruck ausharrt? Ausprobieren, was vor der Haustür liegt. Für eine Zeit nach Corona und seinen Begleiterscheinungen.
Viele – heuer sind es echt zu viele“, knurrt Dominic Ebenbichler über den aktuellen Skitouren-Boom in Tirol. Er schultert die Tourenski, und gemeinsam marschieren wir in Richtung Talstation der GlungezerGondelbahn in Tulfes. „Jeder, der eine warme Hose besitzt, glaubt auf einmal, er kann Skitouren gehen“, klagt der staatlich geprüfte Skiführer und Inhaber der Schischule Glungezer. Er schätzt, dass im Coronawinter 2021 rund 20 bis 30 Prozent mehr Tourengeher in Tirol unterwegs sind als im Vorjahr. „Vorwiegend Ahnungslose und Anfänger, die kein Verständnis für alpine Gefahren haben.“
Stadt mit eigenem Gebirge
Mittlerweile haben wir die Bergbahn erreicht und sitzen brav mit FFP2-Masken verhüllt zu fünft in der geräumigen Gondelkabine. Alles Tiroler, Großraum Innsbruck. Und ich – Wienerin sowie „TeilzeitInnschbruckkkerin“mit Lebensgefährten und hochoffiziellem Nebenwohnsitz hier. Ein Standbein in der Tiroler Landeshauptstadt ist ein unglaubliches Glück für eine Bergliebhaberin wie mich. Lohnende Skitourenziele, schneesichere Langlaufloipen, perfekte Rodelbahnen, endlose Winterwanderwege: Nirgendwo sonst rückt das Gebirge so nahe an die City heran. Es wundert daher nicht, dass alle Bewohner (zumindest jene, die ich kenne) extrem „outdoorsy“sind und jede freie Minute in der Natur verbringen wollen.
Heute herrscht Lawinenstufe zwei, zwecks fachkundiger Begleitung starten wir gemeinsam mit Dominic Ebenbichler auf den Glungezer. Schweben mit der Gondel bergwärts, die Sonne scheint, die Temperaturen sind mild, die Schneeverhältnisse gut. Heute macht mein Innsbruck-Leben wieder Freude. Dominic meint: „Noch schöner als der Glungezer-Gipfel ist die Sonnenspitze daneben. Wollen wir nicht die machen?“Klar doch! Der Glungezer und seine Nachbargipfel sind ein besonders lohnendes Skitourenrevier mit grandiosem Fernblick auf das Inntal, die Landeshauptstadt und die Bergwelt. Mit der konditionsschonenden Option, einen Teil des Aufstiegs per Gondelbahn (zwei Sektionen; seit 2018 und 2020 neu) zurückzulegen: Bis Halsmarter (1560 m), zur Tulfeiner Alm (2055 m) oder auf den Schartenkogel (2304 m). Schnell ist man im Hochgebirge (ehrgeizigen Skitourengehern steht vom Tal weg eine neue Aufstiegsspur in der alten Schlepplifttrasse zur Verfügung). Aber Dominic warnt: „Der Glungezer ist recht steil und kein Berg für SkitourenAnfänger.“Wir starten bei der Schäferhütte unterhalb der Schartenkogel-Bergstation. Obwohl Wochentag, ist einiges los. „Heute geht’s ja“, meint Dominic. „Aber am Wochenende zieht hier eine Karawane hinauf.“
Nach gut einer Stunde Gleitschritt-Schlurfen erreichen wir den Sonnenspitz-Gipfel. Wir umreißen die Abfahrtsmöglichkeiten: Neben der Aufstiegsspur im zerfahrenen Gelände? Das machen alle! Über den Osthang, bis zu 42 Grad steil – und eventuell harschig? Muss nicht sein. „Oder“, Dominic deutet in Richtung Westen, „über die Direttissima und das Frauental. Ist allerdings ganz im Schatten, dafür sind wir dort wahrscheinlich allein.“Ja bitte!
Es war eindeutig die richtige Wahl: Der Nordhang unterhalb des Gipfels ist zwar ein wenig zerfahren, danach aber zweigen wir in ein leicht kupiertes, abgeschiedenes Tal ab und ziehen unsere Schwünge auf einsamen Hängen in den Powder. Der Schnee staubt. „Juhu! Welch Traum!“, juble ich. „Sagte ich doch!“, schmunzelt der Experte. „Du musst halt den richtigen fragen . . .“