Gernot Blümel, ein grüner Glücksfall
Wie die Ermittlungen gegen den Finanzminister die Machtverhältnisse in der Koalition verschoben haben. Und warum der Fall Pilnacek neues Konfliktpotenzial birgt.
Wien. Bis vor Kurzem noch war von den machtlosen, sich um des Regierens willen selbst untreu werdenden Grünen die Rede. Man sah in ihnen den kleinen Regierungspartner, der sich auf der Klimawiese ein wenig austoben darf, aber regelmäßig eine Abfuhr von der ÖVP bekommt, wenn er sich – nach umstrittenen Abschiebungen etwa – um Änderungen im Asylrecht bemüht. Die grüne Basis murrte dann ein wenig, Parteichef Werner Kogler beschwichtigte, und in den Umfragen ging es langsam, aber kontinuierlich bergab. Zuletzt fielen die Grünen sogar hinter die Neos zurück.
Nun aber scheint der Fall Blümel die Machtverhältnisse in der Koalition ein wenig verschoben und eine grüne Wende eingeleitet zu haben. Plötzlich stimmt die ÖVP einem weisungsfreien Bundesstaatsanwalt und der Abschaffung des Amtsgeheimnisses zu, beides jahrzehntealte Forderungen der Grünen. Plötzlich scheint eine (echte) Reform der Parteienfinanzierung möglich. Plötzlich werden die Glücksspielagenden aus dem Finanzministerium herausgelöst. Plötzlich stellt die ÖVP Forderungen, und plötzlich sind die Grünen diejenigen, die öffentlich Nein sagen (können).
Als diese Woche Gerüchte in Zeitungen die Runde machten, die ÖVP wolle mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ausgerechnet jene Behörde zerschlagen, die gegen Finanzminister Gernot Blümel ermittelt, sahen sich die Grünen zu einem präventiven Veto gezwungen. Das stehe überhaupt nicht zur Debatte, hieß es aus dem Büro von Vizekanzler Werner Kogler, der die karenzierte Alma Zadic´ im Justizministerium vertritt.
Grüne Chance auf Wiedergutmachung
Einige Tage später schlug man der Kanzlerpartei einen weiteren Wunsch ab: Die ÖVP möchte Journalisten verbieten, wörtlich aus Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zu zitieren, wie etwa in der Causa Blümel. Zunächst äußerte sich Werner Kogler vorsichtig ablehnend, indem er die Beschuldigtenrechte der Pressefreiheit gegenüberstellte. Deutlicher wurde dann Klubchefin Sigrid Maurer: „Einschränkungen der Pressefreiheit waren und sind nicht Gegenstand von Verhandlungen.“Die aktuellen Gesetze seien hier völlig ausreichend. „Bereits jetzt ist die Veröffentlichung besonders grundrechtssensibler Überwachungsergebnisse verboten.“
Für die Grünen sind die aktuellen Probleme der ÖVP ein unerwarteter Glücksfall. Diese Chance auf Wiedergutmachung im eigenen Lager, das noch von der mangelnden Durchsetzungskraft in der Asylpolitik enttäuscht ist, wollen sie nicht verstreichen lassen. Während kaum ein Tag ohne ÖVP-Angriff auf die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vergeht, positionieren sich die Grünen als Anwälte der Justiz und Verteidiger der Gewaltenteilung.
Die Rollen sind dabei klar verteilt, wobei eigentlich nur zwei Personen in Erscheinung treten. Den ungemütlichen Teil, also Kritik am Koalitionspartner, hat Werner Kogler an Sigrid Maurer delegiert, die auf diese Weise den grünen Markenkern polieren soll. Kogler selbst zieht sich, offiziell jedenfalls, auf die Sachebene und seine verbindende Funktion als Vizekanzler zurück. Über dieses doppelte Spiel beklagte sich zuletzt auch der Bundeskanzler. Die Grünen müssten sich entscheiden, was sie sein wollten: Regierungs- oder Oppositionspartei, soll Sebastian Kurz gegenüber Werner Kogler gesagt haben.
Schweigen über Pilnacek
Freitagfrüh zogen dann erneut dunkle Wolken über dem Regierungsviertel auf. Das Justizministerium gab bekannt, dass der Leiter der Straflegistiksektion, Christian Pilnacek, suspendiert wurde. Eine nähere Begründung lieferte Werner Kogler mit Verweis auf ein laufendes Verfahren nicht. Auslöser waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien (und nicht der WKStA), die Pilnacek verdächtigt, den Investor Michael Tojner vor einer Hausdurchsuchung gewarnt zu haben (siehe Seite 1).
Auch das Kanzleramt wollte die jüngsten Ereignisse zunächst nicht kommentieren. Doch der ÖVP-nahe Christian Pilnacek war schon einmal Auslöser eines türkis-grünen Konflikts. Die Zweiteilung der Strafrechtssektion durch Justizministerin Alma Zadic´ im Mai 2020 hatte auch den Zweck, Pilnacek zu entmachten, der als Sektionschef bis dahin sowohl für die Straflegistik als auch für die Aufsicht über die Strafverfahren verantwortlich war. Einige Monate davor war bekannt geworden, dass er prominente Beschuldigte in seinem Büro empfangen hatte. Sebastian Kurz beschwerte sich vergeblich bei Werner Kogler über die Absetzung. Im August wurde Pilnacek dann erneut Sektionschef, zuständig allerdings nur noch für die Legistik.
Einschränkungen der Pressefreiheit waren und sind nicht Gegenstand der Verhandlungen.
Sigrid Maurer, Klubobfrau der Grünen im Parlament