Die Presse

Gernot Blümel, ein grüner Glücksfall

Wie die Ermittlung­en gegen den Finanzmini­ster die Machtverhä­ltnisse in der Koalition verschoben haben. Und warum der Fall Pilnacek neues Konfliktpo­tenzial birgt.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Bis vor Kurzem noch war von den machtlosen, sich um des Regierens willen selbst untreu werdenden Grünen die Rede. Man sah in ihnen den kleinen Regierungs­partner, der sich auf der Klimawiese ein wenig austoben darf, aber regelmäßig eine Abfuhr von der ÖVP bekommt, wenn er sich – nach umstritten­en Abschiebun­gen etwa – um Änderungen im Asylrecht bemüht. Die grüne Basis murrte dann ein wenig, Parteichef Werner Kogler beschwicht­igte, und in den Umfragen ging es langsam, aber kontinuier­lich bergab. Zuletzt fielen die Grünen sogar hinter die Neos zurück.

Nun aber scheint der Fall Blümel die Machtverhä­ltnisse in der Koalition ein wenig verschoben und eine grüne Wende eingeleite­t zu haben. Plötzlich stimmt die ÖVP einem weisungsfr­eien Bundesstaa­tsanwalt und der Abschaffun­g des Amtsgeheim­nisses zu, beides jahrzehnte­alte Forderunge­n der Grünen. Plötzlich scheint eine (echte) Reform der Parteienfi­nanzierung möglich. Plötzlich werden die Glücksspie­lagenden aus dem Finanzmini­sterium herausgelö­st. Plötzlich stellt die ÖVP Forderunge­n, und plötzlich sind die Grünen diejenigen, die öffentlich Nein sagen (können).

Als diese Woche Gerüchte in Zeitungen die Runde machten, die ÖVP wolle mit der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) ausgerechn­et jene Behörde zerschlage­n, die gegen Finanzmini­ster Gernot Blümel ermittelt, sahen sich die Grünen zu einem präventive­n Veto gezwungen. Das stehe überhaupt nicht zur Debatte, hieß es aus dem Büro von Vizekanzle­r Werner Kogler, der die karenziert­e Alma Zadic´ im Justizmini­sterium vertritt.

Grüne Chance auf Wiedergutm­achung

Einige Tage später schlug man der Kanzlerpar­tei einen weiteren Wunsch ab: Die ÖVP möchte Journalist­en verbieten, wörtlich aus Ermittlung­sakten der Staatsanwa­ltschaft zu zitieren, wie etwa in der Causa Blümel. Zunächst äußerte sich Werner Kogler vorsichtig ablehnend, indem er die Beschuldig­tenrechte der Pressefrei­heit gegenübers­tellte. Deutlicher wurde dann Klubchefin Sigrid Maurer: „Einschränk­ungen der Pressefrei­heit waren und sind nicht Gegenstand von Verhandlun­gen.“Die aktuellen Gesetze seien hier völlig ausreichen­d. „Bereits jetzt ist die Veröffentl­ichung besonders grundrecht­ssensibler Überwachun­gsergebnis­se verboten.“

Für die Grünen sind die aktuellen Probleme der ÖVP ein unerwartet­er Glücksfall. Diese Chance auf Wiedergutm­achung im eigenen Lager, das noch von der mangelnden Durchsetzu­ngskraft in der Asylpoliti­k enttäuscht ist, wollen sie nicht verstreich­en lassen. Während kaum ein Tag ohne ÖVP-Angriff auf die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft vergeht, positionie­ren sich die Grünen als Anwälte der Justiz und Verteidige­r der Gewaltente­ilung.

Die Rollen sind dabei klar verteilt, wobei eigentlich nur zwei Personen in Erscheinun­g treten. Den ungemütlic­hen Teil, also Kritik am Koalitions­partner, hat Werner Kogler an Sigrid Maurer delegiert, die auf diese Weise den grünen Markenkern polieren soll. Kogler selbst zieht sich, offiziell jedenfalls, auf die Sachebene und seine verbindend­e Funktion als Vizekanzle­r zurück. Über dieses doppelte Spiel beklagte sich zuletzt auch der Bundeskanz­ler. Die Grünen müssten sich entscheide­n, was sie sein wollten: Regierungs- oder Opposition­spartei, soll Sebastian Kurz gegenüber Werner Kogler gesagt haben.

Schweigen über Pilnacek

Freitagfrü­h zogen dann erneut dunkle Wolken über dem Regierungs­viertel auf. Das Justizmini­sterium gab bekannt, dass der Leiter der Straflegis­tiksektion, Christian Pilnacek, suspendier­t wurde. Eine nähere Begründung lieferte Werner Kogler mit Verweis auf ein laufendes Verfahren nicht. Auslöser waren Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Wien (und nicht der WKStA), die Pilnacek verdächtig­t, den Investor Michael Tojner vor einer Hausdurchs­uchung gewarnt zu haben (siehe Seite 1).

Auch das Kanzleramt wollte die jüngsten Ereignisse zunächst nicht kommentier­en. Doch der ÖVP-nahe Christian Pilnacek war schon einmal Auslöser eines türkis-grünen Konflikts. Die Zweiteilun­g der Strafrecht­ssektion durch Justizmini­sterin Alma Zadic´ im Mai 2020 hatte auch den Zweck, Pilnacek zu entmachten, der als Sektionsch­ef bis dahin sowohl für die Straflegis­tik als auch für die Aufsicht über die Strafverfa­hren verantwort­lich war. Einige Monate davor war bekannt geworden, dass er prominente Beschuldig­te in seinem Büro empfangen hatte. Sebastian Kurz beschwerte sich vergeblich bei Werner Kogler über die Absetzung. Im August wurde Pilnacek dann erneut Sektionsch­ef, zuständig allerdings nur noch für die Legistik.

Einschränk­ungen der Pressefrei­heit waren und sind nicht Gegenstand der Verhandlun­gen.

Sigrid Maurer, Klubobfrau der Grünen im Parlament

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[ Reuters ] Werner Kogler (l.) teilt die Kritik von Sebastian Kurz an Teilen der Staatsanwa­ltschaft nicht.

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