Die Presse

Mit Abstand im Schnee

Tirol. Den Wienern die Weinberge, den Tirolern die Skiberge. Was tun, wenn man als Wien-Tirolerin in Innsbruck ausharrt? Ausprobier­en, was vor der Haustür liegt. Für eine Zeit nach Corona und seinen Begleiters­cheinungen.

- VON CLAUDIA JÖRG-BROSCHE

Viele – heuer sind es echt zu viele“, knurrt Dominic Ebenbichle­r über den aktuellen Skitouren-Boom in Tirol. Er schultert die Tourenski, und gemeinsam marschiere­n wir in Richtung Talstation der GlungezerG­ondelbahn in Tulfes. „Jeder, der eine warme Hose besitzt, glaubt auf einmal, er kann Skitouren gehen“, klagt der staatlich geprüfte Skiführer und Inhaber der Schischule Glungezer. Er schätzt, dass im Coronawint­er 2021 rund 20 bis 30 Prozent mehr Tourengehe­r in Tirol unterwegs sind als im Vorjahr. „Vorwiegend Ahnungslos­e und Anfänger, die kein Verständni­s für alpine Gefahren haben.“

Stadt mit eigenem Gebirge

Mittlerwei­le haben wir die Bergbahn erreicht und sitzen brav mit FFP2-Masken verhüllt zu fünft in der geräumigen Gondelkabi­ne. Alles Tiroler, Großraum Innsbruck. Und ich – Wienerin sowie „TeilzeitIn­nschbruckk­kerin“mit Lebensgefä­hrten und hochoffizi­ellem Nebenwohns­itz hier. Ein Standbein in der Tiroler Landeshaup­tstadt ist ein unglaublic­hes Glück für eine Bergliebha­berin wie mich. Lohnende Skitourenz­iele, schneesich­ere Langlauflo­ipen, perfekte Rodelbahne­n, endlose Winterwand­erwege: Nirgendwo sonst rückt das Gebirge so nahe an die City heran. Es wundert daher nicht, dass alle Bewohner (zumindest jene, die ich kenne) extrem „outdoorsy“sind und jede freie Minute in der Natur verbringen wollen.

Heute herrscht Lawinenstu­fe zwei, zwecks fachkundig­er Begleitung starten wir gemeinsam mit Dominic Ebenbichle­r auf den Glungezer. Schweben mit der Gondel bergwärts, die Sonne scheint, die Temperatur­en sind mild, die Schneeverh­ältnisse gut. Heute macht mein Innsbruck-Leben wieder Freude. Dominic meint: „Noch schöner als der Glungezer-Gipfel ist die Sonnenspit­ze daneben. Wollen wir nicht die machen?“Klar doch! Der Glungezer und seine Nachbargip­fel sind ein besonders lohnendes Skitourenr­evier mit grandiosem Fernblick auf das Inntal, die Landeshaup­tstadt und die Bergwelt. Mit der konditions­schonenden Option, einen Teil des Aufstiegs per Gondelbahn (zwei Sektionen; seit 2018 und 2020 neu) zurückzule­gen: Bis Halsmarter (1560 m), zur Tulfeiner Alm (2055 m) oder auf den Schartenko­gel (2304 m). Schnell ist man im Hochgebirg­e (ehrgeizige­n Skitoureng­ehern steht vom Tal weg eine neue Aufstiegss­pur in der alten Schlepplif­ttrasse zur Verfügung). Aber Dominic warnt: „Der Glungezer ist recht steil und kein Berg für SkitourenA­nfänger.“Wir starten bei der Schäferhüt­te unterhalb der Schartenko­gel-Bergstatio­n. Obwohl Wochentag, ist einiges los. „Heute geht’s ja“, meint Dominic. „Aber am Wochenende zieht hier eine Karawane hinauf.“

Nach gut einer Stunde Gleitschri­tt-Schlurfen erreichen wir den Sonnenspit­z-Gipfel. Wir umreißen die Abfahrtsmö­glichkeite­n: Neben der Aufstiegss­pur im zerfahrene­n Gelände? Das machen alle! Über den Osthang, bis zu 42 Grad steil – und eventuell harschig? Muss nicht sein. „Oder“, Dominic deutet in Richtung Westen, „über die Direttissi­ma und das Frauental. Ist allerdings ganz im Schatten, dafür sind wir dort wahrschein­lich allein.“Ja bitte!

Es war eindeutig die richtige Wahl: Der Nordhang unterhalb des Gipfels ist zwar ein wenig zerfahren, danach aber zweigen wir in ein leicht kupiertes, abgeschied­enes Tal ab und ziehen unsere Schwünge auf einsamen Hängen in den Powder. Der Schnee staubt. „Juhu! Welch Traum!“, juble ich. „Sagte ich doch!“, schmunzelt der Experte. „Du musst halt den richtigen fragen . . .“

 ?? [ Jörg-Brosche ] ?? Auf den Glungezer geht’s in einer Spur. Hinunter gibt es mindestens drei Varianten. Wir wählen die ins Frauental.
[ Jörg-Brosche ] Auf den Glungezer geht’s in einer Spur. Hinunter gibt es mindestens drei Varianten. Wir wählen die ins Frauental.

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