Leitartikel von Rainer Nowak
Österreich erlebt ein politisches Erdbeben, tektonische Linien laufen zwischen ÖVP und Justiz sowie innerhalb der Justiz. Eine unabhängige Kontrolle wäre gut.
Als Einführung ins aktuelle Österreich funktioniert die Anekdote gut: Bauinvestor Michael Tojner empfing die Staatsanwälte bei einer morgendlichen Hausdurchsuchung mit Kaffee und Kuchen. Die Episode sagt viel über österreichischen Humor und legt nahe, dass Hausdurchsuchungen in bestimmten Kreisen dazugehören. Zuletzt auch in der Politik: Gernot Blümel hatte eine, Verfassungsrichter und Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter sowie Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek hatten eine halbe, sie durften ihr Mobiltelefon abgeben. Denn das ist unter dem Strich immer das Objekt der staatsanwältlichen Begierde – wegen womöglich ungelöschten oder dilettantisch gelöschten Mails, SMS und WhatsApp-Verläufen.
Für die Opposition beweisen die Fälle den Korruptionssumpf der Volkspartei und lassen Träume vom Ende des Sebastian Kurz, von Wahlen und einer linken Mehrheit aus SPÖ, Grünen und Neos plastischer werden. Für die ÖVP sind die Ermittlungen der Beweis, dass Teile der Justiz den Job der Opposition erledigen: die ÖVP-Regierungsmannschaft zu jagen. Für den Zustand des Landes und seiner Politik hoffe ich, dass beides nicht der Wahrheit entspricht.
Zurück zu Tojner. Gegen den ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) u. a. wegen einer Spende an einen karitativen Verein des ebenfalls beschuldigten vormaligen Wiener Grün-Politikers Christoph Chorherr im Zusammenhang mit einer Baubewilligung für ein Hotelprojekt. 2017 soll Tojner laut Staatsanwaltschaft Wien Details aus dem Ermittlungsakt vom damaligen Justizminister Brandstetter beziehungsweise Pilnacek erfahren haben. Das wäre eine Verletzung des Amtsgeheimnisses.
Und dann wäre da noch die Hausdurchsuchung bei Tojner, es gab davon übrigens mehrere: Brandstetter war nicht mehr Minister, sondern dessen Anwalt – und soll (nach Information von Pilnacek?) seinen Klienten gewarnt haben.
Dass die Behörde Brandstetter während einer Sitzung der Verfassungsrichter aufsuchte, zeigt, dass es den Staatsanwälten an Selbstbewusstsein nicht fehlt. Das passierte nur wenige Tage, nachdem die ÖVP die WKStA attackierte, politisch zu agieren, indem diese Finanzminister Blümel als Beschuldigten wegen möglichen Amtsmissbrauchs führt und bei der Hausdurchsuchung sein Telefon und das iBook seiner Frau beschlagnahmte. Ist das Rache der Staatsanwälte, oder sind das vorauseilende Attacken gegen mögliche weitere Hausdurchsuchungen? Hoffentlich . . . siehe oben.
Anfangsverdacht ist bei Blümel ein SMS von Novomatic-Chef Neumann, in dem sich dieser nebulös wegen erstens einer Spende und zweitens einer Unterstützung bei einem Steuerproblem in Italien meldet. Blümel leitete die Nachricht an Thomas Schmid, Generalsekretär im Finanzministerium, weiter.
Im Gegensatz zur ÖVP reagierte Blümel richtig, indem er erklärte, er sei an rascher Aufklärung interessiert. Seine ÖVP-Kollegen griffen hingegen die Staatsanwälte an, als handle es sich um eine gegnerische Partei. Selbst wenn Kurz und Co. Recht hätten, sind solche Angriffe inakzeptabel. Das macht ein Kanzler in einem Rechtsstaat nicht.
In einem Rechtsstaat sorgt das nur dafür, dass sich sogar jene vor die Behörde stellen, die das eigentlich nie wollten. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass die WKStA sakrosankt ist. Auch für die Justiz müsste es mehr Transparenz geben, eine echte Kontrollbehörde, wie sie etwa die Exekutive mit dem Bundesamt für Korruptionsbekämpfung hat, wäre dringend notwendig. Um etwa zulässige Fragen zu beantworten, warum beim Finanzminister gleich eine Hausdurchsuchung stattfindet, andere Verfahren wie jene um das KH Nord in Wien aber sanft entschlummern.
Und: Es kann auch nicht sein, dass Staatsanwälte wegen eines Verdachts digitale Geräte beschlagnahmen, um auf diesen in aller Ruhe nach Dingen zu suchen, die nichts mit diesem konkreten Verdacht zu haben, aber vielleicht einen anderen Verdacht bringen. Diese intern als Beifangmethode titulierte, aber verbotene Praxis wäre gefährliche Behördenwillkür. Oder Schlimmeres.