Mit Schwarmintelligenz zu patientenorientierter Qualität
Von Einzelkämpfern zur Gruppe mit „Wir“-Gefühl, die gemeinsame Ziele effizient umsetzt: Quality-AustriaExperte Günther Schreiber über Lösungsansätze, wie im hoch komplexen Gesundheitswesen Qualität optimiert werden kann.
VON CHRISTIAN LENOBLE
Will man die Qualität von Systemen optimieren, muss man sich zunächst deren permanent anwachsende Komplexität und die daraus entstehenden Folgen vor Augen führen“, sagt Günther Schreiber, Branchenkoordinator des internationalen Gesundheitswesens bei Quality Austria. Fakt ist, dass sich der Grad der organisatorischen Komplexität in Unternehmen – also etwa die Zahl unterschiedlicher Prozesse, Schnittstellen, Abstimmungsschleifen und Entscheidungsstufen – in den letzten Jahren vervielfacht hat. „Komplexität bedeutet, dass es in einem System viele miteinander in Beziehung stehende Elemente mit hoher Dynamik und vor allem ohne erkennbare Ursache-Wirkungs-Beziehungen gibt. Unkontrollierte Komplexität in Organisationen führt zu Effizienzmängeln, hemmt Innovationen, bindet Ressourcen in unproduktiven bürokratischen Prozessen und steigert die Kosten“, erklärt Schreiber das Grundproblem. Ein denkbar komplexes System ist jenes des Gesundheitswesens, was sowohl an externen wie internen Kontexten liegt. Auf der einen Seite gibt es eine Vielzahl an Stakeholdern und interessierten Parteien, die oftmals als Ich-AGs Forderungen an das System stellen. Auf der anderen Seite existiert eine Fülle von internen, selbst auferlegten Ansprüchen, wie man als System funktionieren möchte.
Realität sehen und annehmen
Wie unkontrolliert diese Komplexität sein kann, zeigt sich laut Schreiber etwa am Auseinanderklaffen von Idealbildern und Realität. So stößt sich beispielhaft die Vorstellung vom idealen Patienten (stellt Autorität des Arztes nicht in Frage, akzeptiert kooperativ alle Therapievorschläge, . . . ) und vom idealen Arzt (nimmt sich Zeit, agiert partnerschaftlich mit der Mission zu helfen, . . . ) oftmals an einer von Rahmenbedingungen geprägten Realität (überängstlicher, undankbarer, besser wissender Dr.-Google-Patient prallt auf Arzt, der mangels Zeit nicht ausreichend informiert). Die Augen davor zu verschließen, kann laut Schreiber nicht die Lösung sein: „Unser Gesundheitssystem hat natürlich gute Elemente. Aber je mehr wir es dort gut reden, wo es nicht optimal funktioniert, desto weniger können wir zum Positiven verändern.“Besser ist es, zunächst den Statusquo zu erheben und anzunehmen – etwa, dass Österreichs primäre Versorgungsebene weder in qualitativen Dimensionen (hohe Zahl vermeidbarer Krankenhausaufenthalte, kaum Einbindung nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe), noch in der Servicedimension (zum Beispiel dominierende Struktur von Einzelpraxen mit eingeschränkten Öffnungszeiten), den heutigen Anforderungen entspricht.
Lösungsansätze: Wir statt ich
Eine Möglichkeit, die Komplexität von Systemen produktiv zu kontrollieren, ist es laut Schreiber, sich der Schwarmintelligenz zu bedienen. Das Konzept: Ein Schwarm verfolgt ein gemeinsames Ziel und ist von dessen Idee überzeugt. „Um das auf eine Organisation oder ein System zu übertragen, ist also die Definition eines gemeinsamen Sinnes die Grundvoraussetzung. Im Gesundheitswesen wäre dies idealerweise die optimale, qualitativ hochwertige, empathische, effektive und effiziente Patientenversorgung“, so Schreiber. Erst dann – nämlich wenn aus dem „Ich“der Beteiligten ein „Wir“wird – sei ein individuelles Handeln und Entscheiden aller Schwarmmitglieder möglich, das dem Gemeinwohl dient. Netzwerke und Plattformen dienen dabei als Erfolgsbeschleuniger. Sie beflügeln das Vorwärtskommen von Teams, Leistung, Chancen und Motivation.
Um eine (Gesundheits-)Organisation gleichzeitig effizient und flexibel zu gestalten, braucht es laut Schreiber die dafür geeigneten Führungskräfte: „Das sind jene, die nicht in erster Linie Fachkompetenz vorweisen, sondern das Beste aus ihren Mitarbeitern holen, Interoperabilität fördern, interprofessionell Wissen organisieren, unternehmerisch im Sinne des Patienten denken und handeln, Innovationskraft beweisen und bei alldem das Budget einhalten.“Die Optimierung von Qualität setzt demnach eine Führung voraus, die gemeinsam mit Mitarbeitern eine Vision und Mission erarbeitet, eine exzellente Unternehmenskultur schafft sowie Strategien und Ziele aufgrund der Analyse des Kontextes und der Vorgaben der Stakeholder festlegt. Es gilt Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten, Qualitätskosten zu erfassen, Risiken zu erkennen und zu behandeln. Fehler im System werden dabei von den Mitarbeitern vor Ort beobachtet, erkannt und korrigiert.
Informationen & Ausblick
Quality-Austria-Experten werden bei den 6. Praevenire Gesundheitstagen (19.–21. Mai 2021) Keynotes zu folgenden Themen halten: Welches Potenzial hat eine Optimierung der Pflege für die Gesundheitsversorgung? Wie sollte Krisenmanagement aussehen?