Eisige Falle für Dunkle Materie
Teilchenphysik. Nur mit Dunkler Materie lässt sich erklären, wie Galaxien trotz ihrer Rotation zusammenhalten. Ein Beweis für ihre Existenz konnte bislang jedoch noch nicht erbracht werden. Ein neues Experiment will das ändern.
Abgeschottet im Inneren des italienischen Gebirgsmassivs Gran Sasso liegt – 1400 Meter unter Tag – das weltweit größte unterirdische Labor zur Untersuchung von Elementarteilchen. Hier werden physikalische Experimente durchgeführt, die der Berg von der kosmischen Strahlung abschirmt. Um die aus drei großen Forschungshallen bestehende Versuchseinrichtung zu erreichen, darf man die entsprechende Abfahrt auf der Autobahn A24 von Teramo nach Rom im Gran-SassoTunnel nicht verpassen.
An die tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 30 Ländern beteiligen sich an den Experimenten in den Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS). Einer von ihnen ist Florian Reindl vom Institut für Hochenergiephysik der Akademie der Wissenschaften und der Technischen Universität Wien. Sein Ziel: der experimentelle Beweis für die Existenz von Dunkler Materie.
Fels und Wasser schützen
Reindl hat sich gemeinsam mit Karoline Schäffner vom Münchner Max-Planck-Institut für Physik für einen der begehrten Plätze in dem unterirdischen Labor beworben. Mit Erfolg. Ihr Experiment Cosinus (weitere Partner sind das italienische INFN sowie das finnische HIP) hat auf allen Ebenen grünes Licht erhalten. Der Versuchsaufbau startet im März, die Messung potenzieller Dunkle-Materie-Teilchen im nächsten Jahr. Vor Störquellen schützt diese hochsensible Suche der Nadel im Heuhaufen nicht nur der Berg, sondern auch ein riesiger Wassertank. In seinem Inneren ist ein zylindrischer Hohlraum mit zwölf speziellen Tieftemperatur-Detektoren eingelassen.
Cosinus nimmt einen wichtigen Platz in einer Reihe von Experimenten ein, die in den LNGS zum Nachweis von Dunkler Materie laufen. Reindl: „Wir wollen ein seit zwei Jahrzehnten empfangenes Signal des sogenannten Dama-Experiments als Dunkle-Materie-Signal bestätigen – oder eben widerlegen.“Im Dama-Versuchsaufbau messen zehn Kilo schwere Natriumiodid-Kristalle bei Raumtemperatur recht unspezifisch alle Teilchen-Wechselwirkungen, die in ihnen passieren. Das Experiment zeigt dabei eine Modulation dieser Rate im Jahresverlauf. „Ausgehend davon, dass sich die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne gemeinsam mit dieser durch den Dunkle-Materie-Hintergrund der Galaxie bewegt, hätte sie im Sommer Gegenwind und im Winter Rückenwind“, erklärt Reindl. Sprich, ein Detektor auf der Erde sollte bei Gegenwind mehr Ereignisse messen als bei Rückenwind. Und in der Tat: Dama liefert als bislang einziges Experiment ein entsprechend positives Signal. Ein Beweis für die Existenz von Dunkler Materie ist das noch nicht, aber ein Hinweis darauf.
Kälte friert Atome (fast) ein
Eine direkte Vorgehensweise verfolgt man hingegen beim CresstExperiment durch Detektoren mit Temperaturen von fast –273 Grad Celsius. Hier wird in einem Calciumwolframat-Kristall die Rückstoßenergie von Teilchen gemessen. „Je kälter ein Kristall ist, desto ruhiger sind die in seinem Gitter eingebundenen Atome“, sagt Reindl. „Bewegt man ein Atom, dann entsteht eine Schwingung, also Wärme.“Mit Phasenübergangsthermometern können Temperaturerhöhungen im Bereich von einem Millionstel Grad registriert werden – das ist der vermutete Anstieg, sollte ein Dunkle-Materie-Teilchen auf einen Atomkern treffen und damit wechselwirken.
Das Problem des positiven Dama-Signals ist, dass die Daten sich aufgrund unterschiedlicher Detektormaterialien nicht für einen modellunabhängigen Vergleich eignen. Das wollen Reindl und Schäffner – beide sind ebenfalls bei Cresst beteiligt – bewerkstelligen, indem sie Tieftemperatur-Detektoren mit NatriumiodidKristallen kombinieren. Nach einem ersten Messdurchlauf werden die relevanten Signale in Energie umgerechnet und mit statistischen Methoden interpretiert. „Es ist extrem motivierend, einen Beitrag zu einer der drängendsten Fragen der Physik zu leisten“, freut sich Reindl, dass Cosinus endlich in den Startlöchern steht. Ergebnisse erwartet er frühestens 2023.