Ziele, die für Menschen verständlich sind
Landesrätin Juliane Bogner-Strauß über die Schließung von Versorgungslücken, Digitalisierung im ländlichen Raum, Systemfinanzierung und attraktive Berufsbilder der Zukunft.
„Es geht immer um ein Zusammenspiel mit den Menschen, innerhalb und außerhalb des Gesundheitssystems.“ Juliane Bogner-Strauß
Landesrätin Juliane Bogner-Strauß zeichnet für die Themenfelder Bildung, Gesellschaft, Gesundheit und Pflege verantwortlich – ein Ressort, das laut Bogner „sehr nah mit den Menschen verbunden ist“. Im Rahmen der Praevenire-Weißbuch-Übergabe sprach die Landesrätin über neue Zukunftsbilder für Österreichs Gesundheit.
Praevenire hat Ihnen im Februar 2021 das Weißbuch „Zukunft der Gesundheitsversorgung“mit konkreten Handlungsempfehlungen für Bundes- und Landesregierungen überreicht. Worin liegen die für Sie wichtigsten Schnittstellen?
Das Weißbuch liefert viele wertvolle Denkanstöße. Besonders wichtig ist mir jener Gedanke, dass wir das Gesundheitssystem aus Sicht der Menschen wahrnehmen müssen. Es sind lösungsorientierte Modelle gefragt sowie die Bereitschaft zum Bewusstseinswandel in puncto Versorgungslücken: Ist es erstrebenswert, stationär aufgenommen zu werden, wenn die ambulante Versorgung möglich ist? Ist es zielführend, Menschen mit niedrigem Versorgungsbedarf dauerhaft in stationären Einrichtungen unterzubringen? Auch die im Weißbuch thematisierte Digitalisierung eröffnet gerade für den ländlichen Raum neue Versorgungschancen, die wir gemeinsam ergreifen wollen. Zudem liegt mir die Schnittstellenoptimierung zwischen intraund extramuraler Versorgung sowie zwischen Spital und pflegerischer Nachsorge sehr am Herzen.
Sie hatten im Zuge der CoronaPandemie neue Herausforderungen bei hohem Abstimmungsbedarf zu bewältigen. Aktuell steht insbesondere die logistische Verteilung des Corona-Impfstoffes an die Bevölkerung im Fokus. Welche Themen begleiten Sie im kommenden Halbjahr?
Das Hauptthema ist natürlich nach wie vor Corona. Es betrifft einerseits die Krankenhäuser, die entsprechende Kapazitäten vorhalten müssen. Andererseits stellt sich durch die coronabedingte Wirtschaftskrise die Frage, wie das Gesundheitssystem zukünftig finanziert werden kann – in einer Zeit, in der Sozialversicherungsbeiträge sowie Steuereinnahmen sinken. Insofern muss der Fokus aus Sicht der Länder darauf gesetzt werden, die Spitalsfinanzierung in ihrem bisherigem Ausmaß zu sichern, um Leistungskürzungen auszuschließen.
Es wird kein Weg an einer Spitalsreform, wie wir sie in der Steiermark bereits verfolgen, vorbeiführen: Die Medizin entwickelt sich rasant weiter. Das macht es erforderlich, das Leistungsangebot am „best point of service“konzentriert anzubieten. Wir werden uns intensiv mit den Erkenntnissen aus der Versorgungsforschung in Zusammenhang mit Corona beschäftigen und uns flexibler aufstellen müssen. Ganz wichtig ist mir zudem, dass die Menschen aufgrund der Pandemie nicht davor zurückschrecken, wichtige Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen.
Gesundheitsmodelle leben von ständiger Reflexion: In welchen Bereichen möchten Sie neue Zukunftsbilder gestalten?
Ein Gedanke, der mir sehr wichtig ist, ist folgender: Wie schaffen wir es, attraktive Berufsbilder für eine gesunde Zukunft zu entwerfen? Junge Menschen, die sich für ein medizinisches Studium oder eine Pflegeausbildung entscheiden, verdienen mehr Anerkennung und Top-Aussichten. Wir müssen gezielt einen Schwerpunkt darauf legen, diese Berufsfelder aufzuwerten. Die Aussicht, mit 40 aufgrund der körperlich und emotional belastenden Arbeit mit einem Bandscheibenvorfall oder Burnout zuhause zu sitzen, ist nicht verlockend.
Insofern geht es um Inklusion und Erwartungshaltungs management: Krankheit und Pflege sind Phänomene aus der Mitte der Gesellschaft, die uns alle betreffen – wir müssen diese Themen auch wieder in die Mitte der Gesellschaft holen, sie stärken und sie nicht in „weiße Fabriken“oder ähnliche Institutionen outsourcen.
Gemeinsam mit Praevenire-Präsident Hans Jörg Schelling werden Sie die 6. Praevenire Gesundheitstage eröffnen und zum Stakeholder-Dialog einladen. Welche Weichenstellungen bzw. Vertiefungen sind Ihnen wichtig?
Für mich ist die Versorgungsplanung ein essenzieller Aspekt: Wir müssen uns fragen, wie sich Erkenntnisse aus den Transformationsphasen anderer Gesundheitssysteme für Österreich umsetzen lassen, sodass aus einer bloßen Vision ein Ziel wird. Dabei geht es immer um das Zusammenspiel mit den Menschen, die sich innerhalb und außerhalb des Gesundheitssystems bewegen. Mir ist wichtig, dass diese Ziele für die Menschen verständlich sind, sodass wir den Weg auch gemeinsam mit ihnen gehen können.